Als wir in Sopela unsere Campingmatte eingerollt hatten, sah es auf den ersten Blick tatsächlich so aus, als wäre es das mit dem Campen auf offiziellen Plätzen erst mal gewesen.
Dank unserer Smartphones und gründlicher Recherchearbeit sollten wir aber noch den ein oder anderen geöffneten Platz ausfindig machen und so konnten wir bis Gijon die lauen Nächte unter dem Sternenhimmel genießen.
Sehr zufrieden beim Navigieren sind mir mit mapy.cz und der dazugehörigen App. Und als wir uns bei der Routenplanung so in die Karten reinwühlten, da entdeckten wir eine kleine blaue Linie: den Camino del Norte! Oha! Eine sehr bekannte und wunderschöne Route des Jakobswegs. Sollten wir doch noch zu richtigen Peregrinos werden?
Nein, dazu fehlte uns ja allein schon der Pilgerausweis. Und eventuell auch das Motiv? Verbanden wir den Jakobsweg doch bislang rein mit dem religösen Ansatz. Die Motivation, sich auf diesen Weg zu machen, ist heutzutage aber – anders als in früheren Jahrhunderten seit seinem Ursprung im 8. Jahrhundert, nicht mehr rein glaubensbasiert.
Vor allem seit den späten 80er-Jahren, als der Europarat den Weg zum ersten europäischen Kulturweg erklärte, geht es vielen – neben dem religiösen Ansatz – auch einfach darum, mit sich zu sein, Erfahrungen zu sammeln, Zeit zum Nachdenken zu haben, Frustrationstoleranz und Durchhaltevermögen zu entwickeln, Natur, Kultur und vielleicht auch Gemeinschaft zu erleben oder vom Alltag abzuschalten. Im Grunde genau das, was wir seit über 25 Jahren auf unseren Reisen mit dem Rad machen – auch wenn das Ziel nicht die Kathedrale von Santiago de Compostela ist:
Wir wählten die Route zunächst mal aus rein praktischen Gründen: Sie ist sehr gut ausgeschildert, touristisch bestens erschlossen und für Fahrräder in sehr, sehr großen Teilen herovrragend geeignet. Manchmal vielleicht sogar besser als für die Wanderer?! Oftmals führt der Camino nämlich lange – sehr lange – an Straßen entlang. Wie meinte ein amerikanischer Pilger, mit dem wir uns kurz unterhielten: „A lot of roadwork here!“.
Die macht mit dem Rad natürlich mehr Freude: Wenn man zum Beispiel auf leicht abschüssiger Straße durchs Industriegebiet sechs Kilometer ins Zentrum rauscht und dort aus einem Café heraus bei „café con leche“ und Pinxo das lebhafte Treiben der Kleinstadt beobachtet. Und eine Stunde später stramm marschierende Peregrinos vorbeihasten, die man eben vorher noch winkend überholt hat. Aber man entscheidet sich ja freiwillig, ob man sich zu Fuß oder mit dem Rad auf den Weg macht. So auch Patrizia aus der Schweiz, die sich aber bei einem kurzen Gespräch am Wegesrand nicht mehr ganz so sicher war: „Im Moment frag‘ ich mich schon, warum ich das mache!“ Ich konnte sie trösten, da sich diese Frage auf dem Fahrrad auch immer wieder mal stellt – nur in einer anderen Dimension. Wer jetzt denkt, dass wir uns den Weg auf dem Rad billig erschlichen haben. So ist das nicht! Die Nordroute ist eben nicht nur besonders schön, sondern auch besonders hügelig bis bergig.
Glück hatten wir mit der Wegeführung aber auch das ein oder andere Mal, nämlich als wir nach langen Aufstiegen unsere Scheibenbremsen bei Gefälle von über 25% an die Grenzen brachten. Runter geht so was ja gerade noch…hoch schieben möchte man das nicht! Solche Rampen kennen wir noch aus dem Oman, und da haben wir jeweils ein Fahrrad zu zweit geschoben. Meist waren die schottrigen Abschnitte aber ganz wunderbar zu fahren. Schöne „Crosser“-Strecken!
Weit über 10 000 Höhenmeter sammelten wir allein bis Gijon. Da die Tage unterdessen kurz wurden, der Morgen noch recht dunkel und kühl, pendelte sich unsere Abfahrtszeit auf 10:30 Uhr ein, das Tagewerk wollten wir meist am späten Nachmittag beenden. Aufgrund der Höhe kamen wir so meist auf 30 – 50 Kilometer am Tag. Klingt gemütlich? Im Grunde fühlte sich das schon ziemlich stressfrei an, da wir genug Zeit für Sightseeing und den „Leche“ mit Pinxo oder Tapas in den Städtchen am Wegesrand hatten.
Trotzdem mussten die vielen, vielen Anstiege natürlich bewältigt werden. Für uns passte das jedenfalls hervorragend so! Wir fanden einen guten Rhythmus. Wenn es auch so war, dass wir manchmal am Abend im Übernachtungsort wieder den selben Pilgern begegneten wie am Vortag. 30 Kilometer schafft man an einem Tag eben auch zu Fuß.
So waren wir also über viele Wochen hinweg zwei von unterdessen fast 200 000 Menschen, die sich jährlich auf „den Weg“ machen. Dennoch fühlten wir uns mehr als Beobachter, da „unser Camino“ ja nur ein Teilstück unserer Reise ist und wir nicht extra deswegen gekommen waren.
Schnell gewöhnten wir uns an die Beschilderung, einen kleinen gelben Pfeil oder eine Muschel, die uns den Weg wies. Wenn es zu geröllig oder gar zu steil wurde, konnten wir ja wie gesagt meist auf die Straße ausweichen und weiterbrausen statt zu schieben.
Irgendwann wurde uns klar: Okay, unser „Zwischen“-Ziel sollte schon auch Santiago de Compostela heißen. Auf jeder Reise braucht man ja immer wieder solche Ziele, die man sich setzt, die Richtung und Tempo vorgeben und die die Motivation hoch halten. Und nachdem wir seit Hondarribia (zu Beginn unwissentlich) schon mehrere hundert Kilometer dem „Santiago del Norte“ gefolgt waren – was lag also näher, als diesen auch „offiziell“ abzuschließen. So hatte uns die Magie des Camino dann doch ein wenig in seinen Bann gezogen. Und vielleicht können wir bald so wie Johannes Paul II., Cees Nooteboom, Paulo Coelho, DJ Ötzi und Hape Kerkeling sagen: Wir haben ihn gemacht – unseren Camino de Santiago!