Finale grande

So richtig hatten wir die Nordküste Siziliens nie auf dem Plan. Nur eine (auf der Karte) „orangene“ Straße, enge Steilküste, wenige Orte und die vermutete Industrie rund um Palermo und Termini Imerese. Und im Grunde wollten wir ursprünglich sowieso über Catania und Messina runter von Sizilien und weiter nach Kalabrien. Wollten? Richtig. Sind wir nicht. Aber der Reihe nach.

Eine größere Schlechtwetterlage ist angekündigt und so schauen wir im wahrsten Sinne des Wortes, dass wir von Taormina über die Berge an die Nordküste kommen. War bislang der Süden Siziliens wettertechnisch begünstigt, so ändert sich das Bild und der Norden soll in der Folgewoche besser wegkommen. Aufgrund des vielen Regens auf dem Festland nehmen wir auch erst mal Abstand von den kalabrischen Bergen. Vielmehr ist nun Palermo unser Ziel und von dort die Fähre nach Sardinien. Da diese nur ein Mal pro Woche – sonntags – abfährt, haben wir für die Nordküste so richtig viel Zeit. Wir könnten in drei Tagen mit Zugunterstützung in Palermo sein, entscheiden uns aber für die Fähre eine Woche später, am 14. Mai, und haben so genügend Ruhe, uns auf den nächsten Abschnitt einzulassen. Eine goldrichtige Entscheidung sollte das sein!

Sommerlich startet der Tag unserer Passüberquerung in Calatabiano, der Ätna strahlt uns noch mal mit seiner ganzen Pracht, Kraft und Aura an. Das sollte den Tag über so bleiben, wie wir später erfreut feststellen. Eine großartige Etappe, die aber auch wieder – fast schon klassisch sizilianisch – ein bisschen Spannung mitbringt. Wir kurbeln bei stahlblauem Himmel hinauf nach Francavilla di Sicila, erst westlich des Flusses Alcantara entlang auf einem ruhigem Abschnitt, dann ab San Cataldo auf der SS 185.

Die Schlucht Gole dell’Allcantara als eigentliche Sehenswürdigkeit lassen wir links liegen. Alles läuft prächtig, bis uns kurz hinter dem Ort ein altbekanntes Schild erwartet.

Wir haben ja gelernt, dass man gesperrte Straßen in der Regel fahren kann – auf eigene Gefahr halt. Hier liegen aber noch 700 Höhenmeter und fast 50 Kilometer vor uns und um dann irgendwo kurz vor dem Pass womöglich umdrehen zu müssen – das erscheint uns zu riskant. Also warten wir, bis ein Auto kommt, was auch nicht lange dauert. Eine vertrauenswürdige Signora hebt den Daumen aus dem Fenster ihres kleinen Fiats. „Si, si, no problema. Solo due passagi…attenzione!“ Miep, miep, braust sie davon. Alles klar, dann los!

Die erste Stelle kommt schon bald. Nicht weiter wild, es fehlt nur die halbe Straße, der verbleibende Rest gähnt Richtung Abgrund. Eine französische Familie quetscht sich gerade an der Stelle durch – das Navi habe gesagt, die Strecke sei befahrbar. Ähm, ja gut. Herr, schick Medienkompentenz vom Himmel. So oder so, sie schaffen die Passage. Wir rollen ebenfalls unbehelligt vorbei.

Nachdem die paar Schweißperlen getrocknet sind, öffnen sich die Poren sofort erneut – der Anstieg beginnt. Bis auf 1000 m ü.d.M. steigt die Passstraße an, die selbstredend – da ja gesperrt – fast autofrei ist. Ein wahres Highlight folgt! Die Steigungsgrade sind perfekt, wunderbar haben die Straßenbauer das Teerband in die Landschaft gefaltet. Und über allem thront der Ätna!

Wir kurbeln vor uns hin, schnaufen, staunen, fotografieren, jubeln!

Kurz vor dem Pass begegnen wir einem Bus aus Tschechien. Dieser spuckt gerade eine Horde von Radtouristen aus, die sich ihre Drahtesel aus dem Anhänger fischen. Sie dürfen bergab rollen.

Der Busfahrer hingegen interessiert sich eher für uns und unsere Handybilder der Engstelle im unteren Teil. Wir zeigen ihm die Fotos und er meint, dass das schon passen würde. Wir wünschen ihm Glück und sind einmal mehr froh, auf dem Rad unterwegs zu sein. Kurz darauf folgt noch eine Bröckelstrecke.

Dann sind wir durch und es geht bis zum Meer nur noch bergab.

1000 Höhenmeter Downhill. Ein kurzer Espresso-Boxenstopp in Novara di Sicilia, wo wir auf ein dänisches Reiseradel-Paar stoßen (René und Karen) und dann rauschen wir hinunter.

Wie lange und ob überhaupt die SS 185 künftig noch existieren wird? Sie verbindet ja im Grunde nur zwei Orte miteinander – zwar auf wundervolle Weise für Radfahrer. Ob sie aber nur deshalb nochmal instandgesetzt wird? Wir wagen dies zu bezweifeln und sind umso glücklicher, diese Traumstraße befahren gekonnt zu haben.

Die Küste hat uns schnell wieder. Da es unterdessen bereits Samstag Abend ist, behelligt uns der Verkehr kaum noch und wir kurbeln entspannt bis zum Camping Marinello in Oliveri.

Er hat alles, was wir benötigen, dazu noch einen schönen Strand in einer tollen Bucht. Wow, die Nordküste sieht schon mal ziemlich hübsch aus. Wir freuen uns auf die kommenden Tage.

Die hier touristisch angepriesenen Laghetti (ein paar kleine Süßwasserseen) erwandert Katrin früh am nächsten Morgen und weiß gar nicht, welche Spiegelung sie als erstes „einfangen“ soll. Das Meer liegt da wie der Balaton und fordert geradezu einen kurzen Morgenschwomm heraus.

Ein weiterer Leckerbissen folgt sogleich. Die kurvenreiche Küstenstraße zieht vom Ort hinterm Camping 200 Höhenmeter nach oben, bietet dabei grandiose Aussichten und lässt die Radlerherzen höher schlagen. Und: Heute sehen wir in einer Stunde mehr Radfahrer als Autos. Sensation!

Die ortsansässigen Rennrad-Gruppen nutzen den sonnigen Sonntagmorgen, um eine gemütliche Ausfahrt zu machen. Ziel ist unter anderem auch der Wallfahrtsort Tindari auf 280 m ü.d.M.

Hier steht eine Basilika, die eine Madonna mit schwarzer Hautfarbe beherbergt. Als wir eintrudeln, findet gerade der sonntägliche Gottesdienst statt. Dass der Pfarrer ebenfalls eine dunkle Hautfarbe hat – darf sicher getrost als Zufall bezeichnet werden. Oder? Oder??

Leider rufen sonnige Sonntage und kurvige Strecken oftmals auch eine von uns wenig geliebte Spezies auf den Plan: junge, highspeed-geile Motorradfreaks. Mit ohrenbetäubendem Lärm rasen sie furchteinflößend – gerne auch in Gruppen – dahin. Einziger Vorteil: Wir hören sie schon von Weitem und können die Straße rechtzeitig räumen. Warum solche Maschinen, die bis zu 100 dB laut sind, überhaubt rumfahren dürfen, das erschließt sich ns nicht. Wir finden, dass das eine Tyrannei einiger Weniger ist. Müsste und dürfte auf öffentlichen Straßen nicht sein.

Der folgende Straßenverlauf spielt uns in die Karten – er ist für Motorradfahrer offenbar zu langweilig (zu gerade?), denn den restlichen Tag, können wir recht ungestört an der mitunter spektakulären Küste entlangfahren. Die parallel verlaufende Autobahn nimmt uns den meisten Verkehr ab und so ist die Strecke – für uns wirklich überraschend – eine nahezu perfekte Radroute. Zudem ist diese SS113 an der Nordküste in sehr gutem Zustand ist. Kaum Schlaglöcher, nicht selten sogar eine brandneue Teerdecke. Womöglich war auch hier wieder das Radrennen „Tour di Sicilia“ eine Hilfe?

Über das Capo d’Orlando – wo wir das beste Eis Siziliens essen – kurbeln wir bis kurz vor Sant’ Agata di Militello, wo wir beim Agricamping „Alessandra“ (am Strand von Rocca di Capri Leone) unterkommen. Der Platz ist eigentlich super, bietet aber bei Regen keinerlei Aufenthaltsräume. Und da der nächste Tag selbigen verspricht, zieht es uns weiter.

Schon am Morgen wird unser Zelt eingenässt. Eine Regenpause nutzen wir für den Aufbruch.

Aus anfänglichem Niesel wird Regen und wir finden uns in Acquedolci unter dem schützenden Dach einer Bar bei Cappuccino und Ciambella ein. Es sieht schon düster aus, ein LKW am anderen rollt an unserer Nase vorbei. Bei Regen und schlechter Sicht wollen wir dann doch nicht mehr weiter Radfahren. Ein paarmal auf dem Handy gewischt und schon ist klar: Wir nehmen den Zug bis Finale. Dort ist ein geöffneter Campingplatz, der auch eine Pizzeria an Bord hat.

So fahren wir ein halbes Stündchen Zug und checken auf dem wunderbaren Platz Rais Gerbi ein. Die volle Pracht dieses Platzes offenbart sich uns erst nach einem Rundgang. Im oberen Bereich befinden sich die Stellplätze für Camper, noch relativ unspektakulär. Die Zeltplätze aber sind in perfekten Terrassen hinunter, bis knapp vors Meer angelegt. Schöner Boden, Bäume und ebene Plätze. Ein Camping mit Geschichte und Stil. Die Bucht ist wunderschön und als auch noch das warme Wasser in kräftigem Strahl aus der Dusche über die müden Körper läuft, ist klar: Hier bleiben wir erst mal.

Klar, nicht nur wegen der Dusche. Denn auch zahlreiche Highlights sind in mit dem Rad erreichbarer Nähe: Das auf 780m ü.d.M. thronende Pollina, das touristisch bekannte Cefalù und der Nationalpark „Parco delle Madonie“ mit dem höchsten Berg Siziliens – dem Pizzo Carbonara mit 1979 Metern – Etna ausgenommen. Wie sagte ein Motorradfahrer auf dem Platz, der von hier aus sternförmig seine Ausflüge unternimmt: „Hier sollte man mal zum Rennradfahren herkommen!“ Wir sind zwar nicht deswegen gekommen, Gravelbikes haben wir aber dabei. Also, bitte gerne! Bleiben wir eben deswegen.

So führt uns eine Morgenrunde nach dem Pausetag hinauf nach Pollina. Das Bergdorf macht seiner Bezeichnung alle Ehre, trohnt es doch so auf dem Felsklumpen, als habe man eine Waffel mit Eis in hellbraune Schokolade getunkt.

Schon 300 Höhenmeter bevor wir oben sind, setzt leichter Regen ein. Nebel wabert umher, Wolken und Schwalben fliegen tief. Manchmal verschwindet der Ort komplett von der Bildfläche, dann wieder spitzeln einzelne Häuser durch. Ganz oben am Castello angekommen können wir nur kurze Blicke auf das Tal erhaschen, ein mythische Stimmung liegt über den alten Häusern, den Steinkirchen und den kopfsteinbeplasterten Gassen.

Wir sind fast ganz allein und auch wenn wir nicht „den Blick auf ganz Sizilien“ (den man angeblich von hier haben soll) und in den Naturpark Madonie bekommen, so hat das Auge doch seine Freude, sich vom Aussichts-Gittersteg im endlosen Weißgrau des Wabers zu verlieren.

Zwei Straßen verbinden Pollina mit der Küste – für uns perfekt, da die zweite Straße direkt gegenüber dem Campingplatz wieder auf die Küstenstraße trifft.

Vielleicht, so denken wir, fahren wir ja nochmal hinauf, bei mehr Sicht, denn es ist eine perfekte kleine Trainingsrunde.


Cefalù, der Touristenmagnet, liegt in Reichweite. Als ein sonniger Tag anbricht machen wir uns auf dorthin. Natürlich nicht nur die 18 Kilometer entlang der Küste. Nein, wir drehen eine kleine Madonie-Runde. Die SS 286 führt einige Kilometer hinter Finale hinein in den Nationalpark und hinauf nach Castelbuono.

Dort ist gerade Markttag und wir wundern uns, was die Menschen hier so alles auf dem Markt kaufen. Vom BH über die Tupperschüssel ist das Sortiment durchaus sortenreich. Wir wundern uns auch über den teuersten und schlechtesten Capucchino Siziliens an einer kleinen Bar unterhalb der Altstadt. Das Rezept geht so: Milch direkt in der Tasse maximal handwarm aufschäumen. Espressopulver im Siebträger mit dem Temper streicheln – Achtung, keinesfalls pressen. Caffè in einem Einweg-Plastikbecher auffangen und lieblos in die Milch kippen. Auf der Theke abstellen. Premiumpreis nicht vergessen. Kurz später bekommen wir die Lösung serviert: Im Ortskern (wir hielten das hier für ein verschlafenes Bergdorf) tummeln sich Touristengruppen beim Schnapstesten und Mülleselbetrachten.

Der Bürgermeister des Orts setzt hier zur Müllabfuhr auf drei umweltfreundliche Esel anstelle von 6 dieseligen Lastwagen. Kommt uns vor wie ein Touristengag und betrifft auch sicher nur die engen Altstadtgassen, ist aber ja grundsätzlich eine nette Idee.

Esel scheinen hier sowieso im Trend zu liegen. Auf unserer weiteren, malerischen Naturpark-Radrunde über Isnello und dann hinüber nach Cefalù sehen wir links und rechts der Straße immer wieder zottelige Esel Blumen frühstücken.

In Cefalù sind auch alle am Essen – überwiegend Arancins, die frittierten Reisballen. Aber natürlich auch Fisch und Pizza und was sonst ein Touristenort so hergibt. Warum wird Cefalù so angepriesen? Vermutlich ist es die Lage an der Westseite des hervorstechenden Rocca di Cefalù, die das ganze „Setting“ wieder so attraktiv werden lässt. Der Dom verschmilzt geradezu mit den steilen Felsen dahinter, die Häuser der Altstadt schmiegen sich an die Ausläufer des Hügels, die Bucht lädt zum Baden ein. Und das tun hier auch eifrig ganz viele. Als müssten sie alles, was man hier tun sollte, tun.

Wir sind froh, dass wir Cefalù so „nebenbei“ mitnehmen, denn (ihr wisst ja schon, was kommt) uns ist es viel zu voll und schnell lassen wir uns von den Massen hinausspülen an die Küstenstraße, um den Rückzug anzutreten.

Eine tolle Runde, super Straßen, kein Verkehr. Hier sollte man mal zum Rennradfahren herkommen ;-)
Als am nächsten Morgen auch nochmal die Sonne durchkommt und Wolken mit Regen erst für nachmittags angekündigt sind, strampeln wir mit Cappuccino und Hörnchen gestärkt nochmal hinauf nach Pollina.

Wieder sind wir so früh dran, das fast noch kein Tourist zu sehen ist. Apropos zu sehen – diesmal sehen wir alles und so können wir die Radrunde vom Tag zuvor noch einmal bildlich nachvollziehen.

Am Monte Carbonara liegen noch Schneereste und als die Wolken zuziehen brausen wir nach unten auf den Campingplatz zum zweiten Frühstück mit Rührei, Oliven, Tomaten, Gurke und Sesambrot mit Meerblick. So langsam gefällt uns Sizilien richtig gut. Und das kleine Örtchen Finale besonders.

Der alte Spruch „Pläne sind da, um geändert zu werden“ hat nichts von seiner Aktualität verloren. Während wir gestern nun doch wieder davon ausgingen, nicht nach Sardinien zu fahren, sondern direkt hinüber nach Kalabrien und dann auf den Balkan, steht nun wiederum aktuell die Sardinienfähre am Sonntag an. „Schuld“ daran sind ganz pragmatische Überlegungen zum Wetter. Überall breitet sich kommende Woche das aktuelle „Italientief“ weiter aus, gerade auch auf dem Festland. Statt nur hier herumzusitzen, versuchen wir auf Sardinien unser Glück, das noch etwas begünstigt sein soll. Mal sehen, ob das stimmt. Danach könnten wir immer noch zurück nach Kalabrien und Apulien und hinüber nach Albanien, oder aber hinauf nach Spanien. Neue Pläne werden gemacht werden – und geändert. Der komfortable Nahverkehrszug setzt uns am nächsten Tag sicher in Palermo Centrale ab.

Wesentlich selbstbewusster als vor 5 Wochen werfen wir uns in den Verkehr und fahren hinaus nach Norden zum Camping in Sferrcavallo, wo wir gestartet sind. Stechende Hitze lässt schon mal einen Gedanken an den Sommer hier wachwerden, in dem man lieber nicht hier ist. Der Sciroccho bläst Sand aus der Wüste daher, man sieht kaum die umliegenden Berge. Für heute haben wir einen Bungalow gebucht, denn um die Fähre pünktlich zu erreichen müssen wir um 5:45 aufbrechen. Eine gute Entscheidung – während Pascquale auf seinem Campingplatz Camperwägen und Zelte bestmöglich ineinanderschachtelt haben wir neben dem Bungalow noch eine eigene Terrasse mit Kochstelle und können dem Treiben gemütlich zusehen.

Am nächsten Morgen – ein Sonntag – rollen wir gemütlich zum Hafen.

Auch ein Platten bei Katrin bringt uns nicht aus der Ruhe, denn wir können ihn beim Warten auf die Fähre in Ruhe flicken und verlassen Sizilien nun doch mit einem weinenden Auge. In 5 Wochen gewöhnt man sich ja auch irgendwie aneinander und erkennt die Stärken des anderen. Ciao, piu bella!

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