01.10.2009 (k) – Jishishan – Mateng: 97km, 1200Hm
Nur kurz hatten wir gestern den Gedanken, morgen, am 60. Jahrestag der Volksrepublik China, könnten eventuell die Geschäfte geschlossen sein. Wir haben ihn sofort wieder verworfen, da unvorstellbar. Als wir jetzt am Morgen das Hotel verlassen, liegt eine quirlige, geschäftige Straße vor uns. Keine Spur von einem hochheiligen Feiertag. Die Party steigt wohl woanders. –
„Ja, ja, klar, die Straße können wir ruhig weiterfahren, die geht durch.“ – so in etwa verstehe ich die Bauersfrau, die ich beim Fotografieren zweier kleiner, schmuddeliger Kinder mit Gesten und Worten frage, ob die Richtung, die wir eingeschlagen haben, sinnvoll ist. Na dann bin ich ja beruhigt. Gerade sind wir nach der Überquerung dreier weiterer „Finger“, einer längeren Abfahrt und am Ende eines größeren Ortes von der Hauptstraße 309 (die diesen Namen aber aufgrund ihres teilweise sehr schlechten Zustands nicht wirklich verdient hat) nach rechts abgebogen, um eine Abkürzung nach Linxia Xian (Hanji) zu nehmen. Laut Karte könnte das topographiemäßig und kilometermäßig so passen. So Abkürzungen sind ja oft gefährlich, da sollte man schon sicher gehen.
Wir folgen dem Betonsträßchen – wie eine Schlange windet es sich das Tal entlang und hinauf. Gesäumt von einfachen Lehmhäusern und –höfen, die Kinder und Großmütter davor, der Rest der „Belegschaft“ auf den kleinen Äckern. Heute ist „pflügen und säen“ angesagt. Es versteht sich von selbst, dass diese Handlungen hier ablaufen wie vor 100 Jahren bei uns: Kuh oder Pferd, Pflug, Saatgestell, Männer und Frauen.
Als wir den höchsten Punkt erreicht haben, frage ich noch einmal einen schlau aussehenden Bewohner, ob die Straße nach Linxia-Xian führt – er bejaht. Wir sausen hinab und erkennen im Ort links so etwas wie eine Hauptstraße. Das muss die Passstraße sein, die wir gestern gemieden haben! Wir biegen nach links ein – doch Molle meldet Bedenken: „völlig falsche Himmelsrichtung“. Na gut, dann 180 Grad gedreht! Hm, richtige Himmelsrichtung, aber völlig falsch laut Karte. Wir fragen den nebenstehenden Hühnerverkäufer, wo es denn hingeht. Nach mehrmaligem ungläubigen Nachfragen ist uns klar, dass Molles GPS, das einen schönen kleinen 10km Kreis aufgezeichnet hat, nicht irrt. Wir sind einen Kreis gefahren! Nur, weil es gestern so spät wurde, muss das doch nicht zur Gewohnheit werden! Ich finde es fast etwas lustig, als wir nun bei der Ortsdurchfahrt in dieselben Gesichter blicken, wie vor gut einer Stunde. Ein Alter vor einer Hütte sitzt noch immer so da wie vorhin! Aber eigentlich ist das nicht lustig – sondern nervig. Und das bringt Molle zum Ausdruck. Ihn nerven jetzt sogar die vielen lachenden „Höllou“-Rufer und er ignoriert sie einfach. Damit die Enttäuschung nicht allzu groß ausfällt, grüße, winke, grinse und hölloue ich umso fester.
Als es wieder und wieder hinauf und hinunter geht (die Hügel wollen kein Ende nehmen), schwant auch mir, dass es auch diesmal nichts mit einer kurzen Etappe wird. Wir rechnen schon damit, dass es gar keine Verbindungsstraße als Abkürzung gibt, als wir ca. 20km vor Linxia doch die richtige Abzweigung erwischen und uns über 15km schöne, ruhige Teerstraße hinauf und hinunter kämpfen, bis Linxia-Xian. 15.00 Uhr – wir freuen uns, hier nun einzulaufen. Die Ortszufahrt wirkt ziemlich dreckig, doch das ist am Ortsanfang häufiger der Fall. Aber auch im Zentrum sieht es nicht besser aus. Überall Müllberge vor den Geschäften und am Straßenrand. Als wir stehenbleiben und nach einem Hotel fragen, sind wir gleich von ein paar Leuten umringt, die auch nicht besser aussehen. Das Hotel – das einzige des Ortes – sieht von außen eher aus wie eine zum Abriss freigegebene Bauruine. Ich sehe mir dennoch ein Zimmer an – und unser Verdacht bestätigt sich: asslig. Wir beschließen, etwas weiter Richtung Xiahe (noch 85km) zu fahren und in einem kleineren Ort ein Gästehaus zu beziehen.
Ja, und hier sitzen wir nun: 2,5m*3m Ziegelbox in einem Innenhof mit bellendem Hund, ohne jegliches Wasch-Wasser aber immerhin einem sauber gefegten Lehm-Plumpsklo. Der Blick aus dem Plumsklofenster: schlotende ???-Fabrik (irgendwas mit Zement oder Steinen), eine kleine buddh. Stupa, eine riesige Kuppel, die wer weiß was beinhaltet. Das Szenario, als wir durch die staubige Hauptgasse vorbei an den gedrungenen Häusern schlappen, in und vor denen wieder einmal das gesamte Leben abläuft, ist sehr bizarr. Das hat was! Wir schwenken in ein Nudelrestaurant ein, sitzen mit einem Polizisten und dessen Frau am Tisch. Die Unterhaltung mit der Frau klappt gut – als ich ihr sage, dass wir chinesischen Tee gerne mögen, schenkt sie mir ein Tütchen mit 8 Teeblumen. Ihr Mann lässt es sich nicht nehmen, unsere Zeche zu bezahlen. Da hat es sich doch gelohnt, noch 30km bis hierher gestrampelt zu sein, allen schnellen Bussen, überholenden Autos, LKWs und 2 Tunneln getrotzt zu haben. Happy Birthday China!