Echter Dschungel

11./12.12.2009 (m) – Bo Y – Attapeu: 112km, 1400Hm

5:30 Uhr. Noch 12 Stunden, dann sollen wir Attapeu in Laos erreicht haben. Noch 12 Stunden, dann ist es wieder dunkel – es ist doch noch nicht mal richtig hell. Jedenfalls hält uns heute gegen unsere sonstige Gewohnheit nichts mehr auch nur eine Minute länger im Bett. Zu straff ist das Programm heute. Zu unserem Erstaunen ist es doch bereits hell, als wir kurz vor 6:00 Uhr aus dem Hotel wanken. Ach ja, Sonnenaufgang heißt ja, dass es vorher schon dämmert…das dämmert uns jetzt auch. Wir fahren die paar Kilometer bis ins Zentrum von Pleikan, bis zum Hotel, von dem aus wir gestern Abend noch ein Taxi zur Grenze klargemacht haben. Wie immer funktioniert alles, was den Transport in Vietnam angeht, wieder einmal tadellos. Ein mittelgroßes, weiß-grünes „Gelände“-Taxi bringt uns zum Grenzort, der eigentlich keiner ist. Vielmehr findet man hier eine überdimensionale Abfertigungshalle, einige hundert Meter davor ein paar Läden und ein Suppen-Restaurant. Um dreiviertel Sieben erreichen wir die Grenze. Die Fahrt war angenehm, der Taxifahrer hat uns die gesamte Fahrt über mit englischem Techno-Disco-Pop à la Barbie-Girl beschallt. Das ist also die Abschiedsmelodie von Vietnam. Per Handschlag entlässt uns der Fahrer mit dem Hinweis doch noch einen Kaffee trinken zu gehen, die Grenze öffne doch erst um sieben, nach Laos. Wir sind allerdings mit dem Beladen der Räder genug beschäftigt und so müssen es Baguette und eine Ovomaltine tun. Pünktlich mit dem Heben des Schlagbaumes treten wir ein. Außer einer Handvoll Moskitos und einem gähnenden Grenzbeamten ist noch niemand da. Streng und konzentriert versucht der vietnamesische Beamte uns „auszuchecken“. Er lässt sich dabei nicht anmerken, dass er mit unserem Pass nicht viel anfangen kann. „Irgendwo muss das doch auch auf Vietnamesisch stehen!?“, scheint er zu denken. Jedenfalls werden die Falten auf seiner Stirn immer tiefer. Schließlich kommt er nach gut 20 Minutendarauf, dass auf unserer Arrival-Card Zweisprachigkeit angesagt ist. Es scheinen Steine zu purzeln, keine zwei Minuten später haben wir unsere Ausreisestempel und rollen auf die lange Gerade Richtung laotischem Grenzposten…beim Blick zurück hängt die vietnamesische Flagge scheinbar traurig vom Mast herab. Wer hätte gedacht, dass die Sabbatradler und Vietnam als so gute Freunde auseinander gehen.

Ein Staubstraße führt zu einem mickrigen Holzhäuschen. Ist ja goldig. Das soll also der laotische Grenzposten sein. Nein, ist er nicht. Ein weiterer vietnamesischer Grenzer prüft nochmals die Stempel. Hätten wir doch wissen müssen, schließlich gibt es hier immer einen der es macht und danach noch einen der es kontrolliert. Ein kurzer Anstieg führt zu drei Holzhäuschen. Jetzt aber endgültig. Ein strenger „Sabbaidii“-Sager sitzt hinter dem Arrival-Schild, blättert, prüft. „Noooo Visa?“. Kopfschütteln. Dann bitte zwei Häusle weiter. Hier ist noch alles verrammelt. Der „Visa“-Meier muss erst angerufen werden. Fünf Minuten später kommt er angewackelt, schön mit feiner Hose und ordentlichem Hemd, frisch gestriegelt. Als er lächelnd in die Hütte eintritt und den Schalter öffnet, schüttelt er sich, reibt beide Arme an sich: „Very cold.“ Wir stehen in kurzen Hosen und T-Shirt davor und freuen uns, dass es erst 22 und noch keine 35° Grad hat. Aber klar, für die Laoten ist jetzt Winter und da ist es nun mal kalt. Es verläuft ansonsten alles reibungslos, ein paar Formulare, 30$ pro Nase, ein Bildchen und schon klebt ein wunderbares Visum samt einem noch viel schöneren Stempel in unserem Pass. Die „coffee, coffee“-Rufe schlagen wir aus, jetzt sollten wir langsam los. 110 Kilometer warten, große Teile davon versprechen hügelig bis bergig zu werden.

Zuerst mal geht es aber auf einer wunderbare, extrem steile Abfahrt hinein in den laotischen Dschungel. Dicht bewachsen, saftiges Grün, echter, ursprünglichster Urwald. Toll! Noch schöner das alles in einer rauschenden Abfahrt an sich vorbeiziehen lassen zu können. Irgendwie ist mir die Abfahrt aber zu steil, da ist ja die ganze Höhe gleich weg. Und so sind wir sehr rasch 600 Meter tiefer und es beginnt eine Achterbahnfahrt. Es gibt nur rauf oder runter. 10%, 12% oder mehr? Jedenfalls ist es extrem steil. Die kurzen, aber ebenso knackigen Abfahrten verschaffen mit dem Schweiß auf der Haut eine angenehme Erfrischung. Bis zum nächsten Anstieg…Die Landschaft bleibt einmalig schön. Menschenleer, fast autoleer, Vogelgezwitscher, Schmetterlinge, große, kleine, bunte Vögel. Urwald. Gerade hindurch eine nagelneue Straße…und wir.

Irgendwann wird aus einem extremen Anstieg ein extrem langer Anstieg, der sich in aberwitzigen Stufen zu einem Handymast, den wir schon aus großer Distanz erspäht haben, hinaufwindet. Es ist abnormal heiß, abnormal steil und einfach nur anstrengend. 600 zähe Höhenmeter geht es nun wieder hinauf, ehe die folgende Abfahrt für Abkühlung sorgt. Das Auf- und Ab hat aber auch danach kein Ende. Auf einem kurzen Schiebestück durch einen Erdrutsch in sengender Mittagssonne sind wir der Ohnmacht nahe…fast ;-) Eine kurze Pause mit Nudelsuppe im Straßengraben kurz zuvor hat wohl schlimmeres verhindert. Hier sei noch zu erwähnen, dass wir, als wir da so sitzen plötzlich ein unheimliches Rauschen, Rascheln, Blasen, ja was auch immer wahrnehmen. Wir rechnen mit faustgroßen Insekten, einem Schwarm Hornissen oder sonstigem, blicken aber irgendwann zum Himmel und sehen da zwei riesige Vögel, deren Schwingen beim Fliegen dieses nie gehörte Geräusch produzieren. Unglaublich!

Jedenfalls überstehen wir auch den nächsten Anstieg einigermaßen wohlbehalten und nach dem folgenden Downhill verflacht sich die Landschaft plötzlich und es folgen 40 nurmehr leicht wellige Kilometer. Die Sonne steht noch recht hoch und so sind wir sicher, das angestrebte Tagesziel rechtzeitig zu erreichen. Immer mehr und mehr Hütten tauchen am Wegesrand auf, zunächst noch extremst einfach uns sehr, sehr ärmlich, dann zunehmend stabiler. Die Menschen sind freundlich, oftmals aber einfach nur baff, was da für zwei bunte Gestalten vorbeifliegen. „Sabaidii“ heißt es ab jetzt, „sin chao“ ist vorbei. Der Urwald weicht langsam einem spärlichen Bewuchs, immer wieder tauchen auch große, gerodete Flächen auf. Wir können uns nicht so recht vorstellen, wie und vor allem von was die Menschen hier leben. Die zahlreichen Opiumpfeifen, auch in den Mündern noch Minderjähriger, geben eine, wenn auch keine zufriedenstellende, Antwort. Viel weiter weg von der Zivilisation kann man hier eigentlich kaum sein. Wahrscheinlich war der Bau der neuen Straße von der Grenze bis in die Provinzhauptstadt Attapeu schon ein Schock für die meisten Bewohner dieser Gegend.

Im Abendlicht erreichen wir Attapeu. Der Reiseführer – immerhin ist diese Stadt hier schon aufgenommen – spricht von der „Gartenstadt“, und meint damit wohl die großzügige Anlage. Schachbrettartig verlaufen die Straßen, wovon nur die Hauptstraßen geteert sind. Jede kleine Nebenstraße versinkt sofort im Staub. Am Straßenrand einfache und einfachste Hütten, offen, teilweise mehr kaputt als ganz. Dies ist sicher auch der Tatsache geschuldet, dass der Taifun Mirinae vor zwei Monaten hier gewütet hat und verheerendes Hochwasser und viele Todesopfer gebracht hat. Leider trifft es oftmals die Ärmsten der Armen besonders hart.

Auf dem Balkon unseres Guesthouses blicken wir in die Abendsonne, erschöpft und froh, dass wir das heutige Abenteuer überstanden haben. Laos, das ist nochmal eine Stufe einfacher, ursprünglicher als alles bisher Dagewesene auf dieser Reise. Die Menschen aber sind wieder einmal unglaublich. Sie lächeln und geben einem das Gefühl, dass der Besucher willkommen ist. So willkommen, dass wir morgen einen Ruhetag einlegen und uns das Städtchen ein bisschen genauer anschauen.

Und das tun wir dann auch. Nach dem Frühstück drehen wir eine Ortsrunde, Sehenswürdigkeiten gibt es keine, dafür jede Menge Ecken mit interessantem laotischem Alltag. Als sich die Hitze über die Stadt legt, flüchten wir in ein Lokal am Fluss, wo wir ein paar gebratene Nudeln und ein Beer Lao zu uns nehmen. Den Nachmittag verbringen wir mit starkem Lao-Kaffee in einem Café an der Straße – wir treffen ein französisches Paar, das mit Fahrer auf Rundreise ist und plaudern über dies und das. Nach dem Abendessen bei „unserem“ Lieblings-Vietnamesen im Tinh Tinh ziehen wir uns ins Zimmer zurück, um morgen fit zu sein. Wegen der Hitze empfiehlt sich ein früher Start, muss ja nicht gleich 5:30 Uhr sein…

12Dez2009

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