Obwohl wir uns schon lange darauf gefreut haben, endlich auch Teile des spanischen Hinterlandes zu erobern, geben wir dem Mittelmeer bei unserem vorerst letzten Bad ein paar salzige Tropfen mit auf den Weg. Es ist weniger die Tatsache, dass wir nun ein neues Kapitel unserer Reise aufschlagen, die uns ein wenig sentimental werden lässt. Vielmehr wird uns in solchen Momenten bewusst, dass das ganze Leben letztlich aus kleineren und größeren Abschieden besteht. So wird uns vielleicht auch einmal mehr unsere eigene Vergänglichkeit bewusst. Ganz so dramatisch, wie diese Zeilen klingen, war es natürlich nicht, denn das Schöne am Reisen ist: Es geht weiter!
Und schon beim schweißtreibenden Anstieg nach La Vall d’Uxio verdrückt sich das leichte Unbehagen im Magen und die Vorfreude steigt mit jeder Pedalumdrehung. Die Abenteuerlust ist einfach stärker als jeder miese Gedanke!
Die Route führt uns zunächst durch das hügelige Hinterland von Valencia und über einen kleinen Pass ins Tal des Rio Palancia. Unser Ziel ist der längste Bahntrassenradweg Spaniens, der fast 200 Kilometer lange Ojos Negros. Schon nach kurzer Fahrt sind wir selig. Traumhaft schön schlängelt sich die Straße das Tal hinauf, der Autoverkehr interessiert sich kaum für diese Verbindung. Eine rasante Abfahrt später können wir in Soneja an den Ojos Negros andocken.
Insgesamt 15 Tunnel und fast 40 Brücken oder Viadukte erwarten uns in den nächsten Tagen. Dazu: Bestens präparierte Schotterwege und so gut wie kein Autoverkehr. Das klingt nach einem Leckerbissen für Radfahrer – und ist es auch. Früher zuckelte hier eine Schmalspurbahn und brachte die erzhaltige Ware aus den Minen von Ojos Negros in der Sierra Menera zum Hafen von Sagunto am Mittelmeer bei Valencia. Zum Glück für uns war es der Minengesellschaft zu teuer, die Güter auf der bereits bestehenden Bahnlinie der Compania del Ferrocarril Central de Aragón zu transportieren. Sie beschloss, eine eigene Strecke zu bauen. Ein noch größeres Glück ist es aber, dass die Strecke mit all ihren Brücken und Tunneln nicht einfach dem Verfall preisgegeben wird, sondern aufwendig instand gehalten wird und so zu einem besonderen Erlebnis für Radreisende wie uns wird.
Das Meer vermissen wir erst mal nur wegen der großen Hitze, die sich aus Afrika nach Spanien aufgemacht hat und dem Land die erste große Hitzewelle des Jahres beschert. Während Andalusien und die Extremadura mit Temperaturen zwischen 45° bis 48°C kämpfen, hat es hier „oben“ (auf ca. 1000 Hm) meist nur gut 35°C. An eine Abkühlung zu kommen, ist hier nicht ganz so leicht, wie ein Spaziergang zum Strand. Die Flüsse sind entweder längst trocken oder schlecht zugänglich oder nurmehr ein braunes Etwas. Wahlweise auch mehreres davon. Glück haben wir in Navajas, wo wir nach einem kurzen Gravel-Pfad an Wasserfall „Cascada del Tío Juan“ landen und uns – nachdem uns das eine Gruppe spanischer Reisender vorgemacht hat – auch unter die Wassermassen stellen, die 40 Meter im freien Fall auf uns herniderprasseln. Extrem beeindruckend und sehr erfrischend! Dann aber der Gedanke: Was, wenn ein Ast oder ein Baumstamm oder ein Stein mit über die Kante fließt? Schnell genießen heißt es, dann treten wir den Rückzug an und beobachten das Treiben rund um den Wasserfall aus sicherer Entfernung.
Das Schöne an Bahntrassenradwegen ist, dass die Steigungen fast immer unter 2 % liegen. Wir merken zwar, dass es nicht so schnell geht, aber es ist auch nicht wirklich anstrengend. Bis wir am dritten Tag Teruel erreichen, sind wir 1000 Höhenmeter vom Meer entfernt. Dazwischen liegt noch eine Übernachtung direkt am Radweg bei Sarrion. Das „La Casa de la Estación“ verwöhnt uns mit kühlen Getränken, einem fahrradfreundlichen Gastgeber und einem grandiosen Abendessen. Wegen der Hitze verschmähen wir allerdings das (wirklich schöne!) Zimmer im Dachgeschoss und tauschen es gegen eine Nacht im Zelt zwischen Ameisen, Dornen und Steinen. Die Isomatte hält aber dicht und die Ameisen beißen nur beim Zeltaufbau und beim Ein- und Aussteigen. Die folgende Nacht ist herrlich kühl und wunderbar ruhig!
In Teruel erreicht die Hitzewelle ihren vorläufigen Höhepunkt und wir sind froh, gegen Mittag in ein ordentliches und doch angenehm kühles Hotel verschwinden zu können. Der erste Versuch, um 17 Uhr die Stadt zu erkunden, scheitert kläglich. Die Hitze umarmt uns derart heftig, dass wir es genau 300 Meter weit bis zum nächsten Café schaffen. „Dos cortados“ später schlappen wir mit einem 5-Liter-Kanister Wasser wieder ins Zimmer. Wenn es noch einer Erklärung bedurft hätte, warum es in südeuropäischen Ländern eine Siesta gibt – hier ist sie. Und zwar beein-„drückend“! Am späteren Abend erwacht die Stadt, die Plätze und Bars füllen sich – es ist herrlich, sich mit den Einheimischen auf den Weg zu machen, um die kulturellen und kulinarischen Feinheiten und das wahre Leben Teruels zu erleben.
Schon nach wenigen Tagen hat uns das spanische Hinterland in seinen Bann gezogen und es motiviert uns, nach den vielen Ruhetagen am Meer wieder in den Reisemodus zu schalten. Fahren, entdecken, erleben – jeden Tag Neues: neue Menschen, Landschaften, Zeltplätze. Das lieben wir! Im Gegensatz zu Sizilien trauen wir uns auch wieder auf die ganz kleinen Straßen und genießen die Ruhe in der faszinierenden Umgebung. Dazu die Gastfreundschaft und die Kulinarik Spaniens. Wir sind – wieder mal – ganz selig!
Hinter Teruel verlassen wir den „Ojos Negros“ und tauchen in die Sierra de Albarracín ein.
Eine wilde Landschaft, die mit ihren bizarren Felsformationen auch Kletterer aus der ganzen Welt zum Bouldern anlockt.
Und selbst Kulturliebhaber kommen auf ihre Kosten, finden sich an einigen Felsen prähistorische Malereien – nicht immer leicht zu finden. Man könnte sie auch Suchbilder nennen. Das hier ist noch das einfachste (unten im Bild, das ist die Suchhilfe):
Albarracín liegt tief im Osten Aragoniens wirkt fast magisch auf uns. Der kleine Ort wurde zur Zeit der Berberdynastie und des Taifa-Kalifats gegründet und erhielt in dieser Zeit auch seinen Namen. Die Festung mit dem Alcázar stammt aus dem 10. Jahrhundert. Wir sind fasziniert! Der Rio Guadalaviar – hier noch ein schüchternes Flüsschen – schlängelt sich um den Felsen, auf dem die Stadt erbaut ist. Wir folgen einem kleinen Pfad, zunächst befahrbar. Nach kurzer Zeit stehen wir vor einer großen Treppe und hieven unsere Stahlrösser schließlich über schmale Stege, kleine Pfade und viele Stufen hinauf in die Stadt. Schweißtreibend, aber spektakulär schön.
Das heranrollende Gewitter bemerken wir im Gassengewirr erst recht spät, schaffen es aber noch rechtzeitig zurück zum Campingplatz. Was sind wir froh, das Gewitter bei einem Feierabendbier und nicht mitten in der Nacht im Zelt zu erleben. Kategorie: heftig!
Am nächsten Tag können wir weiter die Einsamkeit Aragoniens genießen und unsere Augen können so viel Schönes aufnehmen. Wir kurbeln vor uns hin und es ist einfach herrlich. Und so wird der Plan, ab Orihuela del Tremedal langsam aber sicher ins Ebrotal hinabzufahren und über Calatayud nach Pamplona zu fahren, schnell zu den Akten gelegt. Zu unattraktiv. Attraktiv ist das hier, und davon wollen wir mehr:
Wie in vielen anderen Ländern, die wir bereist haben, schätzen wir auch hier die kleinen, unbekannten Orte. Es ist interessant, für kurze Zeit in das Dorfleben einzutauchen und zu spüren, dass man an diesem oder jenem Ort willkommen ist. Auf dieser Fahrt durch das Hinterland war das zum Beispiel Orihuela de Tremedal, das wir fast verpasst hätten, weil wir lieber zelten wollten. Ein Gewitter, das sich mächtig vor uns aufgetürmt hatte, gab uns grollend zu verstehen, dass wir lieber umkehren und in einer kleinen Pension übernachten sollten. Na gut! Dass wir das Zelt dennoch dem Bett vorziehen, dafür kann die Vermieterin natürlich nix.
So richtig will die Hitzewelle noch nicht weichen. Wir reagieren pragmatisch und starten „einigermaßen“ früh, um die Etappen dann „relativ“ zeitig wieder zu beenden. Die Anführungszeichen lassen es erahnen, so richtig mag das nicht immer gelingen. Und so brennt sich der ein oder andere zu heiße Kilometer in unser Gedächtnis ein. Eine Faustregel leiten wir aus dieser Erfahrung ab: Wenn die maximal erreichbare Geschwindigkeit auf den nächsten zehn Kilometern unter der aktuellen Temperatur bleibt, dann sollte es an der Zeit sein, die Etappe zu beenden. Die Schlucht des Rio Gallo und der Aussichtspunkt am Santuario de la Virgen de la Hoz lohnen es auf jeden Fall, nach der Besichtigung um 15 Uhr auf zehn Kilometern bei fast 40 Grad bis zum Etappenziel nach Molina de Aragón im eigenen Saft zu schmoren.
Das 3000-Seelen-Städtchen begeistert uns mit seinem maurischen Erbe. Seine Burganlage aus dem 10. Jahrhundert thront über der im Winter mit am kältensten Stadt Spaniens. Davon ist aktuell leider nicht viel zu spüren!
Und so kommt es, dass wir uns (nachdem wir uns einen Anschiss abgeholt haben, weil wir unsere Räder nachts in der Unterkunft an ein wohl paar sehr edle Holzbalken gelehnt hatten), vom (unterdessen wieder friedlichen) Besitzer überzeugen lassen, nicht auf direktem Weg zum Camping am Stausee des Rio Piedra bei Nuévalos anzusteuern. Nein, wir sparen uns die der Sonne ausgesetzte Hauptstraße und wählen den „Umweg“ durch eine der spektakuläreren Schluchten Spaniens: den Canyon del Rio Mesa. Und es sollte sich lohnen – einfach nur: Wow!
Der Stausee liegt wunderschön, der Campingplatz eingentlich auch – so richtig zündet die Gegend für uns aber nicht. Touristisch und doch lost, ruhig gelegen und doch irgendwie zu laut. Für eine Nacht ist’s recht und doch flitzen wir in aller Früh motiviert ins Tal des Rio Jalon, huschen durch den alten Thermalort Alhama de Aragón, vorbei am weltbesten spanischen Frühstück (direkt an der Autobahn) und sind schnurstracks auch schon wieder auf der Geraden ins Glück – hinein ins spanische Niemandsland.
In trauter Zweisamkeit genießen wir die Einsamkeit, Stille, Natur – pur. Die Geier, die über uns kreisen werden zu vertrauten Begleitern. Soziales Leben gibt es auf diesem Abschnitt nurmehr in einigen kleinen Weilern, und dort jeweils auch nur im örtlichen „Club Social“. DER Anlaufpunkt für Alt und Jung – pardon – nur für Alt. Die Dörfer im spanischen Hinterland leiden wie viele ländliche Regionen weltweit unter massiver Landflucht. Während die „Jungen“ in Madrid, Barcelona & Co ihr Glück suchen, bleiben in den rauen Bergen und auf den staubigen Äckern ein paar alte Bauern und die nur noch Alten zurück. Der „Club Social“ soll das kleine, alte Herz der Gemeinden weiter schlagen lassen.
Brot, Kaffee, Billard, ein Gläschen Wein und die Neuigkeiten aus dem nächsten Dorf. Wie wird das Wetter, ist die Straße passierbar, wo stand das Hochwasser? Dieser kleine Austausch und das Gefühl, dazuzugehören, der Kitt fürs soziale Miteinander. So verschieden die Menschen sind, so ähnlich sind sie sich doch.
Campingplätze gibt es hier draußen nicht, warum auch? Wir rollen nach einer „Birding“-Etappe (unglaublich, wie viele Vögel man nur durchs Hören sehen kann!) steil hinab nach Serón de Nagima. Eine Mini-Pension, die wohl mal ein eine große Wohnung war, gehört fast uns allein. Fast – ein IT-ler aus der fernen Stadt hat irgendwas vor Ort zu werkeln und wir sehen uns öfter: in der kleinen Unterkunft oder im „Club Social“ (in diesem Fall ist es die Dorfkneipe). Hier trifft sich der größte Teil des Dorfers nachmittags, abends und dengelt sich nachtwärts. Die einzigen, die hier richtig schuften und dabei herzerwärmend strahlen, das sind die Betreiber der Bar, ein Paar aus Ecuador. Sie schmeißen die Küche, rocken die Bar und betreiben einen kleinen Laden, so wie wir das füher im Kinderzimmer als „Kaufladen“ gemacht haben.
Am nächsten Morgen gibt es erst Nudeln mit Ei und dann hat die Dorfkneipe doch schon auf. An einem Kaffee und ein paar Portionen Tostada kommen wir natürlich nicht vorbei! Doppelt befüllt kurbeln wir wunderschön am Rio Nagima flussaufwärts. Viele Schweißperlen später dürfen wir hinabsausen, und da ist er: der Rio Duero. Viele, viele hunderte Kilometer weiter wird er sich, tief im Westen, in Portugal als Rio Duoro bei Porto in den Atlantik ergießen. Als „kleiner Brauner“ muss er sich ab hier seinen späteren Status als Fluss aber erst noch erarbeiten.
Für uns wird der Duoro ab hier eher kleiner, folgen wir ihm doch in Richtung seiner Quelle. Sehr oft grüßen wir uns allerdings nicht. Während das Flüsschen munter mäandert, macht die Straße kurzen Prozess. Schnell sind wir (ohne Fluss-Blick) in Soria. Schon von weitem gefällt uns die Stadt nicht. Hochhäuser auf einem Hügel. Der Camping liegt viele Kilometer außerhalb und zu guter Letzt füllt sich dieser bei unserer Ankunft mit Festival-Party-Volk. Nicht, dass wir das grundsätzlich nicht mögen. Aber auf eine Zeltnacht à la „Wacken“ haben wir heute so gar keine Lust. Die Sonne steht noch hoch und wir trauen uns locker noch 40 Kilometer auf dem Via Verde Santander – Mediterranéo bis zum Stausee des Rio Ebrillos zu. Und das lohnt sich!
Abejar hat nicht viel. Freundliche Bewohner, eine Tankstelle mit dem Nötigsten für ein gutes Abendessen und einen feinen Campingplatz (sogar mit Swimming-Pool). Mehr als genug, um diesen Tag mit seiner wunderbaren Etappe abzurunden.
Ab hier geht es noch mal richtig in die Berge. Wir haben ein optimales Wetterfenster für das Vorhaben und können uns genüsslich in die Überfahrt bis Logroño stürzen. Vorbei am hübschen Stausee Embalse de la Cuerda del Pozo kurbeln wir nach Vinuesa, dem letzten – sehr touristischen – Ort vor dem Passübergang Puerto de Santa Inés. Wer auf endlos lange Geraden bei zweistelligen Steigungswerten auf überbreiten Straßen steht: This is your ride! Als sportlich (und psychisch) sehr herausfordernd, aber auch wunderschön bleibt uns diese Auffahrt in Erinnerung.
Bis zur Passhöhe (hier gibt es sogar einen Skilift!) gleicht die Landschaft der in den Wäldern Skandinaviens, um sich dann auf der Nordseite bis Montenegro bzw. Villoaslasda de Cameros in feinstes Bergpanorama zu verwandeln.
Gekrönt wird die Etappe von einer Nacht auf dem Camping Los Cameros, im Tal des Rio Iregua, selbstredend noch mal 200 Höhenmeter bergan. Am Ende eines Tages mit vielen, vielen Höhenmetern. Der sehr naturbelassene Platz liegt direkt am Flüsschen und bietet Zelt-Camping „at its best“!
Gut ausgeruht geht es dann auf eine eher anstrengende Strecke: die dicke Nationalstraße N 111. Wir hoffen, früh genug dran zu sein, um dem dichten Verkehr zu entgehen. Und es klappt gut, schnell rauschen wir auf dem glatten Teerband Richtung Villanueva de Cameros. Nur kurz erschrecken wir vor einer Horde Lastwagen: Was ist hier los? Eine Baustelle, ein Kieswerk? Nein, es ist „nur“ ein Zirkus. Wir lassen die Mehrtonner an uns vorbeidonnern und fahren unbehelligt weiter. Es läuft so gut, dass wir kurz überlegen, gleich bis Logroño auf der N 111 zu bleiben. Aber wirklich nur kurz. Pünktlich um 10 Uhr werden die Abstände zwischen den knatternden Motorrädern immer kürzer. So langsam sind alle wieder mit dem Frühstück fertig – und wir mit dieser Straße!
Wir flüchten über eine kleine Brücke über den Rio Iregua auf die LN 245, die zum Puerto de la Rasa hinaufführt. Lieber einen Pass mit solchem Namen als die aus Blech auf der Straße! 700 hart erkämpfte – dafür aber autofreie – Höhenmeter später schlingen wir unsere belegten Brötchen im Schatten einer Kiefer in uns hinein. Die Shirts kleben an unseren Körpern, wir kippen das restliche Wasser in uns hinein und freuen uns auf den Fahrtwind, den die folgende Abfahrt bringen wird. Fast 40 Kilometer noch bis Logroño, dabei aber über 1000 Höhenmeter hinunter. Ein paar kleine Steigungen folgen zwar noch, fritierte Schweinebauch-Stückchen zwischen feiernden Spaniern (es ist Sonntag) und die Landschaft mit ihrer speziellen Flora und Fauna machen den Abschnitt aber zum reinsten Vergnügen!
Am frühen Abend erreichen wir die „Hauptstadt der Tapas“. Die ganze Innenstadt verwandelt sich abends in eine einzige große Auslage mit Tapas aller Art. Kleine Burger mit gegrilltem Fleisch, gestapelte Champions mit Garnelen, Jamon de Teruel – man weiß gar nicht, wo man anfangen und aufhören soll. Im Herzen der Rioja schmeckt natürlich auch jeder Rotwein und so schlemmen sich Einheimische und Gäste durch die Gassen.
100 Kilometer Luftline trennen uns noch von San Sebastian und damit schließt sich bald ein großer Kreis dieses Sabbatjahres. Dort haben wir unsere Vuelta im Herbst 2022 so richtig begonnen und fast 8000 Kilometer später geht der erste Teil dieser beiden Reisejahre so langsam zu Ende.
Zunächst wandeln wir auf alten Pfaden, fahren wir doch ab hier die exakt gleiche Etappe in Richtung Pamplona, genauer gesagt bis Estella-Lizarra. Wir befinden uns wieder auf dem klassischen Camino Francés. Pilger um Pilger passieren wir (oder sie uns). Knie-Bandagen, wackelnde Anhänger, wabbelnde und stramme Körper, palavernde Frauengruppen ohne Gepäck, Humpelnde, Marschierende, mit Stock, ohne Stock – eigentlich sieht man alles, was man sich wandernd vorstellen kann. Verdichtet, auf engstem Raum, individuell und doch so gleich. Na dann: „Buon Camino“!
Wir klinken uns schnell wieder aus und nehmen lieber einen weiteren Pass in Angriff, der uns schließlich ins immergrüne Baskenland führen wird. Wir tauschen das raue spanische Hinterland gegen das hügelige Gebiet unweit des Atalantiks. Neben vorgezogenen Heimatgefühlen (hat hier schon was vom Allgäu) dürfen wir uns auf die besonders liebevoll gestalteten Tapas-Varianten freuen. Die Passstraße hinauf zum Lizarraga auf über 1000 m.ü.d.M. sieht auf der Karte langweiliger aus, als sie letztlich ist. Lange Geraden zeigt uns die Karte, diese führen aber durch eine einsame Berglandschaft und sind fahrradfreundlich angelegt. Und der Autoverkehr erweist dieser Route keine Ehre. Uns gefällts! Leider hat das Restaurant kurz vor der Tunneleinfahrt am Scheitelpunkt geschlossen. Die Tunnelwände können wir uns noch vom Leib halten, nicht aber die aus Nebel, in die wir auf der Nordseite des Passes hineinrauschen. Egal! Licht an und runter. Die kurvige Abfahrt lässt das Radlerherz höher schlagen.
Ausgehungert schmeckts dann doppelt gut!
Im Tal angelangt fahren wir parallel zu Autobahn und Zugstrecke gen Osten. Es warten keine größeren Steigungen auf uns, so dass wir ohne große Mühe (und landschaftlich schöner als gedacht) zügig vorankommen und kurz hinter Irutzun auf die Via Verde del Plazaola einbiegen können. Bahntrassenradwege kennen wir unterdessen ja nun schon einige und so freuen wir uns schon auf die fast steigungsfreie Variante durch das hügelige Baskenland. Fernab des motorisierten Verkehrs durchfahren wir dutzende Tunnel, darunter einen der längsten Fahrradtunnel Europas – immerhin 2,8 Kilometer lang. Eine wirklich coole Strecke!
Trotz der vielen Tageskilometer schaffen wir es am frühen Nachmittag nach Lekunberri, wo wir auf dem ältesten Campingplatz (Aralar Canpina) des Baskenlandes zunächst fast die einzigen Gäste sind. Ein paar Radfahrer gesellen sich im Tagesverlauf noch dazu. Der kleine Ort hat nicht viel, Tapas und ein, zwei Gläschen Wein (wie immer hervorragend) genügen uns aber voll und ganz.
Und dann ist es soweit, der Durchbruch ist geschafft. Kilometerlang rollen wir ab Lekunberri noch dem Atlantik entgegen. Irgendwann, nach nochmals zig Tunneln und begeisternden Waldwegen, spuckt uns die Via Verde in den Großraum San Sebastians. Hier erwarten uns aber nicht Chaos, Häuserschluchten und Verkehr – nein, sauber ausgebaute und bestens beschilderte Wege führen uns zum Ziel dieses gigantischen Abschnitts: dem Seebad von San Sebastian, direkt am Atlantik.
Vor über 14 Tagen haben wir das Mittelmeer bei Valencia verlassen, mit ein paar Tränchen in den Augen. Nicht wissend – nur hoffend – wie extrem lohnend diese Route sein würde. Jetzt tauchen wir ein in die angenehm warmen Atlantikfluten – ein Abenteuer mehr im Gepäck!