Trans-Germany #2: Grenzüberschreitend durchs Hügelland

Nach einigem Hin und Her beschließen wir, dem Trans-Bayerwald ab Deggendorf nur noch rudimentär zu folgen, da die steilen und langen Anstiege (oft auch in die nicht vorgeschlagene Richtung) und jeweils weit über 1000 hm pro Tag mit – zwar weniger, aber dennoch viel – Gepäck wohl kein reines Vergnügen werden würden. Und bis zur Ostsee ist es auch noch weit – da müssen wir uns die Kräfte schon einteilen ;-) Der Waldbahnradweg kommt hier gerade recht. Wir sind ihn zwar schon vor zig Jahren gefahren, aber das macht nichts, denn er verspricht autofreie Kilometer mit moderaten Steigungen, die Strecke ist auch diesmal wunderbar zu fahren. Kurz vor Viechtach liegt Markus Söder bereits im Straßengraben – hier ist nunmal AfD-Plakatierzone – die Kühe tragen Hüte und man muss sich vor Senioren in Acht nehmen. Ja der Woid, der Woid.

Die Landschaft am Schwarzen Regen wird nicht zu Unrecht „Klein Kanada“ genannt. Vor Jahren habe ich hier mit einer meiner Klassen eine Abschlussfahrt mit dem Kanu gemacht und erkenne viele Stellen wieder. Wir genießen die wildromantische Fahrt und schmieden schon Pläne für eine eigene Paddeltour – vielleicht noch in diesem Sabbatjahr!

Das Konzerthaus in Blaibach ist zwar geschlossen, bietet aber auch von außen genug Anlass zum Staunen.

Bei Cham wechseln wir hinüber an die Chamb und folgen dem Radweg bis Arnschwang. Von hier geht es bergauf zu unserem Übernachtungsplatz, einem kleinen Campingplatz bei Kühberg. Der kleine Platz ist dem Hotel Waldesruh angeschlossen. Dieses und der Platz sind zu dieser Jahreszeit noch gut besucht. Das liegt neben dem lauschigen Plätzchen am Waldrand wohl auch an der Küche des „Waldesruh“. Es ist brechend voll, die Wartezeiten sind lang – aber äußerst lohnend. Reinhold rödelt alleine in der Küche (# Fachkräftemangel) – jedes Schnitzel wird erst auf Bestellung vom Fleisch heruntergeschnitten, alles mit Liebe und Enthusiasmus gekocht. Chefin und Frau Anita Amberger versucht derweil mit ihrer Präsenz und Aufmerksamkeit den Gästen das Warten so angenehm wie möglich zu machen. Wir brauchen sie dazu nicht, denn unsere Wartezeit auf das Essen verbringen wir mit dem Radler-Paar Karen und Tobi, die heute aus Pilsen angeradelt kamen. Sie waren mit den Rädern von ihrer Heimat bei Grenoble bis nach Armenien gefahren und von dort nach Prag geflogen, um die Heimreise – wiederum per Rad – anzutreten. Dazu gesellt sich noch ein nordrheinwestfälisches Pärchen aus einem Wohnmobil, das gespannt die Radlergeschichten aus aller Welt verfolgt. So verbringen wir einen wirklich lustigen und lauschigen Abend. Eigentlich schade, dass man meist nicht mit anderen Menschen am Tisch sitzt in Restaurants. Jeder versucht immer, einen leeren Tisch, der oft viel zu groß ist, für sich zu ergattern. Einfach ohne Grund dazusezten, das traut man sich eigentlich nicht. Heute hatten wir aus Platzgründen vier Fremde an unserem Tisch, und das führt zu einem Austausch und zu Gesprächen, die unsere Gesellschaft viel öfter bräuchte.

Der nächste Tag stellt die Weichen für unsere weitere Route. Denn wir landen für ein Stück auf dem Eurovelo 13, dem Iron Curtain Trail. Er folgt auf seiner gesamten Länge dem ehemaligen Eisernen Vorhang von Nordfinnland bis zum Schwarzen Meer. Die geschichtsträchtige Route zieht uns sofort in ihren Bann. Durch verlassene Dörfer, vorbei an kleinen Museen und Wachtürmen aus vergangenen Tagen, wechseln wir zwischen dem Bayerischen Wald und den urwüchsigen Wäldern Böhmens. Immer wieder tauchen Grenzpfähle auf. Geschichte wird lebendig. Auf tschechischer Seite fahren wir gar durch ein komplettes untergegangenes Dorf. An jedem ehemaligen Haus ist eine Tafel angebracht, die erklär, wer zuletzt vor der Vertreibung darin gewohnt hat. Es stehen noch viele Grundmauern (oder wurden wieder aufgebaut), ansonsten hat die Natur sich das meiste zurückgeholt. In der ehemaligen Brauerei bekommt man eine Vorstellung vom damaligen Dorfleben in Böhmen. Infolge des 2. Weltkrieges musste die damalige deutsche Bevölkerung das Dorf verlassen. Das Dorf (und viele weitere) wurde zerstört. Heimat ist, was wir draus machen? Nicht immer hat man die Chance, manchmal wird man auch aus seiner Heimat verrieben. Wer mehr wissen möchte, kann hier nachlesen.

Unabhängig voneinander kommen wir auf die Idee, dem EV 13 länger zu folgen, mitten durch Deutschland, immer entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Das Ziel Ostsee bleibt, Rügen ersetzen wir durch Travemünde. Wir sind motiviert und freuen uns auf die kommenden Etappen. Gegen Abend rollen wir nach einer anspruchsvollen, aber immer spannenden Etappe in Waidhaus ein – bekannt aus dem Radio durch den ehemaligen Grenzübergang und die ständigen Staus. Die Nacht verbringen wir auf einem kleinen Bauernhof, der einen Teil des seines Geländes zu einem Wohnmobilstellplatz und zu einem Zeltplatz umfunktioniert hat. Ziemlich spartanisch, aber für uns ist alles da, was wir brauchen. Sogar ein Kühlschrank mit lokalem Bier und eine urige Holzhütte.

Doch warum muss der Monstertrekker vom Nachbarhof am nächsten Morgen – es ist Sonntag – schon vor 7 Uhr sein Gras einholen? Nun ja. Wir wollen sowieso nicht so lange schlafen und bald weiter – die Tage werden schon wieder kürzer. Und das Gelände in dieser Ecke Bayerns ist sowieso anspruchsvoll – egal ob Bayerischer Wald oder jetzt Oberpfälzer Wald oder später dann das Fichtelgebirge – fast nichts davon ist allzu leicht zu beradeln. Flach ist es hier selten.
Auf der Etappe zum Kornberg-Borderland-Camping stellen wir fest, dass wir wohl auch nicht stets dem EV 13 treu bleiben werden können. Die Grenze verläuft logischerweise nicht immer auf einer für uns sinnvollen Route und wir so schneiden wieder kleinere und größere Ecken ab. So wird es auch bis zu unserem Ziel in Travemünde bleiben. Finden wir aber gar nicht schlimm, da eine solche Route für uns in der Regel immer nur eine Ideengeberin ist, wir uns aber unser Bauchgefühl und unsere Spontaneität nicht nehmen lassen.

Der Kornberg-Borderland-Camping wurde erst 2022 von Christian übernommen, der dem alten Platz charmante und praktische Ideen eingehaucht hat und zudem mit seiner Lage in einer Gegend punktet, in der man durchaus auch sein Mountainbike auspacken kann. Hier darf man gerne mal vorbeischauen.
Nach dem spätsommerlichen Wetter kündigen sich mal wieder einige Kaltfronten und Regen an und so sind wir froh, nur eine kurze und zudem wenig anspruchsvolle Etappe bis Kulmbach vor uns zu haben. Der Gegenwind versucht uns zwar noch von der Einfahrt nach Kulmbach abzuhalten, die schwarze Front vor Augen und die ersten dicken Tropfen vom Himmel verleihen uns aber Flügel und wir schaffen es noch trocken in die Obhut eines Cafés, wo wir bei Capuccino und Eis feiern, dass wir gleich in das KU-Hotel einziehen können.

Der Check-in erfolgt rein digital und es ist niemand vor Ort. Perfekt für uns, so können wir – nur unter den strengen Augen der Überwachungskameras – unsere Räder ins das kleine Apartement tragen und sicher unterstellen. Es ist zwar nur ein Einzelzimmer und damit das Bett viel zu klein, dafür ist der Raum aber groß genug für unser Innenzelt. Eine kleine Küche hat es auch und so genießen wir den Blick aus dem Fenster und das windig-regnerische Wetter.

Am nächsten Tag spitzt die Sonne schon wieder etwas hervor und wir erleben eine angenehme Fahrt nach Coburg. Den Weißen Main prägen wir uns dabei gleich mal als Paddel-Fluss ein. Kuriositäten auf dem Weg, die das Autoland Deutschland mal wieder bestätigen: Markierter Schulweg für die Kinder in einem Dort. Die Autos fahren hier – auch LKW – ziemlich schnell durch. Aber kein Problem, die Kleinen und alle anderen Fußgänger haben ja richtig schön Platz und können sich durch die gelbe Linie sicher fühlen! Ach ja, ne Autobahn muss grad mal neu gemacht werden – vorsicht, nicht zu schmal! Klar, man muss Prioritäten setzen – schließlich leben in Deutschland 48 Millionen Autos aber nur 10,9 Millionen Kinder.

Den Nachmittag verbringen wir bei Katrins Tante und uns abends lassen wir uns von unserem Schulfreund Olli bekochen. Wir fühlen uns super wohl und Coburg ist sowieso eine schöne Stadt. Genügend Zutaten, um noch eine weitere Nacht zu bleiben und einen gemütlichen Jiaozi-Abend dranzuhängen.

Von Coburg schlängeln wir uns nordwestlich auf autofreien Strecken durch eine Hügellandschaft – Lange-Berge, Itz-Baunach-Hügelland, Coburg-Rodach Niederung mit Rodach-Quelle, Heldburger Gangschar mit den Gleichbergen, Grabfeld … irgendwo hier fahren wir durch. Was naturräumlich genau was ist, wissen wir beim Fahren nicht. Die Berge sehen aus wie kleine alte Vulkane und wenn man das nachliest, stimmt es sogar. Lustig. Wir überfahren dabei die Grenze nach Thüringen, die man nicht bemerken würde, wären da keine mahnenden Schilder und Informationstafeln am Grenzübergang Adelshausen-Rodach. „Vergangenheit ist die Lehre der Zukunft!“ – merkt euch das mal gefälligst alle!

Der kleine Ort Jüchsen kann ein ordentliches Hotel vorweisen zu einem erschwinglichen Preis. Deshalb haben wir ihn als Ziel für den nächsten Tag auserwählt. Die Zimmerpreise sind mittlerweile auch bei nicht sonderlich ansprechenden Gasthäusern oder Hotels für unsere Vorstellung viel zu hoch. Das ist es uns einfach nicht wert. Gewitter am Campingplatz aber auch nicht. Wir sind daher froh, mit dem Hotel am Rosenhügel eine solide Unterkunft gefunden zu haben. Neben der üblichen gesunden Radlerkost wie Schnitzel udn Burger probieren wir zum ersten Mal im Leben „Würzfleisch“ – ein echtes DDR-Original. Wir sind ja schließlich auch gerade in Thüringen. Man nehme verfügbares Fleisch (Huhn, Schwein, Kalbszunge), koche es in Brühe, rühre eine Mehlschwitze damit an, lösche sie mit Wein ab, füge je nach Verrücktheitsgrad Eigelb und Kondensmilch hinzu, würze mit Zitrone, Salz und Pfeffer und gieße es in kleine feuerfeste Formen, in denen es mit Käse überbacken wird. Man beträufle es vor dem Verzehr mit Wocestersauce. Wer es nachkochen möchte, klicke hier. „Das schmeckte mir!“ – hätte Oma Ilse gesagt.

Kurz vor Meiningen erreichen wir am nächsten Morgen die Werra. Der wunderschöne Werratal-Radweg führt von den Werraquellen am Rennsteig bis nach Hannoversch Münden. Wir folgen ihm heute bis Immelborn und stechen dann hinauf zum Rennsteig zum Camping Eisenach. Zufälligerweiße fährt unsere Freundin Franzi heute aus dem Allgäu in ihr Eltern-Dorf an der Werra nicht allzu weit von hier, um am Wochenende an einem Klassentreffen teilzunehmen. Spontan macht sie noch einen kleinen Umweg zu uns auf den Campingplatz und wir verbringen einen geselligen Abend mit Nachos, Spaghetti und Gesprächen.

Durch den Thüringer Wald folgen wir am nächsten Morgen wieder dem Rennsteig bis zur Werra in Hörschel. Nicht ohne vorher den Brötchenservice am DDR-Bau Kiosk in Anspruch genommen zu haben. Brötchenreservierung und -service, das hast sich uns schon gezeigt, ist eine der wichtigsten Dienstleistungen auf deutschen Campingplätzen. Auch heute wieder alles schön vorbereitet und personalisiert. Butterbrezen werden hier in der Gegend übrigens mittels Spritzen gefüllt. Unterwegs können wir aus der Ferne die Wartburg erspähen.

Hier war die Werra bis Werleshausen Grenzfluss zwischen BRD und DDR. Im hessischen Dorf Wanfried hat der CDU-Bürgermeisterkandidat ein Dorffest organisiert (in Anbetracht der anstehenden Landtagswahlen) und muss dafür eigenhändig Kartoffelpuffer brutzeln. Wir greifen lieber zur zweiten Thüringer oder Hessischen Bratwurst des Tages. Die erste haben wir bei einem Kinder-Fußballturnier am Creuzburger Fußballstadion vom Grill gefischt.

Bis Eschwege ist es nicht mehr weit und wir übernachten auf dem überteuerten und mäßig schönen Knaus Campingpark in Eschwege. Aber er ist gut gelegen, nicht weit vom Zentrum der Fachwerkstadt, und so kommen wir heute sogar zum abendlichen Pizzaessen.

Wir sind wirklich begeistert vom Werratal-Radweg.

Die Werra schlängelt sich durch das grüne Tal, Felswände ragen auf, der gesamte Fluss lädt zum Paddeln ein – so naturbelassen ist er. Nächster Punkt auf der Paddel-Agenda. Würden wir nicht dem Grenzverlauf folgen wollen, wären wir fast versucht, noch bis zum Ziel der Werra zu folgen.

Doch so weit ist es auch nicht mehr und wir biegen hinter Bad Soden vor Werleshausen rechts ab. Um Göttingen machen wir einen Bogen und landen schließlich am späten Nachmittag vor einer Schwarzwälder-Kirschtorte am Kiosk des Campings am Seeburger See, den ein holländisches Paar betreibt. Im Vergleich zum Werratal ist auf dieser Strecke nicht so viel landschaftlicher Reiz zu bieten. Doch auch braune Äcker, rote Hagebutten und weiße Zuckerrüben können eine Augenweide sein. Wie schon einige Seen zuvor ist auch dieser See durch Blaualgen im Moment ungenießbar für Badewütige. Aber es ist sowieso nicht mehr heiß genug.

Abends ist es mittlerweile sogar schnell so feucht und kalt, dass wir uns mit unseren Stühlen nach Einbruch der Dunkelheit immer irgendwohin ins Warme – meist der Waschmaschinenraum des Campings – hineinquetschen. Begrenztes Platzangebot und da laufen auch mal Mini-Kakerlaken die Tür hoch – aber: Hauptsache Nachos!

Komisch, nördlich von Seeburg passieren wir tatsächlich Lindau und den Bodensee. Und vor uns liegt der Harz. Nur noch ein paar Felder und ein paar Felder und ein paar Felder trennen uns von ihm.

Und dann tauchen wir ein – in Bergstadt Bad Grund haben wir die Bergstraße unter den Reifen. Vorbei an der Iberger Tropfsteinhöhle (die heute Ruhetag hat) wählen wir gleich einen Wanderweg bergauf, so waldbegeistert sind wir. Nassgeschwitzt kommen wir am Schweinebraten an und finden wieder fahrbare Wege hinunter nach Wildemann. Lustige Namen, die die Harzer hier vergeben haben.

Eine tolle Strecke entlang alter Holzerwege bringt uns über Hahnenklee mit einem unfreiwilligen Höhenverlust und anschließendem notwendigen Höhengewinn (Sperrung von Waldwegen wegen Holzfällerarbeiten) direkt zum Eingang des Harz Camp Goslar 4 km südlich der Stadt.

Der alte Campingplatz „Sennhütte“ wurde vor gut zwei Jahren komplett plattgemacht und neu angelegt, wie die nette Dame an der Rezeption auf Nachfrage mitteilt. Man sieht, dass er den veränderten Ansprüchen der Camper (= meist Wohnmobilisten) angepasst wurde. Wir gehen nicht auf die uns zu abgelegene Zeltwiese, sondern gönnen uns einen eigenen Stellplatz. Kaum zu erkennen, unser Zelt auf der riesigen Parzelle auf dem Rasen, oder? Schon enorm, welcher Flächenverbrauch pro Camper hier angesetzt wird, denn wir haben nur eine kleine, sogenannte halbe Parzelle genommen. Der Vordergrund (Kies) „gehört“ übrigens auch noch „uns“. Top Sanitäranlagen (dem deutschen Camper immer besonders wichtig, aber auch wirklich toll, wenn es so ist ) und sogar mit ausgestatteter Küche im warmen Innenraum mit Sitzgelegenheit – hier wurde an alles gedacht. Gute Nacht.

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