13.08.2012 Termignon – Bourg-Saint-Maurice: 88km, 1712Hm
An dieser Stelle nochmals ein Kompliment an Dirk, dem es wie wohl keinem Zweiten gelingt, sein komplettes Gepäck in seinen Taschen zu verstauen während er im Zelt sitzt. Dieses Packphänomen vollzieht sich zudem mit so geringer Geräuschkulisse, dass länger schlafendes Volk wie ich davon tatsächlich nichts mitbekommen. Nebenbei ist dann alles so akkurat verpackt, das würde ich nicht mal am leuchtendsten meiner Tage hinbekommen.
Die Sonne hat es noch nicht einmal über die Bergspitzen auf unseren Platz geschafft, da rollen wir schon von selbigem. Respekt haben wir natürlich schon vor dem Col de l’Iséran. Nein, nein, trotz gestiegenen Konditionslevels wollen wir hier keinen Kontrahenten unterschätzen. Und schon gar nicht den höchsten (echten) Pass unserer Tour. Die morgendliche Koffeinspritze beziehen wir in bzw. vor einer ziemlich heruntergekommenen Bar, deren Besitzerin den Eindruck macht, als habe sie den Laden nur eröffnet, um selbst stets an der Benebelungs-Quelle zu sitzen. Wie dem auch sei, der Kaffee schmeckt nach Kaffee, Milch ist auch drin, obenauf schwimmen ein paar Eiweißfetzen. Ein dürftiger Auftakt für das heutige Großereignis.
Über mehrere, steil angelegte Serpentinen erreichen wir eine höhere Stufe des Arc-Tals, das uns bei nur geringer Steigung bis Lanslebourg und weiter nach Lanslevillard führt. Von hier kommt der Col de Mont Cenis herunter, der wieder eine Grenze mit Italien bildet. Zeit für einen zweiten Kaffee, der seinen Vorgänger von heute morgen nicht nur farblich in den Schatten stellt. Gut gelaunt und bestens motiviert kurbeln wir weiter dorfauswärts, die steilen Rampen kurz hinter der Siedlung fest im Blick. Die Sonne steht voll im Hang und die hier bereits 10-12%igen Anstiege lassen den Schweiß strömen. Wie wir der Karte jedoch entnehmen konnten, erreichen wir bald ein weiters Hochtal, das eine annähernd steigungsfreie Anfahrt bis Bonneval-sur-Arc zulässt. Und in der Tat lassen sich die gut 10 Kilometer recht beinschonend absolvieren. Man sollte es zu schätzen wissen, erreicht man nämlich am Talschluss eine mächtige Wand, durch die lediglich zwei endlos scheinende Kehren gelegt sind. Am Ende wird man bereits 300 Höhenmeter überwunden haben. Das gigantische Bergpanorama mit Blick auf beeindruckenden Gletschermassive von Mulinet, Grand Méan und Évettes rauben einem jedoch fast mehr den Atem als die würzige Steigung. Verschnaufen kann man am Ende der Wand, als die Straße nach Norden dreht und man für einen Kilomter wieder fast eben dahinrollen darf. Zur Rechten tauchen jedoch gleich zwei neie, mächtige Serpentinen auf, die die nächste Stufe heraus aus dem Kessel markieren. Erneut werden für etliche Kilometer beeindruckende Steigungswerte erreicht. Wir unterbrechen das stete An- und Entspannen der Beinmuskulatur durch eine ausgiebige Brotzeit auf gut 2300m. Als wir, mit neuen Kräften, die obere Kante des Talkessels erreichen, werfen wir einen letzten Blick zurück auf die Gletscher und freuen uns über einen erneut recht flachen Kilometer. Lediglich 2500 Straßenmeter trennen uns noch vom ersehnten Gipfel. Aber auch 200 Höhenmeter. Wer rechnen kann, weiß, dass das keine angenehmen Meter werden. Der vorletzte Kilometer wird sich tief in das Radlergedächtnis eingraben und man weiß nicht, ob Dirks Wade ihm diesen Anstieg jemals verzeihen wird. Da hat man schon fast 1500 Höhenmeter in den Muskeln, dann kommt eine so unerbittliche 10%-Rampe. Jeder Meter muss hier nochmals hart erkämpft werden. Und der letzte Kilometer mit seinen 8% ist ja auch nicht gerade Entpannung pur. Jedenfalls sind wir dann schon mächtig stolz und zufrieden, den Riesen in den Savoyen bezwungen zu haben. Strahlend lassen uns auch wir, wie so viele andere Bus- und Autotouristen, vor dem Passschild ablichten. Obwohl auch heute die Sonne wieder über uns lacht, pfeift hier auf 2770m ein kalter Wind, der uns begierig zu den Mützen greifen lässt. Die folgende Abfahrt nach Val d`Isère könnte spektakulärer kaum sein. Zum Greifen nah erscheinen die schroffen, steil abfallenden Berge des Naturschutzgebietes von Bailletaz. Meisterhaft sind die Serpentinen in den Hang gelegt, so dass man relativ entspannt gen Tal rollen kann. Durch den mondänen Wintersportort an der Isère rauschen wir unbeeindruckt hindurch und meistern auch den folgenden kurzen Anstieg nebst einigen unangenehmen Tunneldurchfahrten souverän. Ab Tignes fällt die Straße wieder steiler ab und es sind keine Pedalumdrehungen nötig, um Longefoy zu erreichen. Ab hier müssen wir uns jedoch noch einige Kilomter über ein Flachstück und einen leichten Anstieg bis Séez kämpfen, ehe uns zwei schnelle Kilometer direkt zum Intermarché von Bourg-Saint-Maurice führen. So spät waren wir ja noch nie dran: 17:30 Uhr! Routiniert wird ein schmackhaftes Abendessen zusammengestellt und der nur wenige hundert Meter weiter liegende Campingplatz hält ein schattiges Plätzchen für uns bereit. Hier bleiben wir mal wieder zwei Nächte. Wunden lecken, Räder pflegen und vor allem einfach ausspannen!