Ein Tag zum Abgewoehnen

21.05.2010 (m, k) Qinglong – Kuancheng: 73km, 400 Hm

Dabei hatte alles so gut angefangen. Zwei Flaschen Sprite werden uns um kurz nach Acht unter die Nase gehalten. Lydia hat Wort gehalten und holt uns vor dem Zimmer zum Frühstück ab. Das zierliche Mädel verhebt sich fast an einer (!) Packtasche von Katrin, aber sie ist so lieb und hilfsbereit, das man es kaum glauben mag. Unter einem großen Auflauf an Personal und dementsprechendem Geschwatz beladen wir die Räder. Ein junger Mann stellt sich als Deutschlandkenner heraus – na ja, er ist Bayern-Fan und weiß daher, wo München ist. Eine Gemeinsamkeit ist aber gefunden und das genügt, damit er uns zu den beiden Mega- (und nur dieses Wort passt hier) Portionen Nudelsuppe einlädt. Lydia sitzt vor uns und strahlt mit der Sonne – wenn sie denn heute hinter dem Staub-/Wolken-/Smog-Gemisch hervorkäme – um die Wette. Es ist fast, als kannten wir uns schon immer. Mit einem Tränchen im Auge verabschieden wir uns, „I will miss you“ flüstert sie noch.

Wir sind einfach nur froh, gestern von ihr angesprochen worden zu sein und Qinglong von einer wunderbaren Seite kennengelernt zu haben. Wir winken nochmal zurück, dann hat uns die Hauptstraße wieder. Und mit ihr die LKW. Ihr Auftreten kommt heute mit einer geballten Macht, die wir so noch nicht kannten. Offenbar besteht das ganze Tal zwischen Qinglong und dem Etappenziel in Kuancheng aus Baustellen, Fabriken, Steinbrüchen und/oder Kohlewerken. Die Kette an Lastkraftwägen scheint nicht abzureißen. Da die Straßenführung größtenteils sehr gerade ist, können die Brummer ordentlich Stoff geben. Fast unfahrbar macht diese Etappe aber das erneut hohe Aufkommen an Individualverkehr – schwarze VW und Audi, manche ohne Nummernschilder. Wer kann sich in diesem Land gleich nochmal teure, ausländische Limousinen leisten und wem wird das Fahren ohne Plakette nachgesehen? Es ist sicher nicht der kleine Bauer von nebenan. Das macht diese Karren, die, wie sollte es anders sein, durch besonders rücksichtslose Fahrweise auffallen, extrem unsympathisch. Wir fahren also, bis wir im Rückspiegel einen LKW erkennen (meist folgen diesem mindestens noch zwei) und bremsen jenseits des Seitenstreifens in Schotter/Sand/Gras herunter. Sind die Ungetüme vorbei, müssen wir unsere Böcke mühsam wieder auf Betriebsgeschwindigkeit bringen. Und so weiter und so fort. Höchste Vorsicht ist beim Gegenverkehr geboten, überholen die „schwarzen Seckel“ doch bei jeder Gelegenheit. Ein entgegenkommender Radfahrer entlockt ihnen kein Brems- oder Ausweichmanöver, nein, ein kräftiges Hupen muss doch genügen! Tut es auch, wir legen uns nicht mit ihnen an. Unsere Aufmerksamkeit gehört voll und ganz der Straße. Da die Natur auf diesem Teilstück seltenst unversehrt ist, verpassen wir nichts Sehenswertes. Für zusätzliche Spannung sorgen insgesamt fünf Tunnel, die allesamt unbeleuchtet sind. Wenigstens einmal hat ein Auto mit uns Erbarmen, wartet vor der Röhre auf uns, lässt uns passieren und gibt uns Geleitschutz. Sehr aufmerksam. Das Safety-Car verabschiedet sich nach der Hilfestellung mit einem fröhlichen Hupen und einem Winken der Insassen. Verzweifelt halten wir auf Karten und bei Google Maps Ausschau nach Alternativrouten – doch sind keine verzeichnet. Und auf gut Glück einem Abzweig folgen – lieber nicht. So müssen wir die Kröte schlucken und uns einstauben, anhupen, von Abgasen verpesten und abdrängen lassen. Wir haben keinen Motor und nur zwei Räder, wir sind klein und schwach. Kurz vor dem Ziel ergibt sich dann wenigstens noch eine minimale Möglichkeit zur Alternativroute, die wir selbstredend sofort nutzen. Sämtlicher Schwerverkehr zweigt ab, wir düsen geradeaus weiter und es fällt eine große Last von uns. Wir atmen auf, der Lärm, der Gestank sind weg und wir durchfahren ein kleines Tal auf einem schmalen Sträßchen. Es ist herrlich. Sofort ändert sich die Umgebung, die grünen Hügel liegen unschuldig und lieblich da. Wir fragen ein Auto nach dem Weg, die Jungs meinen, wir sollten ihnen einfach folgen. Als wir in einem kleinen Dorf anhalten und mit den herbeigelaufenen Kindern reden und von den Alten bestaunt werden, wartet das Auto geduldig in Sichtweite, um uns sicher aus dem Tal zu führen (es gibt eigentlich nur einen Weg). Am Ende der Straße weisen uns die Jungs nach rechts in Richtung der Hochhäuser, hier sei die Stadt. Obwohl man hier nicht wirklich falsch abbiegen kann, sind wir doch sehr gerührt ob der Fürsorge der jungen Männer. Jetzt kann ja nichts mehr schiefgehen und wir strampeln wagemutig zur Hotelsuche. Eigentlich könnte man sich freuen, dass die Etappe geschafft ist, doch dieses schöne Teilstück war eindeutig zu kurz. Schade, dass das Tal schon zu Ende ist! Die Stadt liegt auf zwei Seiten des Flusses und etwas am Hang. Ein Hotelturm überragt die anderen Häuser: das Tianbao Hotel. Es ist relativ edel – so wie wir es in China schon oft für 16 bis 25 Euro hatten. Hier landen wir nach Handeln allerdings bei 45 Euro, was uns wirklich zu viel ist, auch wenn es jetzt angenehm und bequem wäre, hier einzuziehen. Es muss doch noch mehr Hotels in dieser Stadt geben. Zwei Straßenzüge weiter werden wir fündig, doch die Besitzerin des kleinen Hauses erklärt uns, dass sie keine Ausländer aufnehme könne. Sie schickt uns zum Tianbao. Auch als ich ihr darlege, dass es uns zu teuer ist, lässt sie sich nicht erweichen. Nein, es sei ihr nicht möglich Ausländer aufzunehmen. Das ist wirklich neu. Noch nirgendwo in China hatten wir ein Problem damit. Alle Hotels, die wir aufgesucht hatten, konnten uns beherbergen, auch wenn sie sich mit der Registrierung nicht immer leicht getan hatten. Lediglich ein ganz einfaches Gästehaus hat uns einmal zurückgewiesen, da andere Hotels im Ort vorhanden waren. Wir suchen weiter. Doch auch diese Stadt quillt nicht gerade über vor Hotels. Als wir uns schon auf dem Rückweg zum Tianbao befinden, entdecken wir das Cuancheng Hotel – wohl das Stadthotel. Doch an der Rezeption das Gleiche: Ja, es gäbe ein Zimmer, aber nein, Ausländer könnten sie nicht aufnehmen. Wir sollen zum Tianbao. Als sie hört, dass es uns viel zu teuer ist, wählt sie eine Nummer. Dann bekommt sie eine andere Nummer und wählt auch diese. Nach einem weiteren Telefonat sagt sie: „Keyi“ – was so viel wie eine Eintrittskarte ist. Das einfache Zimmer – mit Quotenkakalake (in den letzten Hotels war immer mindestens eines dieser netten Tierchen, doch hier sind sie immerhin viel kleiner als in Südostasien) und Heißwasser – gibt es hier immerhin für 12 Euro und so schlagen wir ein. Auf Restaurantsuche verlassen wir das Hotel zur falschen Seite, laufen deshalb ein großes Viereck und landen schließlich in einem „Liu Dian“. Ein Esspalast wenn man so will. Sieht haargenau aus wie ein Hotel, hat Türen mit Zimmernummern und Zimmer mit rosaroten Tapeten und Klimaanlage, nur, dass anstelle von Betten eingedeckte, große Rundtische mit Glasdrehplatte darin stehen. Die kleinsten Tische sind für 12 Personen – wer geht schon zu zweit essen in China? So sitzen wir im Separé am Zwölfertisch und essen für fünf. Vor unserer Tür stehen unsere zwei persönlichen Bedienungen. Eine Hauptbedienung und eine Zuträgerin. Das Bier aus den Weingläsern schmeckt nach dem verkehrsmäßig übelsten Tag in China besonders gut dazu.

21Mai2010

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