Ürumqi

Ich blicke den Bahnsteig hinab, erwarte Hektik, Lärm, viele, viele Menschen…nichts. Es ist kühl, ruhig, der Bahnsteig so sauber, dass man die ersten Jiaoze direkt von ihm essen könnte. Das ist also unsere erste Station in China. Wieder einmal bauen wir unsere Räder auf, ein paar Neugierige bleiben kurz stehen, lachen, begutachten Reifen und Ergo-Griffe. Der Bahnhofspolizist möchte gleich mal das ganze Gefährt anheben, er grinst, verzieht dann das Gesicht – doch sooo schwer. Langsam schieben wir die Räder Richtung Ausgang. Zu unserer Überraschung sind die wichtigsten Schilder auch in Englisch beschriftet. Durch menschenleere Gänge, die allesamt extrem sauber sind, gelangen wir zum Bahnhofsvorplatz. Der Anblick ist mehr als kurios. Der gesamte Platz ist mit Absperrgittern umsäumt, hinter dem dicht gedrängt Menschen stehen, einige mit Schildern in der Hand. Es ist, als würden wir als Ehrengäste erwartet, da eben der gesamte Bahnhofsvorplatz komplett leer ist und die „Fans“ hinter der Absperrung auf uns warten müssen. Wir können uns bei dem Anblick ein breites Grinsen nicht verkneifen. Wir rollen seitlich vom Platz heraus, an einer Absperrung vorbei und tauchen nun endlich in der Menschenmenge ein. Die Gesichter um uns herum blicken erstaunt aber durchwegs freundlich auf uns. Sogleich sprechen uns einige an, Katrin klärt souverän über das „woher, wohin“ auf. Die Menschen freuen sich, dass man in ihrer Sprache etwas mitteilen kann…

Wir folgen der Hauptstraße Richtung Innenstadt, der Verkehr ist chaotisch, der mit der lautesten Hupe gewinnt. Hier gilt das Gesetz: „Ich zuerst!“ Wer wartet, kommt eventuell gar nicht mehr zum Zug, also warum warten? Wir verhalten uns passiv, lassen Busse und Autos gewähren und huschen durch entstehende Lücken weiter. Schon bald lichtet sich der Verkehr etwas, Fuß- und Radwege tauchen auf, auf denen sich gemütlich an dem Meer aus unlesbaren und bunten Schriftzeichen entlang gleiten lässt. Die Geschäfte sind klein, dunkel, in den Fassaden versteckt, so dass man oft nicht genau weiß, was es dort eigentlich zu kaufen geben soll. Irgendwie wirkt alles so vertraut. Wir fühlen uns auf Anhieb wohl. Von einem Kulturschock kann nicht die Rede sein. Na ja, wir waren in vielen Städten schon in der „China-Town“, so sieht es hier auch aus, nur dass sie eben nicht endet.

Bald schon stehen wir vor einem Hotel, das einen guten Eindruck macht – dieser lässt sich aber bei genauerem Hinsehen nicht halten. Und so ziehen wir zwei Häuser weiter und haben schnell ein schönes Doppelzimmer, zentral und – wie von Tina&Matthias empfohlen – 50% billiger als angeschrieben steht. Nach einer heißen Dusche wollen wir uns mit dem Rad einen Überblick über die Stadt verschaffen. Wir kommen genau drei Häuser weiter, dann sitzen wir in einer kleinen Garküche und haben zwei dampfende Teller Nudelsuppe vor uns. Um uns herum schlürfende Chinesen – aber lange nicht so ungesittet, wie man sich das in Europa immer erzählt. Gut, die Köpfe hängen über den Tellern, der Arm ist irgendwo quer vor dem Teller, aber so lässt es sich am bequemsten Schaufeln und uns kommt das eigentlich auch entgegen… J

Unser weiterer Streifzug führt uns in eine Bar – die angesagte Traveller-Bar der Stadt – wo wir einen Kaffee trinken und feststellen, dass wir für ein solches Etablissement eindeutig noch nicht lange genug unterwegs sind. Am Abend treffen wir Josh und Tan, mit denen wir ein paar Bier trinken und dann auf dem Nachtmarkt eine Jaozi-Suppe und Nudeln essen.

Nachtmärkte faszinieren immer wieder, besonders aber wohl in China, da die Chinesen das Essen so über alles lieben – wie wir auch. Hinter jedem Wagen steht ein weiß gekleideter Koch, der unter viel Gezische, Dampf und Pfannen-Klappern die leckersten Köstlichkeiten zaubert. Davor liegen schön aufgemacht alle frischen Zutaten, aus denen man sich sein persönliches Mahl zusammen stellen kann. Selbstverständlich machen die Damen des Hauses vor den Wägen auf IHRE Köstlichkeiten aufmerksam und versuchen mehr oder weniger geschickt in den wenigen Sekunden, in denen man vorbeischlendert, eine Kundenbindung aufzubauen.

Der nächste Tag (01.09.2009) führt uns auf einem Spaziergang in das Uiguren-Viertel, das stark arabisch geprägt ist. Man hört eine andere Sprache, sieht andere Speisen, andere Geschäfte – und leider auch, wie in der ganzen Stadt – Militärposten, wo jeweils vier Soldaten mit Gewehren unter einem kleinen Zelt stehen und streng in alle vier Himmelsrichtungen blicken. Ein Theater ist als Militärbasis eingenommen, durch die Stadt patrollieren bewaffnete Einheiten zu je 15 Mann. So wird also derzeit die öffentliche Ordnung aufrecht erhalten. Internet und Handynetze sind komplett gesperrt. Was hinter den Kulissen passiert bzw. passiert ist? Man wird es nie erfahren und kann sich nur seine eigenen Gedanken machen. Es kann für die Menschen hier nicht wirklich gut sein, so viel ist wohl sicher.

Wir erledigen noch ein paar Kleinigkeiten (Kartenmaterial) in der Stadt, da wir morgen früh zum Himmelssee aufbrechen wollen. Laut unserer Recherchen und netten, informativen E-Mails von Volker Häring (www.china-by-bike.de) erwarten uns 2000 Hm auf 102 km. Schwierig dürfte es zunächst mal werden, aus der Stadt herauszufinden. Denn eigentlich ist die Hauptausfallstraße nach Norden eine sechsspurige Autobahn. Wir sind mal gespannt. Um die nötige Kraft zu tanken werden wir heute Abend noch ein Feuertopf-Restaurant aufsuchen, nachdem uns die Baoze heute Mittag sicher schon einen guten Vorschub an Kohlehydraten geliefert haben dürften – die waren aber auch lecker!

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