Ameisenurlaub

03.05.2010 (k) Kokonoe –  vor Tateno: 64 km, 1040 Hm

Von unserem Reisfelddamm hat uns während der Nacht niemand vertrieben und bevor das so sein könnte, packen wir auch schon zusammen. Die Sonne glitzert im Wasser der Felder – das ist ein Land für Frühaufsteher. Richie, Gisela, Uli und Matze – hier ist es um halb sechs taghell. Ein Paradies für euch! Aber auch uns fällt es nicht schwer, von der Luftmatte zu steigen, wenn die Sonne so schön aufs Eigenheim scheint. Nescafé, Rosinenbrötchen, weiter geht’s. Ein paar Kilometer führt unsere Straße noch ruhig bergan, bis sie unweigerlich auf die Hauptstraße trifft, die uns schon von gestern bekannt ist. Alle Ameisen sind schon wieder unterwegs: Wir sind die kleinen roten, die so fies pinkeln und nicht so schnell vorankommen. Dann gibt es die etwas größere, laute aber lässige Arbeiterameise auf zwei Rädern, die ihre Fühler hoch in den Himmel streckt. Sie tritt immer in der Gruppe auf. Auf manchen Exemplaren steht „Harley“ oder aber sie machen einen auf Mimikry: Sie klingen nur so, doch dann steht da „Yamaha“. Klar, dass die hier unterwegs sind, fahren wir doch auf dem berühmten „Yamanami Highway“. Die größeren Waldameisen mit trendigen Namen wie „Latte“, „Voxy“, „ Fizz“ oder konservativen wie „Passat“ oder „Corolla“ zwängen sich wie an einer Schnur aufgezogen an uns vorbei. Einmal hat sich auch ein Hummer auf unsere Straße verirrt, ein Glück, dass der schnell weg war. Wenigstens sind keine mehrachsigen Termiten unterwegs. Die haben zur Urlaubszeit nicht so viel zu transportieren. Sonst wäre es wirklich stressig. Dennoch ist es anstrengend, sich auf den eigenen – manchmal sehr schmalen – Teil des Weges zu konzentrieren. Ab und an finden die Ameisen etwas zu fressen und halten an. Wobei es wohl für die gemeine japanische fast ausschließlich weiße Ameise üblich ist, dabei ihr Betriebssystem voll weiterlaufen zu lassen. Apropos Autofarbe. Weiß ist eindeutig in der Überzahl – ich würde mal sagen zwei Drittel der Autos sind weiß. Einige trauen sich etwas davon weg – es gibt ein paar cremefarbene und silberne Wägen. Wenn nicht weiß, dann schwarz. Ganz selten hat sich jemand richtig gegen den Kollektivgeschmack aufgelehnt und zu rot oder orange gegriffen. Respekt für diese mündige, mutige Entscheidung!

Der Makinoto Pass (1330m) ist nach gut 500 Höhenmetern geschafft. Wir stehen sozusagen auf dem Kraterrand des Aso-san Vulkangebiets. Insgesamt hat der Krater einen Umfang von 128 km, geformt von einer monströsen Explosion vor 90000 Jahren. Im Krater unter uns liegt die Stadt Aso. Auch Straßen, Bahnlinien und andere Dörfer befinden sich auf dem mächtigen Teller. Die Vulkane auf ihm sind noch aktiv – es ist laut unserem Reiseführer der größte noch aktive Kessel (Caldera) der Welt. 1993 war der letzte nennenswerte Ausbruch. Wir düsen hinunter und steuern direkt auf das Vulkanmassiv zu. Ich komme mir vor wie ein Cowboy in der Prärie: grüne Wiesen, kleine Schluchten, in denen die Straße versinkt, Kühe, Pferde und Angebote zum Westernreiten links und rechts. Schilder wie „Big animal ahead“ mit einer Kuh darauf dienen hier schon mal als Touristenattraktion. Naja, für Ameisen sind Kühe ja auch riesig! Steil geht es hinauf und wäre da nicht der Gestank all der Ameisenausdünstungen und ihr Furzen in meinen Ohren – man könnte sich glatt daran gewöhnen, so in der Truppe unterwegs zu sein. Das Tempo ist insgesamt langsam, da es viel zu sehen gibt und bergauf alle ein wenig zu schnaufen haben. Nach weiteren 500 Höhenmetern erreichen wir den Abzweig zu unserem Zielgebiet zwischen Akamizu und Tateno. Wir setzen uns auf die leuchtend grüne Wiese mit Blick auf einen perfekt geformten kleinen, bewachsenen Vulkan und feiern „Kaffeene“. Der Vulkan sieht aus wie aus dem Bilderbuch. Auch der große Bruder, der hinter uns steht, ist ein Blickfang, doch der kleine grüne mit dem wohlklingenden Namen „Kome-zuka“ hat es uns angetan. Die Abfahrt führt an einem groß angelegten Rastpark vorbei und wir zögern kurz, ob wir hier oben zelten sollen. Die anderen Ameisen verschwinden sicher bald in ihre gebuchten Löcher und wir wären allein. Doch wir haben keine Genussmittel dabei und auch kein öffentliches Bad in der Umgebung. So entschließen wir uns, bis zu einem Onsen abzufahren. Der in unserem japanischen Straßenatlas verzeichnete entpuppt sich als riesige Disneylandanlage, bestehend aus einer Milchfarm, Schmockesgeschäften, mehreren Bädern, Restaurants und unzähligen Bungalows, die aussehen wie Taucherglocken. Tausende wimmeln herum. Hier ist nicht an ruhiges Zelten zu denken. Mittlerweile hat sich ein Stau bergab gebildet und wir bereuen es, wegen ein paar Einkäufen auf unseren tollen Zeltplatz mit Vulkanblick verzichtet zu haben. Jetzt, wo wir nunmal unten sind, müssen wir das Beste daraus machen. Wir kaufen ein und begeben uns dann ins warme Wasser des großen öffentlichen Onsen in der Nähe. Bis zehn können wir uns noch drinnen aufhalten, dann geht’s hinaus. Ein vorher erkundetes leer stehendes Feld wollten wir bezelten, doch als wir nochmal eine Runde über den großen Parkplatz drehen, beschließen wir, uns hier auf ein Stück Rasen in einer dunklen Ecke zu stellen. Ein Wohnmobil hat sich auch schon schlafbereit aufgestellt und die verhängten Scheiben einiger geparkter Autos deuten darauf hin, dass sich hier Leute zum Schlafen hineingefaltet haben. Neben uns ist noch ein Pärchen mit dem Kochen des Abendessens beschäftigt. Das hat fast Campingplatzatmosphäre. Auch wir kochen noch ein Mapodofu und sitzen dann ein Weilchen in der ach so lauen Frühlingsnacht. Wer hätte das gedacht!

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