Deggendorf – Fuhrt im Wald
Pohona Flusscamping – Pernarec – Unesov – Krsy – Ütery – Tepla
Tag drei der Tour – da sind sich alle einig: müde! Doch spätestens nach der 14%igen Steigung zurück hinauf auf die Straße sind alle Muskeln (sch) wach. Zum Radeln ist der heutige Abschnitt wunderbar. Es dauert zwar eine Weile bis klar ist, wie wir die Route durch die Prärie legen und auf dem GPS zeichnet sich auch eine leichte Zickzacklinie ab, aber aus Sicht eines Genussradlers gibt es nichts zu beanstanden: Fast autofreie Landsträßchen winden sich über die Hügel, steigunsmäßig immer knapp gerade noch nicht zu steil, lange Waldpassagen auf bestens präparierten Wegen dienen der Abwechslung.
Ansonsten gibt es nicht viel. Die wenigen Häuser, die ab und an neben der Strecke stehen blicken verloren oder gar verlassen drein – von Dörfern kann kaum die Rede sein. Von belebten Dörfern ganz zu schweigen. Der einzige, der hier noch bleibt ist der Landbesitzer mit Kornfeld und Mähdrescher. Wir treffen niemanden, mit dem man hätte sprechen können.
In Tepla-Stift steht wie der Name schon sagt ein berühmtes großes Kloster – eine Pfadfinderhorde entert es gerade, als wir passieren. Um unnötige Extrakilometer zu vermeiden, fahren wir direkt in den Hügelort hinauf – die zuckenden Muskeln verlangen nach … Pizza und Schnitzel. Die Kombination des Tages. Der obligatorische Camenbert hat nur eine sehr kurze Standzeit auf dem Tisch. Mit „Kofola“ kommen wir in den Genuss einer echt böhmischen Spezialität. Sieht aus wie Dunkelbier, ist aber Fassbrause. Gut.
Der Campingplatz liegt in der Ebene, das heißt unsere Rechnung ging auf. Gemütliches Einrollen zum Standplatz direkt am See – es gibt hier zwar nicht viel, aber alles, was den Tag perfekt macht: Ein großer Krug Dunkles vom Fass auf dem Steg am See bei Sonnenuntergang.
Tepla – Mnichov – Horny Slavkov – Loket – Karlovy Vary – Sadov
Streckenmäßig braucht es für heute keine ausführlichen Beschreibungen. Es geht so weiter wie die Tage zuvor: ruhige Straßen, viele Steigungen, geringe Besiedelung – perfekt zum Radtouren.
Ab Horny Slavkov ändert sich das Ganze. Das liegt nicht daran, dass wir uns mit mittelprächtigen böhmischen Spezialitäten wie „dickes Stück rote Bratwurst“ oder „Schwarzbrot mit Hühnchenfleisch in roter Soße“ den Magen vollhauen, sondern vor allem an der anschließenden acht Kilometer langen Abfahrt nach Loket, das malerisch über dem Fluss Ohre (Eger) thront. Als „Rothenburg Tschechiens“ eilt ihm ein sehenswerter Ruf voraus – aber außer mir will das niemand sehen.
Also drehe ich alleine eine kurze Runde und meinen Kaffeelöffel im Lavazza – aber das macht nicht so richtig Spaß. Meine Laune bei der Weiterfahrt hebt sich erst mit der Zeit durch die wunderschöne Strecke entlang des Flusses bis ins mondäne Karlsbad. Der krasse Gegensatz zu den letzten Tagen. Dicke Autos von (dicken) Leuten mit dicken Gelbeuteln stehen vor den Hotels. Die Kennzeichen reichen von Russland bis in die Schweiz. Ich frage mich, warum den reichen Leuten so etwas dann auch immer gefällt. An der öffentlichen Quelle steht eine Menschenschlange unter dem Wandelgang aus verschnörkeltem Metall. Jeder will sein neu erworbenes Porzellan- Schnabeltässchen mit Heilwasser füllen. Wenn man schließlich schon mal da ist. Die Stadt an sich ist von sehr viel Grün durchzogen – für ausgedehnte Spaziergänge von Kurenden und Kurschatten. Wir möchten eigentlich nur Geld abheben – doch das ist leichter gesagt, als getan. Wir versuchen es an mindestens sechs verschiedenen Automaten, doch ohne einen halsabschneiderischen Wechselkurs zu akzeptieren haben wir keine Chance. So ziehen wir unverrichteter Dinge von Dannen.
Der Campingplatz in Sadov akzeptiert auch Euro – zwanzig davon für eine Nacht für uns. Letztlich lassen wir uns auf den Deal ein. Lektion eins: Verkalkuliert mit Geldabheben und Einkaufen – auch das gehört zu einer Individualreise, muss Julian lernen. Mit dem Plan essen zu gehen steuern wir im Abendlicht noch das sieben Kilometer entfernte Ostrov an. Aber, Lektion zwei folgt sogleich: Sieben Kilometer sind nicht gleich sieben Kilometer. Heute Abend bedeutet das zwei Hügel hinauf und dann ziemlich weit hinab in die Ebene. Jeder Meter wird im Kopf bereits bereut, doch umdrehen ist keine Alternative. In Ostrov beschließen wir, lieber einzukaufen und bei Tageslicht zurück zu fahren. Die Straße ist doch eine recht schnell befahrene und in Dunkelheit sicher nicht ungefährlich. Zwanzig Minuten bleiben gerade noch, um die Menüideen im Penny auszuleben und gerade so schaffen wir es alles zu verstauen. Die Berge hinauf geht es leichter als vermutet, doch hinunter wohl wie von selbst, wie sich kurz vor dem letzten Berg zeigt: ein dicker Mountainbiker kommt entgegen gerast, quert in voller Fahrt die Straße, rauscht mir auf meiner Seite im unbefestigten Bereich entgegen und baut kurz vor mir einen kapitalen Sturz mitten hinein in die Fahrbahn. Wenige Meter vor mir wird er vom Teer gebremst und bleibt wie bewusstlos liegen. Allerdings war er zwar nicht bewusstlos aber doch nicht bei vollem Bewusstsein. Als ich es mit der Androhung „Ambulanz!“ schaffe, dass er aufsteht, damit ich ihn von der Straße wegbringe rieche ich schon, dass er im wahrsten Sinne „sturzbetrunken“ ist. Die Fart-Gun ist eingeschalten, die Fahne schwenkt voraus und von alleine Stehen kann keine Rede sein. Doch „dobr, dobr,…“, ja klar, es geht ihm gut. Abgesehen vom Schock, dem völlig aufgeschürften oder gar gebrochenen Arm, dem Jochbeinbruch und der zerdepperten Brille. Klar, er hätte ja auch tot sein können. So gesehen. Alles gut. Vor allem für uns, da sich ein anderer – nicht ganz sturz- aber doch besoffener Tscheche von seinem Fahrrad runter winken lässt und sich des Falls annimmt. Wir suchen das Weite und sind froh, als wir zwei Kilometer weiter in den sicheren Hafen des Campingplatzes einbiegen – denn so etwas vielleicht noch hinterm Steuer… von wegen „dobro“!
Sadov – Horni Blatna – Johanngeorgenstadt – Bahnhof Breitenbrunn
Zum ersten Mal auf dieser Tour gibt es die Höhenmeter mal am Stück serviert. 650 davon geht es hinauf ins Erzgebirge. Wieder radeltechnisch äußerst reizvoll die Streckenführung.
Die tschechische Seite von Johanngeorgenstadt gleicht einem Straßenzug in Südostasien. Die typischen Häuser des Gebirgsortes sind kaum mehr zu erkennen, alles wurde in einen Bazar a la Kaosan-Road umgewandelt. Vor den Ständen und in den dunklen Martkhallen sitzen Vietnamesen. Unschwer zu erkennen am spitzen Strohhut. Wir brauchen eine Weile um die Szenerie zu fassen, so unglaublich skurril ist sie. Busladungen von Deutschen werden hier her gekarrt, um chinesische Erzgebirgsspitzendeckchen beim Vietnamesen – von den Sachsen übrigens „Fidschi“ genannt – billig zu kaufen. „Hölt döine Dasche fest!“, warnt ein beleibter Sachsenrenter seine Frau, die auf einer Holzbank etwas Erholung vom Kaufrausch sucht. Ja klar, sie sind im Ausland – und dem Augenschein nach wohl ziemlich weit weg von zu Hause. Da kann man nicht vorsichtig genug sein, in diesem Asien!
Für uns heißt die Rückkehr nach Deutschland auch gleich wieder mehr Autos. Mehr und mehr und mehr werden sie, so dass wir uns entschließen, die Tschechien-Radtour am kleinen Bahnhof von Breitenbrunn zu beenden.
Mit dem Sachsenticket bummeln wir gemütlich über Zwickau in den Süden Leizpigs und zum Ausklang geht es auf den Camping „Neuseenland“ am Markkleeberger See.
Aus den ehemaligen Braunkohleförderlöchern ist ein richtig tolles Naherholungsgebiet geworden. Ich genieße noch ein Bad im See und im Anschluss Thüringer im Brötchen aus der Campingpfanne als Vorspeise. Die Hauptspeise folgt sogleich – sowohl vom Abendessen als auch vom Sommerurlaub 2017.
Nach einem Stopp bei den Bagel-Brothers bringen wir Julian zum Hauptbahnhof Leipzig und setzen ihn in den richtigen Intercity nach München.
Der Rest des Tages gehört uns. Wir haben viel vor – doch das einzige, was wir von unserem „Plan“ schaffen ist Wäschewaschen im Apartment „Pop Art“, in das wir uns eingebuchtet haben. Im Altbau ganz wie normale Bewohner sitzen wir trotzdem am späten Abend zufrieden auf dem Balkon. Wir haben eine große Runde durch die sommerliche Stadt gedreht, im Biergarten Felsenkeller herumgehangen, die Krypto-Party gegen ein Dunkelbier im „nato“ ausgespielt und uns vom Flair der Stadt anstecken lassen. Hierher müssen wir sowieso zurückkommen. Doch jetzt geht es erst mal nach Norden.
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