Nur nicht den direkten Weg

Auf der Via de la Plata wären es von Plasencia nach Salamanca gerade mal 130 km, das hieße zwei Etappen.

Doch beim Blick auf die Karte erregt ein kleines Gebirge etwas westlich unsere Aufmerksamkeit und wir beschließen, eine Strecke zu fahren, die dieses Gebirge mitnimmt und uns attraktiver erscheint als der direkte Weg. Bis Hervás sind noch keine Berganstiege im Spiel, denn wir folgen erstmal dem Via Verde de la Plata – ein Bahntrassenradweg auf dem wir die gesamte Etappe fahren können.

Die Radwege „Vias Verdes“, die auf ehemaligen Bahnstrecken (oft auch Schmalspurbahnen aus der Zeit der Industrialisierung) verlaufen, sind immer einen Umweg wert. Mühelos überquert man ohne Höhenverluste Autobahnen, Straßen, Schluchten. Es fühlt sich erhaben an, auf der Trasse. Mit viel Energie werden sie erstellt und gewartet. Brücken, Viadukte, Tunnel, Dämme – alles muss in Schuss gehalten werden, damit der Via Verde sicher genutzt werden kann. MühelosWir freuen uns immer, wenn wir auf der Karte so einen Weg entdecken oder auf der entsprechenden Internetseite in der Region einen sehen und in unsere Routenwahl einbauen können.

Hervás ist ein sympathisches Örtchen in einer malerischen Landschaft, wo das Abendlicht eine ganz besondere Atmosphäre schafft.


Anstrengend wird es am nächsten Vormittag, als wir der kleinen Teerstraße DSA-290 a Valdelamatanza bergauf folgen. Mit knackigen Steigungen und wenig erholsamen Abschnitten fordert sie uns einiges ab.

Auch die Schafe wollen hinauf auf den Berg. Der Schäfer lässt sie immer einen Abschnitt im Gelände laufen und folgt selbst bis zum nächsten Zaun mit dem Auto. Gemeinsam mit den Tieren treibt es uns nach oben. Als er erfährt, dass wir mit den Fahrrädern bis nach Deutschland fahren wollen, kann er es kaum glauben. Ja, er müsse sich auch mehr bewegen, meint er, und zeigt auf seinen stattlichen Ranzen. Ich schlage ihm vor, mit den Schafen zu laufen, anstatt sie im Auto zu begleiten.

Belohnt für die Anstrengung werden wir mit schöner Aussicht und später mit einer gigantischen Abfahrt auf einer nagelneu gemachten Bergstraße hinunter zum Rio Alagón.

Im Tal sind die Kirschen schon reif, in einem Hinterhof sehen wir, wie sie in Kisten verpackt werden.

Nach einer herrlichen Fahrt durch kühlenden Wald entlang des Flusses bis Riomalo de Abajo schwenken wir auf dem Campingplatz ein, um zu bleiben. Die Mutter des Besitzers feiert hier gerade ihren 100. Geburtstag im Lokal. Wir bestellen auch noch ein gesundes Mittagessen. Ein paar Kilometer oberhalb des Platzes kann man in der Abendsonne den Meander „El Melero“ bewundern, den sich der Alagón hier erkringelt.

Auf der Karte haben wir eine Strecke mit vielen Serpentinen entdeckt und uns seitdem eingebildet, sie fahren zu wollen. Also geht es am nächsten Morgen (nach dem obligatorischen spanischen gesunden Frühstück mit wenig Müll ;-) hinein in den Parque Natural Las Batuecas, nun sind wir richtig drin in der kleinen Sierra de Francia.

Als wir in der Anfahrt zum Pass kurz halten, um am Handy noch eine Buchung für die nächsten Tage durchzuführen, bleibt ein Motorroller mit einem einheimischen Paar stehen und fragt, ob alles o.k. sei. Im weiteren Gespräch des Woher-Wohin stellen sie fest, dass wir über die „Puerto de Portillo“ nach La Alberca fahren wollen. Uh lala, meint er, also da gehe es ja wirklich senkrecht nach oben! Also er fahre immer außen herum mit dem Roller – der Pass, der sei echt megasteil, man dürfe auf keinen Fall nach oben schauen, immer nur schön vor sich hin auf die Straße. Wir lachen und machen uns auf den Weg. So steil kann es bei all den Serpentinen ja gar nicht sein. Aber klar, die Wand ist eindrucksvoll und nicht jeder Fahrradfahrer scheint erfolgreich gewesen zu sein.

Eine tolle Auffahrt, die nur durch brutal lästige Fliegen getrübt wird. Um möglichst alle Körperöffnungen am Kopf zu verdecken, greife ich trotz Hitze eine zeitlang auf Vermummung zurück.

La Alberca scheint touristisch relevant zu sein, denken wir uns, also wir dort ankommen und eine Reisegruppe auf der Plaza auf den Bus warten sehen. Zunächst führen wir das auf die mittelalterliche Bausubstanz und die tollen Fachwerkhäuser zurück, aber bald darauf wissen wir, warum vor allem.

Hier dreht sich alles ums Schwein. Um das tote Schwein wohlgemerkt. Das iberische tote Schwein, am besten das schwarze. Das Dorf, das auf über 1000 m liegt, ist spezialisiert auf die Veredelung des in Spanien so sehr begehrten Jamon Ibérico. Kleine Betriebe werben im Ort mit Garagen voller Keulen und Schildern wie „desde 1930“, die auf eine lange handwerktliche Tradition hinweisen. Auch ein mittlerweile größerer Betrieb ist außerhalb des Ortes angesiedelt: „Fermin“ macht hier seit über 60 Jahren Schinken und andere „Embutidos“ und rühmt sich auf seiner Internetseite, die erste spanische Firma zu sein, die den Schinken in die Vereinigten Staaten exportiert. Was kein leichtes Unterfangen zu sein scheint, all die Anforderungen zu erfüllen. Die klimatischen Bedingungen hier in der Sierra seien ideal für die Reifung der Schweinebeine. Natürlich hat dann auch jeder im Ort den besten Speck von Welt.

Der Motorrollerfahrer von der anderen Talseite sieht uns im Schatten sitzen und hält an. Was? Ihr habt das schon geschafft? Wie lange habt ihr gebraucht? Respekt! Er sei selbstverständlich außen rum gefahren, lacht er und gibt Gas.
Wie wir unterdessen gelesen haben, sind hier in der Sierra 10 Dörfer mit einem kulturhistorischen Erbe als „schönste Dörfer“ prämiert und vermarktet. Ein paar von ihnen können wir noch am nächsten Tag besichtigen, weil sie genau auf unserer Route liegen. In Mogarraz ist das Besondere, dass ein Künstler auf den Fassaden der Häuser die Personen porträtiert hat, die einmal in diesem Haus gelebt haben.

Das ganze Dorf ist voller Menschengesichter – manchmal wirkt es auch etwas betrüblich, wenn zwischen den Gesichtern, dem bröckelnden Putz und den geschlossenen Jalousien am maroden Holzbalkon ein „se vende“ (zu verkaufen) Schild hängt und man sich vorstellen kann, dass selbst das wahrscheinlich nicht passieren wird. Dann wohnt einfach niemand mehr darin und alles ist Geschichte. Und verfällt.

Im Nachhinein hat sich diese kleine Abweichung vom direkten Weg mehr als gelohnt. Man kann immer nur einen Weg wählen, aber dieser hier war schon besonders gut gewählt.

Auch mit unserem letzten Stopp vor Salamanca im kleinen Dorf „Los Santos“. Wollte uns ein reicher Schnösel in der Bar in San Esteban de la Sierra doch bei unserer Mittagspause noch erzählen, wo man hier hin müsse, was man alles sehen müsse um dann, ohne zuzuhören, wo wir bereits gewesen sind und was wir bereits gesehen haben über das Dorf zu urteilen, in dem wir heute übernachten wollten. „Los Santos? No me gusta!“ – nene, dorthin, das lohnt nicht. Ist ja total hässlich, wenn man hier raus ist, dann rauf auf die Autobahn und ab nach Salamanca. Das kann er mit seinem fetten Audi und nach der fünften Schinkenplatte auch gerne so machen. Für uns aber ist genau dieser Wechsel der Reiz. Nicht jeder Ort ist aufgehübscht, altehrwürdig, mit kulturellem Reichtum gespickt oder hat das Glück, Schinken zu produzieren. In Los Santos hingegen empfängt uns eine von Teenagern vollgeschmierte Wand an der Plaza Mayor, uns empfängt aber auch ein freundlicher, unaufgeregter Gastgeber unserer Ferienwohnung, in der wir ein gemütliches Zimmer mit Balkon beziehen, das ganze Ferienhaus für uns haben und uns wie zuhause fühlen dürfen.

Am Ortseingang habe ich eine kleine Firma gesehen, die sehr wohl auch Schinken produziert. Gleich unter uns ist ein kleiner Spar, wir kaufen den lokalen Jamon Ibérico – „it’s ours!“ fügt der fröhliche Angestellte stolz hinzu – und bereiten unsere eigene Schinkenverkostung, ohne irgendwelche Klugscheißer.

Am Abend befolgen wir noch den Tipp des Gastgebers und spazieren hinauf zum Granit-Themenpark. Der ist entstanden, weil hier um die Ecke Granit abgebaut wird. Stonehedge II.

Los Santos – nos gusta!

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