01.09.2011 (k) S. Stefano di Sessanio – Lago di Campotosto: km, Hm
Wie können wir hoch hinaus und doch Höhenmeter vermeiden? Vielleicht weiß es Dr. Google? Beim Frühstück im mittelalterlichen Ortskern von S. Stefano jedenfalls wird er von Molle befragt. Die Folge: Tina, ich und Molle wählen eine Google-Route, die höchstwahrscheinlich Schotter beinhaltet aber dafür mit wenig Höhe hinüber führt zum Fuße des Gran Sasso bei Fonte Cerreto. Matthias hat „koin Bock auf Schodda“ und beschließt, über einen Pass hinauf auf die Hochfläche des Campo Imperatore zu fahren, und dann in Fonte Cerreto wieder auf uns zu stoßen. So trennen sich zum ersten Mal unsere Wege, doch wir hoffen, nur für Stunden. Nachdem wir den Einstieg in unsere Route gefunden haben (ca. 2 m Luftlinie von dem nächtlichen Standort unserer Zelte entfernt) steigt eine Schotterstraße mit geteerten Abschnitten leicht zu einer Passhöhe an. Es sind nur gut 100 Höhenmeter bis zum Scheitel – rechts von uns ragt der karge Höhenzug einige hundert Meter empor, über den Matthias gerade irgendwo strampelt. Eine steile Schotterabfahrt (mit Schwimmkies), die wir stellenweise lieber schieben bringt uns nach dem Pass hinunter auf eine große Ebene, auf der ein paar Kühe und Schafe weiden. Ein Bauer ist mit seinem Traktor unterwegs, ansonsten sehen wir keine Menschenseele. Unsere kleine Straße ist beinahe nur noch auf dem GPS klar ersichtlich, wir fühlen uns als hätten uns jemand in die Mongolei versetzt – Grasland, trockene Hügellandschaft und eine kleine Straße, die sich immer weiter verzweigt und kaum mehr erkennbar ist. Doch Molle ist ein guter Navigator – zumindest auf dem GPS geht die Route durch. Wenn freuen uns ob des kleinen Abenteuers und der beeindruckenden Landschaft, die wir so nicht erwartet hatten. Hinter den Bergrücken im Norden schiebt das Corno Grande des Gran Sasso seine graue, felsige Nase neugierig hervor. Wir recken uns ebenso, um möglichst viel von ihm zu sehen. Unsere Hochwiese, die wir durchqueren, wird von allen Seiten wie ein Kratersee begrenzt – mit bloßem Auge ist keine Straße aus dieser Mulde heraus zu erkennen, auf dem GPS sieht man ein Stück von knappe 2 Kilometern nur noch als kleine, schwarze Linie. Was ich bei der Abfahrt bereits ahnte, bewahrheitet sich: nur ein Fußpfad führt hinaus und hinauf auf den Sattel. Markierung weiß – rot, aber sonst keine Spur von DAV-Wegebau! Immer schön in der Falllinie hinauf. Ich trage den hinteren Sack auf dem Rücken und schaffe es gerade mit großem Kraftaufwand meinen Bock bergauf zu schieben. Tina schwitzt fleißig voraus – schiebt ihren ganzen Esel tapfer Schritt für Schritt. An einer Stelle hilft uns Molle über eine Steilstufe hinweg. Jetzt bin ich doch froh, dass wir nicht versucht haben, Matthias zu überzeugen, mit uns zu kommen. Doch wir sind guter Dinge und guter Laune – die Schiebestrecke ist absehbar und die Landschaft, die erhabene Ruhe entschädigt großmütig. Oben klatschen wir ab – ein Alpweg führt hinunter vom Sattel, vorbei an einem Schäferpärchen mit seiner Hundehorde, die sich aber vom Herrchen zurückpfeifen lassen. Die hiesige abbruzzische Schäferhundrasse kann man manchmal auf den ersten Blick sowieso nicht von den Schäfchen unterscheiden – gleiches Beige und gleiche Zottelstufe. Der Alpweg mündet in eine kleine Teerstraße und die wiederum endet an einer nächstgrößeren, auf welcher Matthias unserer Annahme nach bereits vom Pass herab durchgerauscht sein müsste. Denn obwohl er bis zu dieser Stelle gute 30 Kilometer zu fahren hatte und wir gute 12, müsste er schneller gewesen sein. Nach 7 Kilometer schöner Abfahrt findet ihn Tina in einer Bar in Fonte Cerreto und wir schwenken zusammen in den Risto-Pub zum Mittagessen ein. Das Ambiente passt nicht ganz zur Außentemperatur – gleicht es doch mehr einem Apres-Ski-Tempel, doch die Pasta mundet auch hier und wir nützen die Zeit um uns gegenseitig von den Erlebnissen des heutigen Halbtages zu berichten. Matthias hat bereits 700 Höhenmeter weggedrückt, er ist einfach eine Maschine! Wir hingegen 150, doch ein bisschen kaputt sind wir bereits. Trotzdem wird die Idee, vielleicht hier auf dem Campingplatz zu bleiben einheitlich verworfen und der nächste Passanstieg geplant. Als wir das Lokal verlassen packt uns die Hitze wieder liebevoll unter ihren Mantel und die Straße führt uns noch ein paar Kilometer steil bergab, nur, um uns auf einer Schweinerampe auf der anderen Seite der Autobahn wieder auszuspucken. Kriechgang ist angesagt – stehen doch wieder 500 Höhenmeter an. Die üble Steilheit zieht sich wenigstens nicht durch, je höher wir kommen, desto besser ist der Pass zu fahren und wir kommen in einen gemütlichen Tritt. Oben weiden viele Kühe und Pferde, ein Wind pfeift über die Hochebene. Eine weiße Kuh frisst vor stahlblauem Himmel Zweige von einem reifen Hagebuttenstrauch und schluckt dabei mitleiderregend – dass ihr die Dornen nicht die gesamte Speiseröhre perforieren ist ein Wunder.
In der Abfahrt kurz vor der Haupstraße warten unsere schnellen Freunde. Matthias ist bergauf wirklich kaum zu halten, geschweige denn zu begleiten oder gar einzuholen. Er stellt die Flügel aus und tritt, als gäbe es kein morgen – ist einfach eine Maschine, der Typ! Wir treffen auf die Hauptstraße, die von L’Aquila nach Tèramo führt und folgen ihr hinunter ins Tal, in dem der Vomano entspringt. Eine Haken hat jede Abfahrt in diesem wunderschönen Gebiet: man kann sie nicht genießen. Jeder Meter bergab heißt wieder einen Meter bergauf – das ist jetzt immer so gewesen in den Abruzzen und daher fahren wir lieber gleich nur bergauf. Als wir an der Abzweigung zum Lago die Campotosto ankommen ist von Matthias bereits nichts mehr zu sehen. Molle und Tina sinnieren gerade über die bevorstehenden Höhenmeter, doch es gibt sowieso keine Alternative und wir klettern gemeinsam, langsam aufwärts. Überraschend flach steigt die Straße zur Staumauer an und mit Hilfe des Rückenwindes fährt es sich besser als erwartet. Ich sehe Matthias‘ gelben Packsack bereits auf der Zielgeraden kurz unterhalb der Staumauer kurz durchflitzen, während wir noch fast ganz unten sind. Das Schild „La Mascionara – Formaggi, Ricotta di pecora, garni e Salami, Produzione Propria“ ruft „Stopp“ zu Molle und Tina – und sie gehorchen. Kurze Zeit später schleppen sie freudestrahlend Käse, Joghurt, Bier und Fanta heran und sind begeistert von der Aufmachung des kleinen Spezialitätenladens und der riesigen Theke. Wir schlürfen das Fanta und gehen die letzten Höhenmeter zur Staumauer an. Direkt an dieser zeigt ein Schild „Camping punto ristoro“ nach links, doch von Matthias ist weit und breit keine Spur. Keine Kilometerangabe – wie so meistens in Italien. Jetzt die Frage der Fragen: hat die Maschine das Schild gesehen und ist links zum Camping abgesteuert? Aber selbst Maschinen sollten doch wissen, dass man an Abzweigungen wartet. Oder hat die Maschine ob ihrer Geschwindigkeit das Schild eben übersehen und ist geradeaus zum See durchgerauscht? Wir fahren noch hoch zum See, hoffend die Maschine dort zu sehen. Doch nein – also weiter geradeaus. Bis zur Brücke, die über den überraschend pittoresquen Stausee führt fahren wir noch, dann steigt der Groll. Wo ist der denn jetzt hingerauscht – wir haben doch noch gar nichts ausgemacht?! Aber wir leben ja im Technikzeitalter, das solche Situationen mittlerweile sowieso auf fast Null pro Jahr heruntergedrückt hat. Ich wähle Matthias an und er meldet sich von der anderen Seeseite auf dem Weg zum Camping. Dort treffen wir auch nach 7 weiteren Kilometern auf ihn. Das Abendlicht tönt alles wieder in eine goldene Stimmung, der Monte Corvo lacht steinern über den See, das gesamte „Setting“ erinnert ein wenig an Neuseeland. Zum „Punto ristoro“ geht es noch kurz steil und schottrig hinauf – die Aussicht ist allerdings grandios und die Freude des „Ankommens“ erfasst uns alle. Schnell ist auch geklärt, das Matthias einfach zu schnell für uns war. Wirklich geradeaus gefahren ist, dann umgedreht hat, um an der Abzweigung zum Camping auf uns zu warten, dann gewartet hat, aber nicht gewusst hat, ob wir schon durchgekommen sind und Richtung Camping gefahren sind und somit selbst diese Richtung eingeschlagen hat. Die Maschine kann ja auch nicht wissen, dass wir nach 1500 Hm wirklich sooo langsam sind. Beim Duschen sind allerdings alle schneller! Frisch geputzt sitzen wir am Tisch mit Panoramablick auf den See und die Berge – es kommt ein wenig Berghütten-Feeling auf, vor allem, durch den gediegenen Gastwirt, der Ruhe, Humor, spröde Coolness und Verschmitztheit und Freundlichkeit in sich vereint. Wir lassen uns einfach mit dem vollen Menü bedienen: Am Start befinden sich Käsevariationen und Riotta der Region, gegrillte Bruscette mit roher Salsiccia und Olivenöl sowie weiße Bohnen in Tomatensausce. Primi gibt es dann „Farfalle alle herbe“ – so giftgrün und doch so ultimativ „isch fei bio“ – mit Nachschlagoption aus der Grande Pfanne. Als Hauptspeise für die Nicht- bzw. „Part-Time“-Vegetarier leckerste Lammspießchen vom Grill, dazu für alle die „weltbesten“ Bratkartoffeln und Salat. Klaro, dass wir eine Auwahl an hausgemachten Kuchen nicht verschmähen, als wir nach dem Dolce-Hunger gefragt werden. Wer hat nur die ganzen 0,5cmx0,5cm Lammwürfel aufgespießt, frage ich den Cheffe. Darauf schleppt er lachend seine Spießerbox an: eine Box, 20 auf 20 cm, die gefüllt wird mit Fleischstreifen und Fett oder allem, was man druchspießen will; dann werden Holzspieße durchgesteckt und alles mit einer großen Klinge 10 mal längs und ebenso quer geschnitten. Schreit nach Nachbau Geht sicher auch als Verggie-Variante. Der nette Römer, der mit seiner Frau und zwei Mädels, die so smart sind, dass sich sogar Matthias Kinder vorstellen könnte, hier ein paar Tage Urlaub macht, und der, nachdem er erfahren hat, dass wir gar nicht ganz auf dem Campo-Imperatore Gipfel waren nicht mehr so ganz mega beeindruckt von uns ist, lädt uns noch zu einem Amaro der Region ein und wir träumen bereits von einem Pausetag hier. Doch die Wettervorhersage drängt sich wie eine kleiner Fiesling in unsere Pläne: nur morgen und übermorgen noch schön, dann etwas Regen. Das heißt, wir müssen weiter, denn durch die Berge des Sibbilini wollen wir schon noch bei Sonne! Absolut zufrieden für den Moment wünschen wir dem Berghütten-Gourmet mit seinem Team eine „Buona Notte“ und träumen von den morgigen Höhenmetern. Ach ja, Molle hat in der Dusche jemanden getroffen, der morgen gerne mit uns radeln würde. Er ist zwar ein bisschen zu fit für uns, aber er hat auch mal Lust auf ne Gruppe. Vorgestellt hat er sich als „Jimmy Office“ – Nickname „The Machine“, wohnhaft in einem Böxle in einem Kaff bei Immenstadt.