06.03.2010 (k) Hongkong
Ein kleines gelbes Zelt steht im Nebel – er verschleiert jede Sicht und hat der Umgebung die Hügel genommen. Allerdings sehen wir noch genug, um den gestern Abend gesuchten Weg von der Bushaltestelle zur Jugendherberge nachzuvollziehen. Im Tempelbereich wären wir gar nicht so falsch gewesen, hatten aber nicht die richtige Richtung eingeschlagen. Der Weg ist so unscheinbar und bei Dunkelheit einfach nicht zu finden, wenn man noch nie hier war. Gut, dass es noch den Wisdom Path gab. Der Buddha muss bereits wieder als Fotomodell herhalten, versteckt sich aber ganz hinterlistig hinter beweglichen Nebelwänden und kokettiert ein wenig. Gruppen strömen ihm auf den steilen Stufen entgegen. Es ist Wochenende und damit herrscht hier in Nong Ping erhöhte Ausflugsgruppengefahr. In einem Taiwan-Restaurant bestellen wir eine Teigtaschensuppe. Wir bekommen sie in einer knusprigen Styroporschale serviert, mit Einmalstäbchen, Wegwerflöffel und dem dazugehörigen Kaffee im Pappbecher. Zum Würzen stehen Saucen bereit, die man sich in kleine Wegwerfschälchen füllen und darin mit an den Tisch nehmen kann. Neben dem Aufbau hängt ein großes Hinweisschild: Sei umweltfreundlich, benutze weniger Plastiktüten!
Wir sind auf Mountainbiken eingestellt und düsen 400 Höhenmeter die steile Hauptstraße hinunter, bis wir auf den „Designated Mountain Bike Trail“ mit dem Namen „Catchwater“ treffen. Hier unten ist es schwülwarm, wir sind dem Bergnebel entwischt. 15 Kilometer folgen wir dem betonierten Wasserfänger – ein befestigter Kanal, der das Wasser aus den Bergen auffängt und ins Reservoir leitet. Wir müssen ein wenig schmunzeln, denn gestern Abend haben wir erst von Ngai erfahren, wie sehr er die Countrypark Aufsichtsbehörde hasst, weil die viel zu viel aus „concrete“ macht. Wanderwege und – wie wir nun feststellen – auch Mountainbiketrails können also durchaus betoniert sein. Das Ganze ist dennoch nicht hässlich angelegt, mit vielen Rastplätzchen und – in Beton gefassten – Grillstellen. Der letzte Kilometer in den kleinen Ort Pui O hinunter verläuft dann auf einem Wanderweg, der sich allerdings nicht radeln lässt, da fast nur Treppen verbaut sind. An einem wunderschönen Strand entlang durchfahren wir den Ort und steuern auf die Chi Ma Wan Halbinsel zu. Am Eingang zum Trail lümmeln einige Westnasen-Mountainbiker – sie warten auf ihren Freund, der nochmals den Berg rauf ist, um das Fahrrad eines weiteren Freundes zu holen, den sie mit dem Hubschrauber abholen lassen mussten – wegen Krämpfen. Na, das klingt ja wenigstens nicht nach Beton! Wunderschön windet sich der Trail hinauf und über dem Meer die Halbinsel entlang. In steileren Passagen müssen wir öfter schieben und tragen – zu stufig. Wir genießen die Aussicht auf das Meer und die Buchten. Von Großstadt und Hektik ist man hier Welten entfernt. Von Dörfern in China übrigens auch. Innerhalb weniger Tage hüpfen wir durch verschiedene Welten! Mit der perfekten Infrastruktur, den vielen britischen Nasen überall sowie dem allgegenwärtigen Englisch kommen wir uns eher vor, wie in Neuseeland – ganz schnell ist man ganz weit weg von wo man eben noch war. Schon komisch. Diese Runde hat ihren Mountainbikenamen wirklich verdient. Kurz hüpfe ich noch ins warme Meer, bevor es pünktlich zum Ende der Tour leicht zu regnen beginnt und wir den Bus zurück nach Nong Ping nehmen.
Am Zelt empfängt uns gleich ein aufgeregter Ngai. Wir müssten umziehen, auf den öffentlichen Zeltplatz, der nicht weit von hier sei. Die Leiterin der Gruppe, die das gesamte Areal für heute gebucht hat, sei sauer, weil hier ein Zelt stünde, obwohl sie doch alles gebucht hätte. Während wir noch etwas unschlüssig herumstehen und überlegen, ob wir wenigstens noch duschen können, tritt ein Herr zu uns. Ob wir gerade angekommen seien? Als wir erklären, dass wir gerade aufbrechen müssen, geht er schnell zurück in den Raum, in dem die Gruppe eben noch eine Besprechung hat, und kommt wieder, mit der Bitte, dass wir doch bleiben sollen. Es handle sich um die Belegschaft einer Regierungsorganisation, die die Aufsicht über den Gesundheitssektor hat. Zum „Teambuilding“ habe dieser Tag gedient, mit Spielen im Freien und allem, was man so kennt. Jetzt seien sie aber gleich fertig und würden sich freuen, wenn wir beim gemeinsamen Grillabend dabei wären. Die Freude ist ganz unsererseits, weil wir nicht umziehen müssen und so palavern wir noch ein Weilchen mit unserem „Gastgeber“. Er ist eigentlich schon in Pension, begleitet aber das von ihm in den letzten Jahren aufgebaute Team noch weiterhin. Mit einigen von ihnen arbeitet er am Wiederaufbau der Region um Wenchuan in Sichuan, wo das verheerende Erdbeben vor zwei Jahren war. Während des Studiums war er einmal für zwei Monate in München, wo er äußerst freundlich aufgenommen wurde – er freut sich daher, dass wir von so weit gekommen sind und hat sich deshalb sogleich für unser Bleiben eingesetzt.
Vor dem Barbecue kochen wir noch ein vegetarisches Curry – nicht umsonst wollen wir alles hier hochgeschleppt haben. Dann stoßen wir zum lustigen, größtenteils wirklich sehr jungen Team. Würstchen, Steaks, Fisch- und Fleischbällchen werden an Spießen über den offenen Grillstellen gebrutzelt. Bei australischem Wein führen wir interessante Gespräche mit interessanten Menschen, deren Berufsbilder von Psychologen über Ärzte und Krankenschwestern bis hin zu Fachkräften aus dem Genre „Human Resources“ reichen. Mit „welche demokratischen Elemente Hongkongs können zukünftig auf China Einfluss haben“, „was heißt „cheers“ auf Deutsch?“ oder „mit welcher Methode kann man chinesischen Reisschnaps trinken, ohne betrunken zu werden?“ – befassen wir uns an diesem Abend. Mit unserem Jahresurlaub sind wir hier so gesehen ziemlich fehl am Platz unter Leuten, die voll in ihrer Arbeit aufzugehen scheinen und teilweise schon jahrelang keinen Urlaub mehr gehabt haben. Hongkongpeople seien eben so, heißt es. Na dann, „zum Wohl“!
Als es gegen 22 Uhr leicht zu regnen beginnt, beschließen immer mehr, doch nicht zu übernachten. Mit Taxis lassen sie sich zur Metrostation bringen. Auch nicht anders, als bei uns … „naja, wenn es jetzt so schlecht Wetter ist,…und bis wir dann morgen daheim sind, … hm, ich glaub wir fahren lieber jetzt noch…“. Heute Abend ist ausgebucht – doch um 23 Uhr steht ein kleines gelbes Zelt auf einem verlassenen Areal. Im Nebelregen.