08.04.2010 (m) – Besichtigungstag Himeji
Wenn das mal keine gute Entscheidung war, hier und heute in Himeji einen ganzen Tag zur Besichtigung von Japans größtem Schloss einzulegen. Die Kälte die über Nacht in unser Zelt geschlichen ist, hält uns zunächst aber noch kraftvoll in den Schlafsäcken fest. Erst als gegen 8.30 Uhr die Sonne ihren Weg in das schmale Tal findet, wärmt sich das Zelt rasch auf und wir trauen uns die kuschelige Festung zu verlassen. Dafür sitzen wir dann wenig später unter stahlblauem Himmel, mutterseelenallein auf dem Gelände des Campingplatzes, der Wind rüttelt an den hier bereits verblühten Kirschbäumen und die kleinen weißen Blüten wirbeln um uns herum. Vom Bach blickt noch kurz ein Reh zu uns herüber, als würde es fragen wollen: „Was macht ihr denn hier? Es ist doch noch viel zu kalt!“, bevor es wieder im Wald abtaucht.
Wir rollen das malerische Tal hinunter, vorbei an einem Naturschrein, deren Steinfiguren auch schon die Köpfe in die Sonne recken. Unten an der Hauptstraße ist die Idylle schnell vorüber, bis zum Schloss bleiben uns nur die ungeliebten Gehsteige – die Straßen sind wieder einmal den Autos vorbehalten. Nach einer guten halben Stunde Fahrzeit können wir die ersten Blicke auf das weiße Schloss mit seinem siebenstöckigen Hauptturm werfen. Es zeichnet sich hervorragend vor dem Azurblau des Himmels ab. Viel schöner wird das Ganze noch, als wir einige hundert Meter am Schloss vorbei gelaufen sind und den Vorplatz, eine große Rasenfläche (deren Rasen allerdings noch sehr frühlingshaft darbt), die komplett mit Kirschbäumen gesäumt ist, erreichen. Darunter tummeln sich zig Japaner auf den blauen Plastikplanen, stopfen Sushi, Frittiertes und Reis in sich hinein und trinken Tee, Sake und Bier dazu. Jung und Alt ist wieder mal auf den Beinen und erfreut sich an der prachtvollen Blüte. Hoch über dem Platz, etwas in der Ferne thront das Schloss. Wir üben Selbstdisziplin und widmen uns zunächst brav dem Kulturprogramm. Fünf Euro Eintritt sind pro Nase zu berappen, dann schieben wir uns mit recht zahlreichen anderen Japanern durch das hölzerne Eingangstor ins Innere. An jeder Ecke lauert ein noch schönerer Blick, da hier die Kirschblüten wirklich aus jedem Winkel zu treiben scheinen. Es ist Foto-Großkampftag. Nicht nur bei uns. Alle Modelle, groß, klein, Handy, Knipse, Spiegelreflex-Kameras ausgestattet mit kleinen Standardobjektiven, bis hin zur „grauen Tüte“ (Canon-Zoom bis 500mm). Auch wir sind in diesem Moment froh, dass die Zeiten des „Films“ vorbei sind und wir nach Herzenslust die Speicherkarten füllen können. Das Innere des Schlosses ist nicht mehr ganz so imposant. Hier wurde hervorragend renoviert, so dass von altem Flair nichts mehr übrig ist. Die Räume erscheinen vielmehr wie die einer Neubauwohnung. Nach dem Seitenflügel, den die Damen des Hofes bewohnt haben, steht der siebenköpfige Turm auf dem Programm. Schon beim Eintreten fällt uns die Zunahme der Ordnungshüter mit Megafonen auf, die die Massen in die richtigen Bahnen lenken. Und zunehmend kommt der Menschwurm auch ins Stocken. Das mag zum einen daran liegen, dass am Eingang jeder seine Schuhe ausziehen und diese in eine Plastiktüte packen muss, zum anderen daran, dass der Ansturm wirklich immer gewaltiger wird und alle bis in den siebten Stock vordringen wollen um DAS Bild zu machen: Ausblick auf die Stadt. Je länger wir in dem Turm im Kreis tappeln und warten müssen, desto mehr vergeht uns die Lust darauf, denn so spektakulär wird’s nicht sein. Die Fläche des Turms verringert sich von Stockwerk zu Stockwerk und so erwarten wir eher noch eine Zunahme des Gedrängels. Nein danke. An geeigneter Stelle schlüpfen wir durch eine Hütchenabsperrung und sind auf dem Weg nach unten. Wieder draußen angelangt, erreicht das Besucherchaos wohl gerade seinen Höhepunkt. Die Kassen sind vorübergehend geschlossen und es gibt immer wieder Sperren, an denen die Besucher zurückgehalten werden und nur stoßweise durchgelassen werden. Schilder weisen auf Wartezeiten von gut einer Stunde hin. Wir klatschen ab: grade noch rechtzeitig. Eine kurze Radfahrt zum Supermarkt lässt uns mit prallen Einkaufstüten wieder im Schlosspark aufkreuzen. Wir nehmen in der Sonne Platz, lassen uns Fleischspießchen, Sushi und Reis mit Hühnchen schmecken. Wir beobachten das bunte Treiben um uns herum und machen Schnappschüsse von den „lustigen“ Japanern, den gestylten Jugendlichen und den wie Comicfiguren geschminkten Mädels. Welch‘ ein Kontrast zu China. Als es wieder mal kühler wird, drehen wir noch eine kleine Runde durch Himeji und fahren dann zurück Richtung Campingplatz. In dem Café von gestern kehren wir wieder ein und lernen, dass nicht alles in Japan teuer ist: Für eine Pauschale von umgerechnet drei Euro kann man sich den ganzen Abend, wenn man will auch bis 5 Uhr früh (so lange hat der Laden nämlich auf) an der Getränkebar bedienen. Capuccino, Tee, Colagetränke, Fruchtsaft. Komisches Geschäftsmodell, für uns aber genial. Wir sitzen im Warmen, haben ein bisschen Strom für den Laptop, um Bilder zu sichten und Berichte zu schreiben. Wir essen noch zwei Pizzen für je vier Euro, wodurch sich die Getränkepauschale auf 1,70 Euro verringert. Alles klar?
Draußen auf dem Parkplatz empfängt uns Winterluft, als wir uns zum drei Kilometer entfernten Campingplatz aufmachen, wo die beiden Schlafsäcke schon darauf warten uns erneut wärmend durch eine kalte Nacht zu begleiten.