10.03.2010 (m) Hongkong
Der Wetterbericht hat uns ja hinlänglich auf das regnerische und kalte Wetter hingewiesen und so sind wir mental auch bestens auf eine frische Nacht eingestellt. Aber von Wind hat jetzt keiner was erzählt! Während Katrin noch ein paar Rindfleischstreifen à la Satay anbrät und ich „drinnen“ die Campingstühle errichte und Sushi, Baguette und Rotwein drapiere, bläst der Wind zwar schon forsch, aber nicht so, dass wir ihn schon irgendeiner Weise als bedrohlich empfinden würden. Im Gegenteil, wird es doch im Zelt erst so richtig gemütlich, wenn man in die Schlafsäcke gemummelt schlemmt und das Fauchen und Rütteln von draußen in wohliger Wärme vernimmt. Als wir dann aber unsere Häupter zum Schlafen betten wollen, fahren immerfort bedrohliche Wind-, ja Sturmböen ans Zelt. Gerne bläst das „Himmlische Kind“ auch mit Anlauf (man hört die Böen förmlich auf das Zelt zurasen) unter das Überzelt und versucht die gelbe Plastikhülle mit in den dunklen Nachthimmel zu entführen. Aber, alles hält und wir schlafen langsam ein…
Ein heftiger Ruck, dann ein lautes Flattern! Katrin schnellt geistesgegenwärtig nach oben und aus dem Zelt und während ich mich noch sortiere, drückt sie bereits acht Heringe, die an den Laschen des Überzeltes baumeln wie die Gehängten im alten Western, wieder in den Sand. Bei Chillfaktor 3 Grad über Null in Unterwäsche eine wahrlich Stierlesche Leistung. Es gelingt aber auch mir, mich nützlich zu machen und mit einem Riemchen sichere ich den Regenschutz am Gestänge. Nachdem der fluffige Sandboden aber schon wenig später erneut versagt, verankern wir die Ösen des Überzelts auch direkt unter den Stangen – der Regenschutz ist etwas herabgesetzt, da das Zelt dadurch nicht gut abgespannt ist, die Sturmböen beißen sich aber daran die Zähne aus. Um Schaden anzurichten müssten wir samt Zelt angehoben werden – obwohl wir nur leichtes Sushi zu Abend hatten, mehr als unwahrscheinlich. Wir befragen noch über das Handy die Hongkong Weather Warnings, womit wir es hier eigentlich zu tun haben: strong northeast monsoon, wind 6-7 beaufort, some (Böen) around 8. Das bedeutet so Windgeschwindigkeiten um 60 km/h. Für eingefleischte Mongolen wohl eher ein laues Lüftchen, für uns aber eine „ordentliche Brise“.
Die Nacht ist dementsprechend laut und unruhig – gefühlt schlafen wir keine fünf Minuten. Irgendwann wird es dann aber ruhiger, heller und sie Sonne spitzt ein wenig durchs Zeltdach. Wir hängen noch eine Mütze Schlaf dran und steigen gegen 10 Uhr aus dem Zelt. Wir erblicken strahlend blauen Himmel, ein spiegelglattes Meer und freundliche Gesichter der Bediensteten der „Pui O Campsite“, die schon wieder wie wild putzen, fegen, räumen und lauthals schwatzen. Auf den Schrecken der Nacht brutzeln wir uns erstmal einen Haufen Pannekoeken und brühen ’nen doppelten Nescafé auf. Puh, Wolken, Regen und unser Schlaf wurden heute Nacht auf eindrückliche Weise weggeblasen.
Trotz der Müdigkeit in unseren Knochen laufen wir los zur Hauptstraße. Schnell kommt ein Bus, der uns ins unterdessen fast schon altbekannte Ngong Ping fährt. Die Steigungswerte sind immer wieder beindruckend und erinnern stets an die thailändischen Rampen! Der gesamte Bus quillt vor Touris über, wie übrigens auch der gesamte Zielort. Ist aber auch ein Tägchen heute! Der herausgeputzte Ort am Fuße des „Big Buddha“ ist eben einfach eine klassische Touristenenklave – Aussehen, Angebot und Preise sprechen für sich. Die Tourgruppen, deren Führer Nummerntafeln und Schirme vor sich in den Himmel recken, ovedressede, japanische „Bergsteiger“ und feine Ladies in Mantel und Stöckelschuhen komplettieren dieses Bild nur. Es schaudert! So schnell es geht huschen wir zwischen alledem hindurch unserem Ziel entgegen: dem Lantau Peak, 934m über dem Meer. Die Kürze des Aufstiegs (1,5km für 500 Hm) verspricht Steilheit. Dem ist auch so, nur haben die hiesigen Wegebauer nichts dem Zufall überlassen und so führen bis fast zum Gipfel aus Naturstein angelegte Stufen. Gezählt haben wir sie nicht! Nach einer guten Stunde aber (mit Pausen für Film und Fernsehen) stürmen wir den Gipfel und bringen den Kocher zum Fauchen, der uns das Suppenwasser erwärmt. Restliches Gurkensushi von gestern komplettiert das Mahl. Der Ausblick wird durch „pollution“, wie uns ein „Einheimischer“ (Lehrer aus Kanada, der gerade hier einen Auslandsschuldienst ableistet) versichert. So sehen wir neben dem Big Buddha von oben die vorgelagerten Inseln, die Trabantenstadt Tung Chung und die „Flughafeninsel“ nebst etlichen geparkten, startenden und landenden Fliegern. Obwohl das ganz große Panorama fehlt, genießen wir die frische Luft weit genug hier oben, die Sonne, den blauen Himmel und die Ausblicke. Es müssen ja nicht immer Superlative sein… (ok, ok, das klingt wie ein schlechter Scherz für alle Daheimgebliebenen). Jedenfalls entschließen wir uns kurzerhand zu einer „Überschreitung“, die uns an die Hauptstraße zwischen Tung Chung und Mui Wo führt, wo wir einen Bus besteigen können, der uns zurück zu unserem Strandcamping nach Pui O bringt. Wir folgen also noch 3,5 Kilometer lang Steinstufen, durch herrliche Hügel, verharren immer wieder für Foto, Filme oder einfach nur, um Momente im Festplattenspeicher des Gehirns zu verankern. Wir atmen tief ein und danken – Gott, der Staatsregierung oder wem auch immer – für diesen Tag – einem von 365, die wir in einem Sabbatjahr, frei von allen Zwängen, erleben dürfen. Oh ja, wir wissen es zu schätzen und genießen es einfach nur!
Zum Sonnenuntergang sind wir wieder im Camp! Gerade recht zum Feierabendbier im weißen Sand vor dem roten Feuerball. Kurz nachdem der Wärmespender hinter den Bergen abgetaucht ist, kühlt es merklich ab. Wir brutzeln noch geschwind unser indisches Gemüsecurry und verschwinden mit dem „Roten Chilenen“ ins Zelt.