Samstag, 19.06.2010 (k) Sankt Petersburg
Eine Stadtbesichtigung steht also noch an, bevor wir endgültig unsere Füße zurück in die EU setzen. Wenn wir schonmal hier durchkommen, wollen wir auch einen Blick hineinwerfen, in diese weltberühmte Metropole. Sankt Petersburgs Geschichte geht gerade mal 300 Jahre zurück, für mich ist das keine alte Stadt. Darin liegt aber wahrscheinlich ihr Reiz, alle Häuser wurden in einem engen zeitlichen Rahmen erbaut und der (neo)klassizistische Baustil überzieht den historischen Kern wie ein Tortenguss den Erdbeerkuchen. Uns kommt es komisch vor, dass wir nach einer Nacht Zugfahrt schon wieder aussteigen müssen. Der Bahnhof für die Züge von Moskau liegt recht zentral. Noch zentraler liegt unser gebuchtes Hostel, direkt bei der Admiralität und so sehen wir auf unseren ersten Kilometern durch Sankt Petersburg bereits eine Hauptsehenswürdigkeit: die Champs Elysee des Ostens, den Nevsky-Prospekt, die Prachtstraße der Zarenstadt. Wir sehen dann auch schon mehr, als uns für den Beginn lieb ist, denn wir kurven zwei Stunden in der Gegend um die Admiralität herum, da wir das Hostel nicht finden. Die Adresse ist zweideutig, doch bei beiden möglichen Straßen findet sich bei Nummer 8 kein Schild oder irgendein Hinweis auf eine Jugendherberge. Der Frust führt uns letztlich in ein Internetcafé um noch etwas über die Lage des Hauses herauszufinden. Es muss genau da sein, wo wir es eigentlich vermutet haben. Noch einmal fahren wir zu dem großen Stadthaus, das mehrere Eingänge hat, dessen erster allerdings versperrt ist, dessen zweiter zu einem abgehalfterten „Fashion“-Geschäft führt und dessen dritter so unscheinbar neben die Terrasse eines Restaurants geklemmt ist, dass erst bei frontaler Annäherung zu Fuß die senkrecht in lila auf die Tür geschriebenen Buchstaben „LOCATION HOSTEL“ in den Blick kommen. Wow, Name ist Programm, oder was? Im vierten Stock des Altbaus haben sie eine alte Wohnung zu einer Jugendherberge umfunktioniert, der Rest des Hauses scheint nicht mehr bewohnt zu sein. Auf den ersten Blick ist es recht cool gemacht, doch leider wurde bei Verarbeitung und Material nicht ausreichend auf Qualität geachtet, was wohl dazu führen wird, dass diese „Location“ in spätestens zwei Jahren wahrscheinlich wirklich nicht mehr gefunden werden muss. Nicht einmal in China begegnete uns so ein Pfusch. Wir beziehen unser Metallstockschaukeln, wäre ja noch schöner, wenn sich im Achterschlafsaal jemand umdrehen dürfte, ohne dass es entweder der Unter- oder Obermann durch Schaukeln, oder aber die anderen durch Quietschen mitbekommen würde. Dass wir eigentlich Sechserschlafsaal – den es gar nicht (mehr?) gibt – gebucht haben, ist dabei auch gerade noch egal.
Aber wir sind ja nicht zum Schlafen hier, raus in die Stadt! Die erste Runde zu Fuß zur Orientierung und zur Futtersuche. Wir landen beim Döner, nicht typisch russisch, doch hatten wir auch länger nicht und ist erschwinglich. Wir laufen die nähere Umgebung ab: Winterpalast, Triumphbogen, Admiralität, Isaak-Kathedrale und schwenken dann zum Abendessen und Fußballschauen in eine Bierstube ein.
Als wir wieder herauspurzeln ( das Bier ist hier ja wirklich wieder ein Bier!) ist die gesamte Straße weiträumig abgesperrt. Wir laufen bis zum Wasser, wo die Straßensperre beginnt und warten mit den andern Leuten dort darauf, dass irgendein Konvoi mit irgendeinem Konvoi vorbeibraust. Bis heute fand in St. Petersburg ein internationaler Wirtschaftskongress statt, vielleicht müssen ein paar wichtige Leute noch zum Bankett gebracht werden. Aber nichts passiert. So schlendern wir langsam zurück zum Hostel. Eine der „weißen Nächte“ umgibt uns, es ist halb elf und noch taghell, der Himmel noch blau. Ware Menschenmassen sind untergwegs, sitzen an der Uferpromenade und trinken ein Bierchen, knutschen oder turteln, malen Bilder oder verkaufen Seifenblasen. Die meisten scheinen aber zum großen Platz vor dem Triumphbogen zu strömen, irgendetwas ist da heute los. Als wir uns dem Hostel nähern, ist auch diese Straße abgeriegelt und man kommt nur mit Ticket hindurch. Ich habe glücklicherweise den kleinen Schlüssel vom Schließfach einstecken und kann so beweisen, dass es hier ein Hostel gibt, in das wir zurückwollen und wir werden durchgewunken.
Wir vermuten, dass vielleicht ein Rockkonzert stattfindet, denn die meisten, die zum Platz strömen, sind äußerst jung. Allerdings fast zu jung dafür. Die Lösung erfahren wir im Hostel: es ist Schulabschlussfeier. Die wird wohl überall im Land zentral gefeiert. Tausende von Schülern und Eltern und wer sonst noch eine Einladung hat, zelebrieren das Ende der Schulzeit. Daher tragen sie auch so tolle Kleidchen, bei deren Anblick man schon zu frieren beginnt. Beginn der Veranstaltung ist 23.00 Uhr, Ende 6.00 Uhr – sogar ich hätte an ihrer Stelle lieber zwei Schichten mehr über der weißen Haut. Aber es ist Sommer hier, und da hat die Temperatur nichts zu sagen. Wir sind so müde, wobei wir nicht wissen, warum, dass wir die ersten im Schlafsaal sind, auch wenn wir wahrscheinlich eine riesige Feier verpassen, die sich direkt zu unseren Füßen abspielt. Wahrscheinlich kann man an keinem anderen Tag des Jahres die ganze Zeit so sicher durch Sankt Petersburgs Innenstadt taumeln wie heute, doch die Chance geht an uns vorüber. Zum großen Feuerwerk, das irgendwann in den frühen Morgenstunden startet, wachen wir auf und können es aus unserem Stock sogar ganz gut sehen, wobei es wahrscheinlich von der Nevabrücke überwältigend aussähe. Wenn die nicht gerade hochgezogen ist. Alle Brücken über die Neva sind Zugbrücken, die zu unterschiedlichen Zeiten zwischen 2 und 5 Uhr nachts hochgezogen werden, damit die großen Schiffe und Luxuskreuzer passieren können. Von unseren Mitschläfern bekommen wir zunächst nicht so viel mit, sie trudeln im Laufe der Nacht ein. Aber wie es sein muss, ist ein Megaschnarcher dabei. Wundersamerweise schlafen wir trotz seines Gesäges wieder ein und recht gut durch. Wir müssen wirklich sehr müde sein.