„Ne, Albanien fahr‘ ich nich‘. Ich hab gehört, die schneiden dir da den Hals durch, wenn sie denken, du bist ein amerikanischer Spion.“ So sprach’s der deutsche Motorradfahrer Lutz auf der kroatischen Insel Korcula. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir schon zwei wundervolle Wochen quer durch Albanien auf dem Sattel hinter uns. Und so konnten wir über diese vor Vorurteilen strotzende Aussage nur leise schmunzeln und uns dabei an all die tollen Begegnungen und Erlebnisse im Land der Skipetaren erinnern…
Klar, ein wenig skeptisch war ich ja auch gewesen, als wir den Grenzübergang im Westen Griechenlands bei Sagiada nach Konsipol überquerten. Wie immer vor einem neuen Land, über das man viel gehört, wenig gelesen und gar nichts selbst erfahren hat. Doch schon das Augenzwinkern des Zöllners und die ersten „Welcome“-Rufe am Straßenrand ließen uns hoffen, auf viel Freundlichkeit und Fröhlichkeit im weiteren Verlauf unserer Albanien-Rundfahrt zu treffen.
Und wir sollten nicht enttäuscht werden.
In einer langgestreckten Abfahrt ging es hinunter zum Meer nach Ksamil. Verkehr war kaum vorhanden und die Straße in gutem Zustand. So konnten wir die wilde Landschaft, die an uns vorbeizog, genießen und hatten Zeit den Ziegenhirten einen freundlichen Gruß hinüberzuwinken. Schnell fielen die Unterschiede zum viel reicheren – lustig, dieses Adjektiv im Zusammenhang mit Griechenland zu verwenden – Nachbarn auf. Einfachere Häuser, ruppigerer Asfalt (sofern überhaupt vorhanden), grauere und staubigere Straßenzüge, geringeres Warenangebot im Supermarkt und nettere Menschen. Wie uns schon oft auf unseren Reisen auffiel, scheint die Offenheit und Gastfreundschaft indirekt proportional zum Einkommen zu steigen.
Kurz vor Butrint – Weltkulturerbe (!) – setzten wir mit einer uralten Fähre über den Fluss. Stahlseile zogen das wacklige Floß mit ein paar Autos, Motorrädern und uns für zwei Euro auf die andere Seite. Butrint liegt wunderschön auf einer Halbinsel und zeigt auf eindrucksvolle Weise die städtebaulichen Errungenschaften aus vielen Jahrhunderten.
In Ksamil erwartete uns dann ein sehr familiärer Campingplatz, wo wir mit Frappée, Blumen auf dem Tisch und herzlichen Worten empfangen wurden. Eine Lehrerfamilie hat sich hier ein zweites Standbein aufgebaut und führt den Platz mit viel Engagement und Wärme. Am nächsten Morgen mussten beide rasch zur Schule. Und so stand die Großmutter vor uns, um unser Geld entgegenzunehmen. In schwarzem, traditionellem Gewand, mit jeder Menge Furchen, die wohl das harte Leben im früheren kommunistischen Albanien gruben und einem überwältigendem Lächeln im Gesicht. Zum Abschied umarmte sie Katrin. Eine wunderbare Herzlichkeit.
Starke Regenfälle waren für die nächsten Tage angekündigt und so wollten wir noch schnell über den Muzines-Pass ins Tal der Dhrin bis nach Gjirokaster. Auch diese Stadt wurde schon vor Langem zum Weltkulturerbe erklärt. Die Altstadt oben am Hang ist komplett aus Steinen errichtet, daher auch der Zweitname: City of Stones. Der Weg dorthin war spektakulär. Spätestens als wir die verbaute Touristenstadt Sarande links liegen gelassen hatten und uns mit kräftigen Tritten den Bergen näherten. Schroffe Spitzen, steile Schluchten und grüne Wälder taten sich auf. Pferdewagen und Ziegenherden, Heuballen und Traktoren aus dem Museum, Männer mit dunkel gegerbten Gesichtern. Dazu die dunklen Regenwolken, die sich in der Ferne schon mal darauf freuten ihre fette Ladung bald über der Region niedergehen zu lassen. Tapfer kurbelten wir noch 25 Kilometer auf der neu ausgebauten Straße nach Gjirokaster und bewältigten die 150 Höhenmeter in die Altstadt. Just im dem Moment, als wir die Taschen im Hotelzimmer abstellten, brach der Regen los – und hörte erst 36 Stunden später wieder auf.
Wir verlängerten unserern Aufenthalt in der Stadt und hatten so noch die Chance im „Stone City Hostel“, das ein junger und engagierter Holländer aufgebaut hat, eine Menge netter Menschen kennen zu lernen. Mit ihnen wanderten wir noch in die Hügel hinter die Stadt und sahen den Hirten dabei zu, wie sie ihre Herden abends nach Hause trieben. Dann aßen wir gemeinsam „typisch albanisch“ zu Abend. Typisch albanisch heißt hier: äußert schmackhaft und äußerst preiswert. Mal gebackenen Feta mit Sesam und Honig, mal frische Forelle mit haugemachten Pommes Frites, mal gebratenes Lamm, mal griechischen Salat mit frischem Brot, mal gebackene Reisbällchen oder auch mal frische Feigenmarmelade mit Feta.
Der Regen verzog sich, machte der Sonne wieder Platz und so konnten wir auf die Straße zurück. Wir hatten uns für die Ostroute entschieden, was bedeutete, dass wir durch das dünn besiedelte Bergland an der Grenze zu Griechenland und Mazedonien fahren wollten. Die Straßen wurden schmaler, der Belag öfter auch mal weniger ansprechend, dafür die Natur immer wilder. Die wenigen Menschen, die wir trafen, gaben uns immer das Gefühl, willkommen zu sein. Oft konnten wir nur ein bisschen auf italienisch radebrechen, ist das doch die mit am häufigsten gesprochene Fremdsprache im Land. Viele haben halt zumindest ein paar Jahre Arbeit auf dem italienischen Festland im Lebenslauf stehen. Albanien wird ja auch als der „italienische Satellitenstaat“ bezeichnet. Das Warenangebot reicht dazu passend denn auch von Barilla-Nudeln über Lavazza-Kaffee bis zum Lemonsoda. Und die Espressomaschinen lassen das schwarze Gold ebenso verführerisch in die kleinen dickwandigen Tässchen rinnen wie beim großen Bruder auf der anderen Seite der Adria. Ein Cappucchino ist jedoch weitgehend unbekannt – wer Milchschaum im Espresso möchte, muss mit einem Macchiato vorlieb nehmen, sonst erhält er ziemlich wahrscheinlich Nescafé-Pulver mit viel zu viel Zucker in viel zu viel Wasser – angereichert mit ein wenig Milch für den richtigen Teint.
Hinter Permet nähert man sich, nach Süden fahrend, wieder der griechischen Grenze, in diesem Falle bei Melisopetra. Kurz vorher windet sich ein wunderschöner Pass hinauf nach Leskovik und weiter ins Niemandsland zur „Farma Sotira“. Hier wird alles noch handgemacht: Forellen-, Schaf- und Ziegenzucht, Wein, Raki. Wer keine Hütte zum Übernachten buchen will, stellt sein Zelt auf dem großen Gelände auf und isst in der hüttenähnlichen Stube bei Kaminfeuer herzhaft, frisch und unglaublich gut zu Abend.
Durch dichte Kieferndwälder schraubten wir uns aus dem Hochtal über weitere größere und kleinere Pässe bis nach Korce im Südosten des Landes. Von hier führte eine gut ausgebaute Straße zum Ohridsee, den sich Albanien mit Mazedoninen teilt. Am Süd- und Nordufer warten jungen albanische und mazedonische Unternehmer auf ihren recht neu erbauten Campingplätzen auf Kundschaft. Mal gab‘s frisches vom Grill (Camping Abri), mal sämtliche Kaffeespezialitäten auf‘s Haus (Camping Sunrise bei Struga), fällig wurden fünf bis sechs Euro pro Nacht. Die Landschaft herrlich! Der Ohridsee ist umgeben von riesiegen Bergen, die zum Mountainbiken einladen. Dazu Seepromenaden, alte Gemäuer, Cafés – warum nur immer Gardasee und Südtirol fragten wir uns?
Durch das tiefe, von viel Grün begrenzte Tal des aufgestauten Crni Drim-Flusses fuhren wir praktsich ohne Aussicht bis nach Debar. Diese holten wir uns aber auf dem Balkon des perfekt gelegenen „Hotel Leon“ wieder zurück. Das Ankunftsbier schmeckte in der Abendsonne, während unserer Blicke über den Debarsko-See und die auch hier wieder steil aufragenden Berge schweiften. Wir waren uns einig: auch das eine top Urlaubsregion.
Über die nahe Grenze huschten wir zurück nach Albanien, wo wir in zwei weiteren Bergetappen bis kurz vor Shkodra kurvten. Unterwegs gewährte uns der „Oasis alla Chiesa“-Camping nahe Burell ein geschütztes Plätzchen für unser Zelt. Unter dem Schutz der auf dem Gelände wohnenden Nonnen und den zahlreichen Fotos verschiedener Päpste und sogar Mutter Theresas konnten wir ruhig schlafen. Aber auch sonst fühlten wir uns in Albanien jederzeit und an jedem Ort überaus sicher!
Die Küstenebene in Richtung Shkodra empfing uns mit Gegenwind und drückender Hitze. Auf dem holländisch geführten „Camping Albania“ in Barbullush konnten wir uns aber von den anstrengenden Etappen durch das noch sehr ursprüngliche und ländliche Albanien bei Steak und Salat bestens erholen. Die Familie engagiert sich vor Ort im medizinischen Bereich und der Mann, ausgeblideter Arzt, behandelt die Einheimischen vor Ort. Ein tolles Projekt, das nun schon seit 23 Jahren läuft. In diesem Jahr, so erzählten sie uns, bleiben die Touristen aber bisher aus. Warum nur? In Zeiten des Terrors und der Fluchtbewegungen scheint alles irgendwie schwieriger zu werden, die Menschen vorsichtiger, ängstlicher. Daher, an alle Lutze und sonstige Vorurteilsjünger da draußen: Kommt und entdeckt das wunderschöne Albanien mit seinen herzlichen Menschen.