17.11.2009 (m) – Mu Cang Chai – Nghia Lo: 97km, 1200Hm
“Na dann viel Spaß bei dem Wedder!”. Ja, der gute Ha, schon ein Spaßvogel. Unsere Vorfreude hält sich bei der Aussicht auf gut 100 Kilometer bei keiner Aussicht auf die Berge und strammen Gegenwind-Böen in Grenzen. Das Lokal von gestern Abend soll uns mit Nudeln für die Etappe versorgen. Extra früh sind wir aufgestanden, mit Sonnenaufgang wollen wir los. Und dann brauchen die – zugegebenermaßen liebenswürdigen – Jungs in der Küche eine knappe halbe Stunde, um ein Päckchen Eiernudeln aufzureißen, weich zu machen und mit einer Hand voll Grünzeug in Knoblauch belegt zu servieren. Das kleine Häufchen ist nicht mehr als ein Magenkitzler und erinnert so gar nicht an die chinesischen Mengen, aber alles Zaudern hilft nicht. Wir müssen los. Klar, dass es bergauf geht, das wissen wir. Schließlich liegt der Pass auf gut 1800m. Wir sind perfekt gebrieft. Dass allerdings die mühsam erkämpften Höhenmeter gerne durch kurze Abfahrten wieder eliminiert werden, bringt Punkte fürs Höhenkonto, nicht aber Zuversicht und Motivation für die weitere Etappe. Freundliche Dorfbewohner am Straßenrand und enthusiastische Kinder, die oft aus den hintersten Winkeln der Höfe angerannt kommen, nur um uns einmal kurz mit strahlenden Augen zuzuwinken, lassen Niesel, Starkwind, Kälte und Anstiege kurz vergessen. Bald aber steigt die Straße zum Pass steiler an, die Besiedelung wird dünner und die Nebelwand rückt unaufhörlich näher. Irgendwann tauchen wir dann vollends in die Suppe ein, hangeln uns von Begrenzungspfahl zu Begrenzungspfahl, um bei 20m Sicht nicht in den Schluchten der vietnamesischen Berge zu verschwinden. Fernes Hupen und Motorengeräusch lassen uns ehrfurchtsvoll stramm stehen und warten, bis aus dem milchigen Etwas zwei Schweinwerfer auftauchen, die einen Mehrtonner ankündigen, der schließlich in Schrittgeschwindigkeit an uns vorbeituckert. Die Fahrer hängen wohl schon auch an ihren Leben. Die Tretarbeit bergan hält die Kälte der Umgebung noch in Schach, als die Lenker aber plötzlich nach vorne abkippen, nehmen wir deutlich Fahrt auf. Obwohl erst auf 1600m, realisieren wir, dass die Passhöhe wohl doch schon überwunden ist. Der Fahrtwind und das Verharren im Sattel kühlen uns in der Folge rasch aus. Niemals hätten wir hier nochmal mit solch einer Kälte gerechnet. Es friert uns wie Sau! Schlotternd, in Gedanken bei einer heißen Dusche, rauschen wir gen Tal. Fast 20 Kilometer geht es jetzt hinunter, gut 1000 Höhenmeter tauschen wir dafür ein. Eine tolle Straße führt hinab, seitlich ragen steile Hänge mit dichtem, grünem Urwald auf. Mit dem Nebel, der sich ab etwa 1400m ü.N.N. wieder lichtet, ergibt sich ein stimmungsvolles Bild. Mit einem schönen Bergpanorama bei guter Sicht zählte diese Straße wohl zu den Traumrouten für Radfahrer. Wir freuen uns über jeden Meter, den wir tiefer kommen und jedes Zehntelgrad mehr. Einige Kilometer vor Tule ist die Landschaft von atemberaubenden Reisterassen geprägt, die weit, weit die Berghänge hinauf angelegt sind. Wenn, ja wenn jetzt Oktober wäre, kurz vor der Reisernte, dann wäre das hier wohl ein Anblick, dessen Schönheit sich in Worte kaum fassen ließe. Auch so ist es faszinierend, aber eben nicht vollkommen.
Tule bietet einige Geschäfte, ein Guesthouse mit Restaurant, in dem gerne Tourgruppen zu Mittag speisen. Ha hat die Besitzer schon auf „zwei Radler“ vorbereitet, was aber die Platte Nudeln (wiederum kein Auswuchs an Kreativität) auch keinen Deut schneller an unseren Tisch bringt. Und so vergeht fast eine Stunde, bis wir uns wieder auf den Weg machen können. Nachdem wir erst die Hälfte der Strecke absolviert haben, also gut 50 Kilometer, entsteht fast mal wieder so etwas wie Zeitdruck, schwindet doch das Tageslicht unterdessen schon um 17:20 Uhr. Obwohl kein großer Pass mehr folgt, sind doch viele giftige Anstiege mit zweistelligen Prozenten zu meistern. Auch 200, 300 Höhenmeter zehren mit bepackten Rädern am Zeit- und Kraftkonto. Das heutige Etappenziel liegt jedoch auf unter 300m ü.N.N., was uns auch noch einige längere Abfahrten mit „schnellen“ Kilometern beschert. Kurz vor Nghia Lo ist die Strecke dann komplett flach, so dass wir relativ entspannt eine gute Stunde vor Sonnenuntergang das Stadthotel erreichen, wo schon Erwins und Anitas schwarzer Jeep geparkt ist. Ha trinkt gegenüber genüsslich ein Bierchen und empfängt uns herzlich. Nachdem wir die Truppe also wieder gefunden haben, steht dem gemeinsamen Abendessen nichts mehr im Weg. So sind uns Spare-Ribs, „Pommes“, Rindfleisch mit Tomaten und Zwiebeln (Kinder, würzt doch bitte mal euer Essen!) und Wasserbrühe beschert. Wir sind hungrig, wenig später dann satt und nach zwei Bierchen und einem Reisschnaps in einer seligen Zufriedenheit. Wir studieren mit Ha noch ein wenig die Karte und spielen einige Etappen-Alternativen durch. Mangelnde Unterkunftsmöglichkeiten, die überaus strapaziöse Streckenführung und die nicht mehr ganz so spektakuläre Landschaft führen zum abschließenden Urteil des erfahrenen Vietnamesen:“Ihr fahrt morgen Bus!“.