Der Glaube versetzt nicht immer Berge

11.02.2010 (m) – Ning’er-De’an: 73 km, 1200 Hm

Ab Ning’er befindet sich der Expressway im Bau. Dies bedeutet für den alten Highway (besser genannt die „Bundesstraße“) nichts Gutes, hat er doch die Bürde zu tragen, sämtlichen Verkehr, der ab hier Yunnans Hauptstadt Kunming ansteuert, aufzufangen. Da haben wir mit unseren Rädern sicher nichts verloren. Und so machen wir uns nach dem morgendlichen Suppen-Tuning (dies wird hiermit offiziell als regionale Besonderheit verankert) auf die Suche nach dem Vorgänger der Bundesstraße. Straßenbau verläuft in China häufig nach Generationen. Straßen werden nicht unbedingt ausgebaut, nein, Straßen werden oft neu gebaut. So entstehen mit der Zeit Teerbänder der ersten, zweiten und dritten Generation, ergo, ganz alte, alte und neue, oder auch Schotter-/Holperpisten, kleine bis mittlere Teerstraßen und vierspurige Autobahnen. Wir wollen natürlich Straßen der ersten Generation! Gemäß einer Beschreibung, die wir im weltweiten Netz gefunden haben, soll es die auch für den heutigen Streckenabschnitt geben. Obwohl die Onlinekarten nichts dergleichen aufweisen, glauben wir fest an die Existenz dieser Verbindung. Auf der großen Straße verlassen wir den Ort, lassen den Abzweig nach Westen (Jinggu) links liegen und schauen ganz gebannt auf jede sich auftuende Abzweigung. Immer wenn wir glauben, dass dies die gesuchte Straße sein könnte, fragen wir ortsansässige Personen, was jedoch nicht gleichbedeutend mit ortskundigen Personen ist. Oft geraten die Gefragten untereinander in Streit, ob und wie und wo und überhaupt! Als wir das erste „Toll Gate“ durchfahren und wir uns zwischen Bussen, Minibussen und LKW auf einer doch nur relativ breiten Straße wiederfinden, wähnen wir uns schon auf dreißig eher nervigen Kilometern. Doch plötzlich tut sich nochmals eine Alternativroute auf. Und tatsächlich scheinen auch ein paar Leutchen vor dem Haus, das hier steht, zu wissen, dass wir über die alte Bergstraße in den gewünschten Ort Mohei kommen. Na also. Nichts wie rauf. Erst gilt es noch einen winzigen Ort zu durchqueren, dessen Bewohner sichtlich überrascht sind, uns hier anzutreffen. Schließlich erwidern sie aber doch unsere freundlichen Gesichtsausdrücke, Katrin palavert kurz und wir machen ein paar nette Bilder. Bald finden wir uns auf einer Staubpiste wieder, dessen Belag in der Sonne so weiß erscheint, wie ein karibischer Strand. Verkehr ist natürlich keiner und so kurbeln wir glücklich und zufrieden nach oben. Die Passhöhe scheint nahe, denn das Tal schnürt sich zu, wir raten und schätzen ob es eher links oder rechts hindurchgeht. Genau genommen geht es dann aber nirgends durch. Es sei denn man wäre gewillt sein Rad samt Gepäck über Steinstufen in den Wald hinauf zu schleppen und noch ein paar hundert Höhenmeter zu überwinden, bevor man sich verläuft. Wir befinden uns eben auf der „Alten Pferde- und Teestraße“. Räder kommen in dieser Geschichte nicht vor. So sehr wir uns auch eine Fortsetzung des Sträßchens wünschen, so sehr wir an sie geglaubt haben, es hilft nichts. Es bleibt nur der Rückweg ins Tal.

400 Höhenmeter und 10 Kilometer später stehen wir also wieder unten an der Straße und befinden uns auf Augenhöhe mit den Blechkisten. Der Belag ist zwar in gutem Zustand, beängstigend wirkt jedoch der Straßengraben, der in etwa zwei Meter tief ist. Betoniert, versteht sich. Die Frage nach etwaigen Ausweichmanövern stellt sich hier erst gar nicht. Auf der Habenseite verbuchen wir eine mäßige Steigung und einen Rückensturm. So fährt es sich fast wie in der Ebene. Das kleine Pässchen auf gut 1700m überfahren wir schließlich und rauschen in einer tollen Abfahrt – nur unterbrochen von notwendiger Nahrungsaufnahme in einem überquellenden Restaurant (wenn das mal kein „Buzzle-Faktor“ ist) – ins Tal. Dieses öffnet sich ein wenig und wir genießen ein herrliches Panorama. Die Hänge in den tieferen Regionen sind terrassenförmig bearbeitet. Manche warten mit Wasser gefüllt auf ihre nächste Aufgabe, andere stehen kurz vor der Ernte und winken mit ihrem Getreide im Wind. Weiter in der Ferne ragen bewaldete Berge auf, die hier schon wieder über 2000 Meter hoch sind. Auch wenn ich mich wiederholen muss: Die herrliche Landschaft unter blauem Himmel, das schöne Licht, die warme Luft, all das macht das Radfahren wieder einmal zum Genuss. Als der Expressway beginnt und den Verkehr aufnimmt, gehört die alte 213 Richtung Kunming wieder uns alleine. Hier gibt es wohl nur zwei Straßengenerationen. Längst vergessen ist der morgendliche Extra-Workout, der uns ja immerhin mit schönen Ausblicken und einem einsamen Passsträßchen verwöhnt hat.

Apropos Passsträßchen. Es beginnt, als wir nach Norden Richtung Zhenyuan abbiegen. Die 500 Höhenmeter verteilen sich über insgesamt 15 Kilometer, so dass eine erträgliche Steigung übrigbleibt und wir weiterhin die tolle Umgebung genießen können. Wie im Bilderbuch ziehen die Berge, Felder, Hütten, Häuser und deren Bewohner an uns vorbei. Das Herz könnte einem übergehen vor Freude – nein, nicht könnte, es geht! Plötzlich macht die Straße einen 90° Knick und wir befinden uns in einer schattigen Schlucht, dicht am Fluss. So geht es noch einige Kilometer bis De’an dahin. Direkt nach der Ortseinfahrt weckt ein großer Neubau unsere Aufmerksamkeit. Die am Eingang baumelnden roten Lampions und die Zimmernummern in den oberen Stockwerken lassen Gutes vermuten. Tatsächlich wartet hier wieder mal eine neu erbaute Herberge auf uns. Wie mit einem Zimmerpreis von vier Euro die Unkosten des Baus jemals gedeckt werden sollen, wird uns ein Rätsel bleiben.

Bevor die Herbergsmutter für uns aufkocht, durchstreifen wir noch den kleinen Bergort. Wir vergleichen ihn mit einem Örtchen in Südtirol und malen uns aus, wie es hier wohl mal zugeht, wenn die Chinesen auch richtig in die Berge wollen und nicht nur irgendwelche angelegten Steinstufen hinauftappeln. Dann bräuchte es aber auch sowas wie den chinesischen DAV! Stattdessen  finden wir aber ein fast idyllisches Dorf vor, das zahlreiche alte chinesische Häuser aufweist, die, aus Ziegeln und Holz erbaut, exakt so dastehen, wie es unserem Chinaklischee entspricht. Am Dorfmüllplatz schmort das übliche Müllfeuer, während ein altes Männlein mit Gehstock einen noch verwertbaren Emaille-Teller und ein paar Metallstangen rettet. Wie wohl überall auf der Welt schrauben ein paar Jungs an ihren Mofas und Motorrädern herum, vor der Polizeistation spielen ein paar Kinder Basketball, viele andere Bewohner stehen auf der Straße und ratschen. Wenn es jetzt noch eine Müllabfuhr, eine Straßenreinigung und so etwas wie einen Dorfplatz mit einem Café oder einer Bar gäbe, zählte dieses Fleckchen – aus Sicht des Europäers –  wohl zu den lebenswerteren Orten in China. Ich bin aber sehr sicher: Die Menschen fühlen sich auch so ziemlich wohl hier.

11Feb2010

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