Der Tag in Rostock begann mit einer kurzen Erinnerung: Eine Schiff der Aida-Flotte lag im Hafen. Unser „Transportmittel“ für die Reisen nach Dubai und Indien.
Die deutsch-deutsche Grenze gibt es ja nun seit fast 20 Jahren nicht mehr. Trotzdem haben wir diesen Teil unserer Heimat (abgesehen von Berlin und der Strecke Eisenach – Jena) noch nicht bereist.
Lediglich mit meinem Vater war ich 1990 hier im Norden, unterwegs von Lübeck nach Rügen. Ich, damals erst 12 Jahre alt, war mit der „fremden Welt“ unmittelbar nach der Wende stark überfordert. Seitdem hatte ich die Gegend irgendwie gemieden. Irrational, ich weiß. Heute, ein paar Reisen älter, freute ich mich sehr auf die „Wiederbegegnung“. Dass sich hier etwas geändert haben musste, hatte ich erwartet. Nur was? Und wie viel?
Wir gingen also in Rostock vom Schiff und erkundeten in „Schnelldurchfahrt“ die Hansestadt.
Kurz zuvor hatten wir per Zufall vom Radweg „Kopenhagen – Berlin“ erfahren. Da dieser Rostock passiert, hefteten wir uns an seine Fersen. Schnell hatten wir die Nordsee, verbautes Gebiet und riesige Ein- und Ausfallstraßen hinter uns gelassen. Es wurde ländlich.
Den markierten Radweg verloren wir meist auch ziemlich schnell wieder. Egal. Viel lieber stürzten wir uns eh mit und dank GPS auf abenteuerliche Feldwege.
Die Campingplätze waren meist recht einfach, verströmten teils noch sozialistischen Charakter, wie gesagt: Teils. Ideal sind sie jedenfalls für Biker und Bootsfahrer: Günstig, funktionell und für die richtige Zielgruppe. So trafen wir dort oft Gleichgesinnte.
Mecklenburg-Vorpommern bestach, wie auch später Brandenburg und Sachsen, mit jeder Menge Natur. Die Seen erinnerten uns an Skandinavien (Mücken gab es sogar mehr!), die endlosen Wälder irgendwie auch. Die sandigen Böden, kombiniert mit sanften Anstiegen, zehrten ziemlich an den Kräften. Es war aber beeindruckend, so lange so einsam in einer solchen Stille zu fahren. Das findet man in Mitteleuropa nicht mehr wirklich oft.
Die Dörfer waren oft sehr verlassen, dazwischen gab’s irgendwie auch nicht viel mehr. Und wenn, dann hatte der Dorfladen zwar offiziell „offen“, „da“ war aber trotzdem keiner.
Daher: Gute Vorratshaltung war unabdingbar, um die Pausen auch magenfreundlich und energiespendend verbringen zu können.
Vor allem in Brandenburg waren die Straßenbeläge oft ein harter Test für Mensch und Material. Die alten, gepflasterten Straßen hätten natürlich jede Menge Geschichten zu erzählen, so richtig hören konnte man sie bei dem Gehoppel der Räder allerdings nicht.
Der Vergangenheit der DDR- und der Nazi-Zeit begegnet man noch an vielen Ecken. In diesen Momenten halte ich oft inne und kann unser Glück kaum fassen, dass wir in den heutigen (zumindest in Europa) friedlichen Tagen, leben. (Wenige Wochen später wird die AFD in den Bundestag einziehen – was hoffentlich dennoch nichts am Frieden in Europa ändern wird).
Fast zwei Wochen nach unserem Treffen mit René in Göteborg hatten wir Berlin erreicht und es war nun an der Zeit ihm „Salut!“ zu sagen. Sein Flug ging vom Flughafen Tegel mit der (unterdessen historischen) Air Berlin. René war also einer der letzten Kunden der deutschen Airline. Den Abschiedsabend verbrachten wir zuvor in Spandau bei Pho, Sushi, Pizza und zwei üblen Fertigmischungs-Cocktails. Letztere landeten ob der fragwürdigen Qualität wohl hoffentlich im Ausguss des Lokals – getrunken haben wir sie jedenfalls nicht.
Am Campingplatz vor den Toren des Flughafens endete dann unsere gemeinsame Sommertour 2017.
Direkt nach dem Abschluss-Selfie machten wir uns vom Acker, waren doch massive Regenfälle samt Gewitter prognostiziert. Wir flitzten durch den Grunewald bis Potsdam und schlüpften mit den ersten fetten Tropfen in ein kleines Hotelzimmer. Der Campingplatz wäre mal wieder über zehn Kilometer vom Zentrum entfernt gewesen. Für einen abendlichen Stadtbummel bei Regenwetter eindeutig zu weit.
Der ganz große Regen blieb dann irgendwie doch aus und so konnten wir noch auf eine ausgedehnte Besichtigungstour durch Potsdam starten. Viel wurde hier restauriert, an mancher Ecke lauert aber immer noch Ost-Charme. Uns hat’s gefallen, vor allem auch wegen der vielen Studenten und der lebendigen Kneipenszene.
Ein Highlight war das Schloss Sanssouci. Das letzte Mal waren wir auf Klassenfahrt hier. 10.Klasse – 1993! Am heutigen Abend – 24 Jahre später (!) – waren wir fast allein. Nur ein paar Jogger drehten – tap, tap, tap, tap – ihre Kreise. Die Sonne lugte sogar noch etwas hervor – wunderbare Momente.
Am nächsten Morgen hielten wir nach einem deftigen Frühstück weiter den Kurs „Süd“: immer in Richtung Leipzig.
Ein paar Tage wollten wir noch das südliche Brandenburg und Teile Sachsens erkunden. Viel änderte sich nicht mehr – Wald, Alleen und dazwischen ein paar (durchaus interessante) Städtchen. Der Speckgürtel um Berlin wird immer dicker. Unterdessen hat er bereits Luckenwalde erreicht. Die 40 Kilomter südlich liegende Gemeinde ist bei uns eher unter dem Stichwort „Dunkeldeutschland“ bekannt. Doch, weit gefehlt! Hier tut sich was. Die kreative Künstlerszene ist schon da. Sie kommen ja immer zuerst, dann wird’s hip!
Ohnehin war die Tour sehr erhellend für uns. Nicht, dass wir sonderlich engstirnig wären. Das nicht. Aber so ein paar Vorurteile à la „Mauer im Kopf“ trugen wir schon auch noch mit rum. Natürlich stellten sich manche dieser Vorurteile auch als Tatsachen heraus: die AFD geht hier auf dem Land auf Stimmenfang, es herrscht vielerorts Landflucht und Leerstand.
Auf der anderen Seite gibt es unglaublich viele aufstrebende Regionen: Rostock, Leipzig mit den tollen Naherholungsgebieten, Potsdam, ja und eben zum Beispiel auch: Luckenwalde. Es gibt die Flaming-Skate bei Jüterbog mit hunderten Kilometern feinsten Skating-Strecken. Es gibt tolle asiatische Restaurants und traditionelle Fisch-Lokale, freundliche Menschen und Wälder mit perfekt ausgebaute und -geschilderte Radrouten. Und unglaublich schöne Seen. Ja, es muss nicht immer Südtirol sein.
Und es gab noch was: Den besten Rechtschreibfehler aller Zeiten!
So ähnlich sieht die Flaming-Skate aus. Oft verläuft sie auch durch den Wald. Der Belag ist dabei fast immer gut für die kleinen Gummirollen.
Nach Potsdam gelang es uns stets, die Unwetterfronten auf Distanz zu halten. Unsere Route passte irgendwie immer genau ins „Sonnenloch“ rein.
Das Regenradar entsprach ziemlich genau den Tatsachen. Uns war’s natürlich mehr als recht.
Die letzte Zeltnacht dieser Tour verbrachten wir im „FEZ Freizeit- und Erholungszentrum Eilenburg“. Ganz sicher noch aus sozialistischen Tagen, dennoch (oder gerade dehalb?) schön gelegen, gut gepflegt und nur 30 Kilometer vor den Toren Leipzigs.
Mit dem Erreichen Leipzigs schloss sich für uns dann der Kreis. Hier hatte anfangs der Ferien auch unsere Tschechien-Tour geendet. Und jetzt rollten wir in die uns schon ein bisschen vertraute Stadt ein.
Wir hatten uns richtig drauf gefreut. Vor vier Wochen hatten wir ja nur einen Tag Zeit und diesen bei sommerlichen Temperaturen „nur“ für eine ausgedehnte Radrunde zur Groborientierung genutzt.
Diesmal sollten es die Museen sein. Am Sonntag ließen wir es aber erstmal ruhig angehen.
Und am Montag? Da hatten dann wirklich so gut wie ALLE Museen geschlossen. Gut, eben beim nächsten Besuch! So lag der Schwerpunkt – aber wirklich nur notgedrungen – wieder einmal auf der kulinarischen Seite. Trotzdem selten ein Nachteil.
Schließlich war es wieder so weit: Auf zum Bahnhof, Räder zerlegen, IC besteigen und nach Hause. Die Reise war zu Ende. Eine wilde Mischung diesmal: Tschechien, Sylt, Dänemark, Schweden, Ostdeutschland. Viel Neues, viele (positive) Überraschungen und wieder mal etwas bestätigt: Wir lieben das (Rad-)Reisen!