31.12.2009 (m) – Kiewkacham – Luang Prabang: 80km, 1200Hm
Obheiter ist es! Obheiter? Was soll das denn sein? Also erklären wir das Philip, dem Biberacher und Franzi, der Thüringerin, schnell anhand des sich uns bietenden Ausblicks. Wunderbar liegen die nordlaotischen Berge in der Morgensonne, die Täler sind wie Schüsseln mit scheinbar brodelnder Nebelsuppe aufgefüllt. Ja und dann wird der Anschauungsunterricht fortgesetzt, indem wir uns von Höhenmeter zu Höhenmeter diesem Gebräu nähern, um schließlich vollends darin abzutauchen. Oben ist es sonnig, unten grau und feucht. Es werden sogar ein paar Jacken rausgekramt, denn ohne Sonnenstrahlung ist es im südostasiatischen Winter auch schell mal kühl, um 8 Uhr Früh in einer 20 Kilometer langen Abfahrt gleich sowieso. Plötzlich rausche ich an einem Mann vorbei, dessen Silhouette sich aus dem Nebel bereits abgezeichnet hat: er trägt ein Gewehr auf dem Rücken. Schlagartig wird einem wieder klar, dass wir das Gebiet der Hmong durchfahren, deren Rebellen hier immer noch leben und auch mehr oder weniger aktiv sind. Vor etwa fünf Jahren gab es auf dieser Straße mehrere Überfälle mit zahlreichen Toten. Unterdessen ist die Lage zwar ruhig, dennoch mutet es komisch an, solchen Kameraden zu begegnen. Zumal Franzi wenig später einen ganzen Pickup voll Bewaffneter, Philip eine bekalaschnikovten am Straßenrand vermeldet! Nur gut, dass wir mit vierzig Sachen an all diesen Typen vorbei ins Tal rauschen. Vielleicht ist ja auch nur Jagdtag oder die Männer zeigen sich traditionell am 31.12. mit ihrer Waffe – ja ein bisschen Mut muss man sich ja machen dürfen, mit solch „logischen“ Erklärungen, oder? Ein unheimlich anmutender Morgen im nebelversunkenen Nordlaos jedenfalls…
Der Fluss ist erreicht, ab hier folgt ein 15 Kilometer und 800 Höhenmeter langer Anstieg, der aber durch seine absolut humane und gleichmäßige Steilheit nach dem Höhenmetergrbolze von gestern wie eine Spazierfahrt anmutet. Die Sonne hat dem Nebel unterdessen Beine gemacht, so dass wir relativ rasch wieder im eigenen Saft schmoren. Herrliche Ausblicke auf die umliegenden Berge und den Urwald lassen den Schweiß aber gleich viel gemächlicher rinnen.
Wir durchfahren langsam aber sicher die letzten Minderheitendörfer und irgendwie bin ich auch ein wenig froh darüber. So richtig wohl haben ich mich die
letzten drei Tage nicht gefühlt. Sicher, die Kinder stürzen wie immer in überschwänglicher Begeisterung auf die Falang zu, winken und versorgen die Besucher mit einem herzzereißenden Lächeln. Immer öfter bekamen wir aber auch die offene Hand entgegengestreckt – money, kip! Und das ist der Teil, bei dem man sich etwas fehl am Platze vorkommt. Ja, wir sind reich, sind die Spaßradler, die sich in ihrer Freizeit das Leben der hiesigen Menschen anschauen. Die Erwachsenen haben oft mürrisch dreingeschaut. Sie wissen, wo und wie sie Leben, welche Perspektiven sie haben bzw. wohl welche eher nicht. Ihnen fehlt die Unschuld der Kinder. Sie haben uns natürlich nicht vertrieben, aber so richtig gefreut über unsere Durchfahrt haben sie sich auch nicht! Warum auch? Ganz zu schweigen von den vielen, vielen Arbeitern, die entlag der Straße 13 mit Schaufel und Hacke einen hüfttiefen, 30 Zentimeter breiten Graben für eine Leitung ausgehoben haben. Wie lächerlich wirken da unsere Anstrengungen über diese Berge zu keuchen? Das soziale Gefälle weltweit ist einem ja nicht unbekannt, wenn man aber hier so hautnah konfrontiert wird…man bleibt mit einigen Fragen und Gedanken auf der Strecke.
Im Radalltag geht es so weiter, dass eine herrliche Abfahrt folgt, die uns in die heißen Niederungen zurückbringt. 25 Kilometer sind es noch bis Luang Prabang, vorwiegend flach, jedeoch lauern noch zwei giftige Anstiege. Doch Silvester in der alten Königsstadt – der Gedanke daran setzt nochmal Kräfte frei. Die letzten zehn Kilometer geht es fast nur noch bergab und so können wir die Einfahrt in vollen Zügen genießen. Luang Prabang hat nur gut 30 000 Einwohner, entsprechend aufgeräumt und gemächlich geht es hier zu. Aufgrund des bedeutungsvollen Tages, dem Jahreswechsel, der die Laoten übrigens weitestgehend kalt lässt (hier wird im Februar gefeiert), sind die Unterkünfte entsprechend gut belegt. So kommt es, dass Philip und Franzi gut zwei Kilometer von uns entfernt ein Quartier beziehen. Wir kommen in einem chinesischen Hotel unter, wo Katrin gleich wieder routiniert ihren Zimmerverhandlungen abwickelt – fast wie nach Hause kommen.
Zum Abendessen treffen wir uns in der Stadt, wo wir unter den wirklich zahlreichen Restaurants zunächst eine Tapas-Bar ansteuern, um das von laotischen Leckereien beherrschte Hauptmahl im „Three Elephants“ zu verspeisen. Später vertreiben noch ein paar Bierchen die Zeit bis Mitternacht. Und schon hat man fast wieder vergessen, wo man ist, zwischen all den Bars, Cafés und Restaurants – nämlich nach wie vor in einem der ärmsten Länder dieser Erde.
Der Vollmond bringt sich in Position, als wir unsere „Gruppenrakete“ steigen lassen: eine große Papierlaterne, die von einem kleinen Feuerring produzierter Heißluft aufgebläht wird und dann in den klaren Nachthimmel steigt – begleitet von unseren Wünschen für das neue Jahr. Vom Nebenplatz dröhnt die laotische oder thailändische Live-Musik, so genau weiß man das ja nicht, die in erster Linie laut ist! Der Stimmung tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil, viele Touris und Thai und sonstwer hüpfen polonaiseartig umher oder schunkeln, schwanken ganz für sich allein. Wir stehen und beobachten. Dann krachen ein paar Raketen, nur wenige, ganz einfach und schlicht. Wir stoßen mit Bier Lao an, die große Feier fällt aus. Warum? Wegen müde! Wir rufen über das gesegnete Internet, das es auch bis in diesen entlegenen Winkel geschafft hat, noch ein paar Freunde und Verwandte an, dann ist das neue Jahr erreicht und wir dürfen ins Bettchen.