Ein bisschen Mittelalter – Carcassone und Lourdes

Mit fast 50 000 Einwohnern ist Carcassonne nicht gerade mehr eine Kleinstadt. Aber wenn man aus touristischer Sicht diesen Namen hört, dann denkt man an die auf einem Hügel der Altstadt gelegene mittelalterliche Festung, die „Cité von Carcassonne“.

Wir kamen von Norden in die Stadt und beschlossen beim Nachmittagskaffee, den Abend wiederum im neuen Stadtteil zu verbringen und der Cité am nächsten Morgen nochmal (wir waren schon mal da) einen Besuch abzustatten. 

Blick auf die Cité in der Abendsonne

Freunde hatten uns mal kritisiert, wir würden in unserem Blog zu viel über das Essen schreiben. Aber es ist einfach ein immanenter Bestandteil des Reisens – zumal mit dem Fahrrad: Wann und wo gibt es was zu essen? Es ist auch eine große Freude und eine wesentlicher Bestandteil der Kultur des jeweiligen Landes und daher spielt es auch für uns eine große Rolle. Begegnungen finden beim Essen oder über die Suche nach Essen statt, Gespräche werden geführt. So auch an diesem Abend, als wir beschlossen, bei „Julia“ zu essen. Nein, nicht privat, sondern im gleichnamigen Lokal. Auf meiner Internetrecherche nach einem arabischen Lokal in der Stadt war ich auf den Artikel über ein neu eröffnetes syrisches Restaurant gestoßen. Erst seit zwei Monaten bietet Samir mit seiner Frau Lama all die schmackhaften syrischen Spezialitäten an, die auch unsere syrische Freundin Dalia so gut kochen kann: Fattoush, Hummus, Falafel – und natürlich Shawarma. Wir starteten mit einem Chicken-Shawarma und einem Falafel-Sandwich und wurden nicht enttäuscht. Alles äußerst fein, frisch und delikat. Das machte Lust auf mehr.

Die Kinder – zwei Jungs und ein Mädchen (das dem Restaurant den Namen gibt), lungerten im hellen Bistro-Style-Bereich herum – etwas gelangweilt, weil die Eltern ja arbeiten müssen. Samir, der in der Küche einen Stock tiefer die Speisen zubereitet, kam heraus, um eine Zigarette zu rauchen und so kamen wir ins Gespräch. Über 30 Jahre hatte er als Industrieingenieur gearbeitet, was er nun letztes Jahr aufgegeben hat, weil er einfach mehr Zeit mit Menschen verbringen wollte. Eine Zeit lang, nachdem sie Syrien verlassen hatte, hatte die Famiie in der Nähe von Luxembourg gelebt und Samir hat viel in Deutschland, Frankreich, Benelux gearbeitet. Doch so viele Regentage und Kälte im Jahr, das sei nichts für sie. Daher hatten sie beschlossen, nach Carcas-sonne zu gehen – mehr Sonne, wie der Name schon sagt. Schön für uns, denn so konnten wir noch mehr von der tollen Karte bestellen, schickten Samir wieder in den Keller und genossen bald darauf… naja, ich will jetzt nicht zu ausführlich werden, wir sollen ja nicht immer übers Essen schreiben. Probiert es eben selbst, das syrische Essen.

Der nächste Morgen ließ uns genügend Zeit, die Cité noch einmal genau unter die Lupe zu nehmen. Die Bauwerke sind beeindruckend, am meisten Eindruck macht es aber von außerhalb finde ich. Doch seht selbst:

Faszinierend auch die Geschichte über die Erbauung der Festung. Eine damals neuartige Architektur sollte dafür  sorgen, dass die Festung nicht zu erobern war. Was auch nie wirklich auf die Probe gestellt wurde. Wir streiften noch etwas durch die engen Gassen, bevor es uns dann irgendwann zu voll wurde. Das Ganze ist fast ausschließlich touristisch genutzt, nur noch etwas über 200 Menschen leben überhaupt noch in dem Stadtteil. Dementsprechend hoch auch die Dichte der Souveniershops, und da wir keine Lust auf eine Ritter-T-Shirt hatten, brausten wir wieder hinüber in die „echte“ Stadt auf einen Kaffee. 

Mittags bestiegen wir den Zug nach Lourdes – die Strecke geht über Toulouse, wo wir allerdings nur umstiegen.

Die Abendsonne hatte sich gerade auf die Rosenkranz-Basilika hinuntergeneigt, als wir vom Bahnhof aus hinab in Richtung Heiligen Bezirk des Wallfahrsortes glitten. Vielleicht ent-glitten uns auch kurz die Gesichtszüge anlässlich eines gewissen Kulturschocks: ein Shop am anderen mit einem katholischeren oder heiligeren Namen als der andere, in dem man mehr als allerlei Schnickschnack, Kitsch oder auch nur leere Wassercontainer in allen Größen kaufen kann. Massen an Marienfiguren, Holzkreuzen, Kettchen und was Gläubige eben wohl so brauchen.

Das war aber noch gar nicht der Schock. Vielmehr waren es Bilder, die uns irgendwie eine Gänsehaut aufzogen: Männer und Frauen in Uniform, schwarz-rot-weiß, Fahnenträger voran, Mädchen mit Häubchen hinterher, die Kranke in altertümlichen Rollstühlen oder Liegen, die aussahen wie aus dem beginnenden letzten Jahrhundert, schiebend aus dem heiligen Bezirk brachten. Auf dem Arm ein Wort eingenäht: „Deutschland“.

Nach genauerem Hinsehen und Nachlesen war schon klar, dass es sich um Malteser handelte. Und dass diese Orden Fahnen haben und Uniformen, das weiß man ja auch. Dennoch war der Anblick verstörend für uns, vor allem auch der mittelaltertümlich anmutende Touch. 

Aber außer den Maltesern waren auch noch ganz verschiedene andere Pilger da. Aller Colour und jeder und jede mit ihrer eigenen Geschichte und Intention diesen Ort zu besuchen. Ein weltweit am meisten besuchter Wallfahrtsort mit über 12000 Überanchtungsbetten und über fünf Millionen Übernachtungen jährlich. Insgesamt aber war sicherlich wenig los. Wir warfen noch einen kurzen Blick in den Bereich der Basilika und hinunter zur Grotte, wo gerade einer von unzähligen Gottesdiensten stattfand.

Und nutzten das letzte Licht des Tage, um hinaufzustrampeln zum Camping „La foret“, etwas oberhalb des Ortes. Ein toller Platz – wir fühlten uns sofort so wohl, dass wir bei einem gezapten Hellen beschlossen, den morgigen Tag Lourdes zu schenken und uns alles noch genauer anzusehen.

Die Gesänge des 21 Uhr Gottesdienstes hallten das Tal herauf und mal wieder dachte ich mir: Was ist das mit den Religionen? Alle machen ja das Gleiche und doch scheint es so wichtig zu sein, an den „richtigen Gott“ zu glauben. Es könnten auch die Klänge eines Muezzins heraufschallen, wie im Oman, oder das Klappern der Gebetsmühlen, wie im buddhistischen Grasland von China, oder das Murmeln der Hindu-Priester, wie in Kerala. Eigentlich alles gut und wirklich so egal. Man wird es nie verstehen. 

Der Tag in Lourdes begann mit Radler-Pausetag-Alltag: Wäschewaschen. Heutzutage erledigen das ja Maschinen, insofern nicht der Rede wert. Wir ließen es richtig gemütlich angehen und brachen erst gegen Mittag auf eine kurze Radrunde um den Hügel hinterm Campingplatz auf. Durch kleine Dörfer aus dunklen Steinen ging es quasi hintenrum nach Lourdes. Fast konnte man wehmütig werden, wenn man in die Berge hineinblickte. Auf unserer großen Pyrenäenreise 2008 kam wir damals vom Col de Tourmalet hinunter und sparten uns den Abstecher hinaus ins Flache, nach Lourdes. Diesmal sparen wir uns den Col, auch, wenn es uns reizen würde, dort mal wieder oben vorbeizuschauen.

In der Oberstadt Lourdes merkt man vom ganzen Pilgertrubel nichts, und das ist auch gut so. Man wähnt sich also so lange in einer normalen französischen Stadt, bis man sich dem Bezirk mit den Kathedralen, der Grotte der Marienerscheinung und dem überdimensioniert wirkenden Gelände „Heiligtum“ nähert. Es ist in Stoßzeiten sicher nicht überdimensioniert und im Moment, so Anfang Oktober, könnte man es gut als weitläufig bezeichnen.

Ich drehe noch eine Runde zum Fotografieren und Staunen. Es ist ein geruhsamer Ort und wenn alle Religionsausübung so friedvoll und geruhsam wäre, dann würde Vielen viel Leid erspart.

Ob man dann da mitgehen kann, dass eine 14-jährige meint, ihr sei die Maria erschienen und dass das einfache Quellwasser nun heilwirksam sein soll, das ist ja im Grunde egal und das muss jeder mit sich ausmachen. Solange niemand dazu gezwungen wird, etwas zu glauben, ist Toleranz das Gebot der Stunde und in der Ruhe liegt die Kraft.

Die unterirdische Basilika Pius X., die 25.000 (!) Besucher aufnehmen kann, ist dann allerdings schon noch die Wucht. Liegt da wie ein umgedrehtes Schiff. Eine Wucht aus Beton, ein Monstrum des Glaubens … oder hieß das Monstranz?

Wie ich da drinstehe, so fast alleine, nur eine Handvoll Menschen sind hier. Crazy – die lässt sich nicht gut auf ein Foto fassen – 191 m lang und 61 m breit! Warum sie dann ausgerechnet eine Basilika minor ist? Hm.

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