Dem Kopfstein die Stirn bieten

16.02.2010 (m) – Hongtupoxiang – Wujiexiang: 66km, 1700Hm

Mit dem Kopfsteinpflaster einschlafen, mit dem Kopfsteinpflaster aufwachen. Alles mentale Arbeit. Geschlafen haben wir aber trotzdem ausgesprochen gut sogar. In dem winzig kleinen Örtchen war es mucksmäuschenstill, als gegen 22 Uhr der letze Laster an unserem Zimmer vorbeigedonnert war. Die Morgentoilette bietet aus dem 1,5m² großen Bädchen (aber inklusive Dusche, Waschbecken und Hockklo) einen traumhaften Blick in die Berglandschaft. Mit einem Frühstückskoch rechnen wir heute – am dritten und hoffentlich letzten Neujahrs-Feiertag der Chinesen 2010 – erneut nicht und so hauen wir uns die Hefeteilchen, die wir gestern Abend noch schnell dem verdutzen Dorfbäcker abgekauft haben mit einem Vitamin-Milch-Getränk rein. Tut’s auch.

Hongtupo wurde ein feines Betonsträßchen spendiert, das genau in der letzten Kurve vor der Ortseinfahrt beginnt und ebenso abrupt nach der letzten Kurve endet. Somit ist sie ziemlich genau 200 Meter lang. Danach hat uns das Kopfsteinpflaster wieder. Wie schon gesagt, wir wissen, was uns erwartet (glauben wir zumindest) und so rotteln wir tapfer los. In den flacheren Abschnitten findet man am Straßenrand glücklicherweise immer wieder 20 Zentimeter breite Schotterabschnitte. Allemal besser als die Kopfsteine. In den steileren Passagen fehlen diese jedoch, so dass man ausgerechnet dann die volle Dröhnung abbekommt. Erstaunlicherweise kommen wir aber gut voran, gewinnen rasch an Höhe. Die Aussicht können wir dennoch nicht so richtig genießen, verlangt der Straßenbelag doch vollste Aufmerksamkeit. Immerhin 1000 Höhenmeter sind auf diese Weise bis zum Pass zurückzulegen. Ein langer Weg…Wir sind sehr froh, bereits gestern noch nach Hongtupo durchgefahren zu sein und damit bereits 500 Höhenmeter hinaufgeklettert zu sein. So konnten wir den Monsteranstieg wenigstens auf zwei Tage verteilen. Das heiße Wetter Südostasiens liegt schon ein bisschen zurück. Wir sind deutlich nördlicher und außerdem seit längerem mal wieder über 2000m. Das allein wäre ob des Breitengrades ja noch kein Problem, aber es weht im oberen Bereich des Anstiegs ein massiver Wind. Glücklicherweise in Böen, aber die haben es in sich. Man muss höllisch aufpassen, nicht auf dem „falschen Pedal“ erwischt zu werden. Leicht könnte einen so eine Böe gefährlich nahe an den Abgrund bringen. Zumal es durch das ewige Gerüttel und Geschüttel sowieso schon immer wieder zu Instabilitäten und Wacklern kommt. Vor dem Pass bäumt sich nochmals ein mit Serpentinen durchzogene Wand auf. „Nur“ 300 Höhenmeter warten noch, aber die Sturmböen sind unglaublich. Hätte es jetzt Niederschlag, wir sind fast sicher, er fiele als Schnee.

Wir beißen uns durch und als wir bei einer selbstgebrühten Suppe im Windschatten einiger Felsbrocken in der Sonne sitzen, sind wir schon wieder versöhnt mit der Welt. Allzu lange gönnen wir uns nicht, wissen wir doch, dass noch etliche Anstiege über das unsägliche Kopfsteinpflaster auf uns warten. Die Straße verläuft ab hier als Höhenstraße, was natürlich dennoch ein Auf und Ab nicht ausschließt. Leider wird sie jetzt noch schlechter (ja, das geht) und auch der Sturm legt sich nicht. Im Gegenteil. Man könnte es in manchen Kurven glatt mit der Angst zu tun bekommen. Natürlich steigen wir dann vom Rad, teilweise stemmen wir uns mit dem ganzen Gewicht dagegen, den Kopf gesenkt, um nicht den ganzen Staub und Dreck in Augen (übrigens trotz Brille), Nase, Mund und Ohren geblasen zu bekommen. Die lustigen Böen aus allen Richtungen wirbeln das Zeug aber so geschickt durcheinander, dass sie trotzdem stets eine Öffnung finden, um es zu versenken. Ein schier endlos erscheinender Anstieg führt auf ein kleines Häuschen zu, das schon von weitem zu erkennen ist. Ich bin vorne und erreiche es zuerst. Ich biege um die Kurve und was erblickt mein erschöpftes Auge? Teer. Plötzlich, ganz unerwartet, aber höchst willkommen! Welch‘ ein Freudentanz. Wer schon mal 50 Kilometer mit Gepäck auf Kopfsteinpflaster bergauf gefahren ist, wird nachfühlen können, was ich meine. Jedenfalls weisen auch die Gesichtszüge der wenig nach mir eintreffenden Katrin eine gewisse Erleichterung auf. Kurz schwitzen wir nochmal, als an einem Abzweig das Kopfsteinpflaster in eine Richtung weiterführt – jedoch nicht in die Unsere. Vielmehr folgt eine unglaubliche schöne, ruhige und zügige Abfahrt, verbunden mit nicht minder herrlichen Ausblicken, wie schon den ganzen Tag über. Mit dem kleinen Unterschied allerdings, dass wir nun auch wieder Zeit und Lust haben, diesen zu frohlocken. Übermütig werden wir nicht, sind wir doch wie immer glänzend vorbereitet und haben das Höhenprofil (diesmal herzlichen Dank an Philip für die rasche Hilfe) im Kopf. Nochmal müssen 500 Höhenmeter überwunden werden, was uns aber auf dem schönen Teersträßchen, den wunderbar angelegten Kurven und der atemberaubenden Landschaft fast schon mühelos gelingt. „A so a scheener Doog“, wie das faschingstrunkene Völkchen zu Hause wohl gerade singen würde.

Die spannende Frage, was denn nun in dem nächsten Mini-Ort Wujie an Unterkünften auf uns wartet, wird zu unserer vollsten Zufriedenheit beantwortet. Die Straßen sind wie ausgestorben – gut, das hatten wir jetzt nicht wirklich anders erwartet – ein Hotel hat geschlossen – das hatten wir jetzt schon weniger erwartet – ein paar Bewohner vermitteln uns an ein kleines Gästehaus, super sauber, mit heißer Dusche und die Besitzerin schleppt sogar unser Gepäck ins Zimmer – das hatten wir aber schon gar nicht erwartet. Jedenfalls hat auch ein kleines Restaurant auf der anderen Straßenseite geöffnet, die muslimischen Besitzer freuen sich sichtlich uns bekochen zu dürfen und tun dies auch ganz hervorragend. Zufrieden uns super satt drollen wir uns in den Kühlschrank – 10 Grad weiß das Schweizer Sackmesser zu berichten.

16Feb2010

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