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Offene Grenzen – danke Europa!

von sabbatradler2
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Nur sechs Kilometer nordwestlich von Badajoz überfahren wir am nächsten Tag schon wieder die Grenze nach Portugal – und dieses Hin und Her wird sich in der folgenden Woche noch oft wiederholen.

Danke Europa, dass du so bist, dass wir einfach hin- und herfahren können, wie wir möchten. Niemand kann wirklich wollen, dass diese Offenheit wieder verlorengeht! In wenigen Tagen ist Europawahl und wir alles wissen, in welche Richtung sich diese Gemeinschaft gerade bewegt. Wir dürfen es nicht zulassen. Niemals. Selbstverständlich geht es hier nicht um so eine Banalität wie das Reisen, doch gerade diese Banalität, diese Reisefreihet, ist in Wirklichkeit ein hohes Gut. In ihr spiegelt sich der Geist Europas, der Spirit sozusagen. Dieser darf trotz aller Schwierigkeiten, die es zu lösen gilt, nicht verloren gehen.

Nachdem wir uns nun also noch gebührend vom Radmechaniker unseres Vertrauens, Fernando, in seinem Bicileta-Shop verabschiedet haben, nehmen wir Fahrt auf für eine kurze Etappe bis zu einem Campingplatz bei Campo Maior, den ein holländisches Paar führt. Praktisch für den Zweck, aber für uns kein Herzensplatz.

Wir fragen uns außerdem, warum die Holländer selbst so gerne vor allem auf Plätze gehen, die Holländern gehören? Die Sprache allein kann es doch nicht sein, aber uns fällt nichts anderes ein. Für uns einfach ein Ort, um die Etappe nach Esperança nicht so groß werden zu lassen. Kleine Straßen führen am nächsten Tag über Spanien und das quirlige Dorf La Codosera wieder zurück nach Portugal – diesmal über die kleinste internationale Brücke der Welt. Dieses besondere Brücklein über den Grenzbach zwischen „El Marco“ in Spanien und „Marco“ in Portugal können allerdings nur Fußgänger und Fahrradfahrer überqueren.

Beim Dorf Esperança liegt der liebevoll gepflegte Campismo Rural Lapa dos Gaivões. Fußläufig gibt es die „Pinturas rupestres de Vale de Junco“ zu bestaunen. Was sie sich wohl gedacht haben, die Steinzeitmenschen, als sie diese Männchen auf den Fels brachten? Keiner weiß es.

Eine wunderschöne Strecke dürfen wir am nächsten Tag erleben, als wir fast autofrei ein Längstal der Serra de São Mamede östlich von Portalegre durchfahren und direkt auf das mittelalterliche Städtchen Marvão zusteuern, das erhaben auf eine Hügel von 800 m Höhe trohnt. Unter den vielen Vögeln, die uns auf dem Weg begleiten sind heute auch einige Schwarzkehlchen.

Unser Glück, ist der Camping Asseiceira unten bei Santo António das Areias. Die Österreicherin Anna und ihr Partner Robert haben den Platz von einem Briten gekauft und betreiben ihn erst seit April diesen Jahres. Im Pool ist noch zu viel Chlor, man kann ihn so nicht beschwimmen. Alles muss man erst lernen ;-)
Die Besichtigung von Marvão steht für den nächsten Vormittag an. Ohne Gepäck versteht sich. Schon verrückt, wo der Mensch so hinbaut. Wie aufwenig das gewesen sein muss, zumal im Mittelalter. Aber ja, man sieht die Feinde aus allen Richtungen anrücken – das war und ist wohl das Wichtigste, dass der Mensch seine Feinde ausmachen kann und sich dann ordentlich bekämpfen. Dabei ist es doch ohne Feinde und ohne Grenzen so viel schöner. Und ohne Zoll!

Korkeichen begleiten uns nun schon wieder sehr lange. Manch stolzes Gewächs produziert schon jahrhundertelang den guten Stoff. So leicht erntet der sich gar nicht, stellt Molle fest.

Parallel zu einem massiven Felsriegel (Peñas de Puerto Roque) düsen wir nun wieder hinüber nach Spanien. Der Unterschied macht sich für uns vor allem in zwei Dingen bemerkbar: Die Straßen sind in Spanien breiter und meist mit viel Geld (was auch auf Schildern zu lesen ist, sollte man bei uns auch mal machen!) In Schuss gehalten und in Portugal sind die Menschen und das Drumherum viel ruhiger und scheinen gelassener. Alles nicht so korrekt, nicht so akurat, nicht so reglementiert, nicht so gut in Schuss, nicht so laut. Schon interessant. Schweinefleisch lang gekocht empfängt uns jenseits der Grenze. Mittlerweile haben wir gelernt eine halbe Portion (media Racion) reicht für zwei Personen.

Eine wunderschöne Abfahrt entlang der Serra, die wir am Vortag in entgegengesetzter Richtung ein Tal weiter westlich nach Nordwesten gefahren sind, bringt uns in die heiße Ebene der Extremadura und entlang blühendem Grasland in die beschauliche Stadt San Vincente de Alcántara, wo wir ein Landhotel zur Übernachtung gebucht haben.

Es macht Freude, in dieser wenig touristischen Region kurz in das Leben der Menschen und deren Alltag reinblinzeln zu dürfen. Frische Churros gibts in der örtlichen Churreria zum Frühstück – ein bisschen Fett für den Start in den Tag. Frisch durchgedreht aber unwiderstehlich.

Alburquerque ist der erste nennenswerte Ort am nächsten Morgen, wo wir das Castllo de Luna (13. – 15. Jhd) bewundern. Ein sehr gutes Beispiel für die mittelalterliche spanische Architektur und ein „Zeuge häufiger Kämpfe zwischen Portugiesen und Spaniern“, wie es in der Beschreibung heißt. Toll erhalten und restauriert schlummert es hier einen Märchenschlaf, denn touristisch überlaufen ist dieser Ort mit dem Namen, der einen nach New Mexiko versetzt, sicherlich nicht.

Nur gut 40 Kilometer sind wir hier von Badajoz entfernt, obwohl schon den vierten Tag davon entfernt auf Reisen.

Wir kreuzen und queren hier herum, wie es uns gerade passt. Heute noch vorwiegend durch heißes Grasland – der Heuschnupfen lässt ja sowieso schon seit Lissabon gut laufen! Für den Abend gibt es wieder eine Unterkunft in einem Durchgangshotel in einem Nest namens Aliseda. Gemütlich.

Gelb und Blau sind die bestimmenden Farben des heutigen Abschnitts. Wir rollen über weite Flächen ohne nennenswerte Steigungen durch blühende Graslandschaft. Kaum ein Auto ist unterwegs, es ist fast schon meditativ.

Nach der Kaffeepause in Casar de Cáceres befinden wir uns wieder auf einem Abschnitt der Via de la Plata (Silberstraße). Ein Pilgerweg, der von Sevilla nach Santiago führt. Auf der Strecke heute ist es heiß, die Sonne brennt schon gut vom Himmel. Pilger, die uns entgegenkommen, beneiden wir wie immer nicht. Was wir nicht wissen: ob sie uns auch nicht beneiden.

Cáceres ist also für viele Pilger eine Übernachtunsstätte, so wie für uns. Die 100 000 Einwohner zählende Porvinzhauptstadt gehört seit 1986 zum UNESCO-Welterbe. Hier bringen Bilder mehr als Worte. Wer mehr zur Geschichte der Stadt wissen möchte, klicke hier.

Die deutsche-spanische Kunsthändlerin und -galeristin hat sich in der Stadt mit einem eigenen Museum für zeitgenössische Kunst verwirklicht. Der an ein historisches Gebäude anschließende Erweiterungsbau mit weißen Stahlbetonstehlen des Architekten Emilio Tuñón von Tuñón y Albornoz Arquitectos setzt einen tollen Akzent in der Altstadt. Im Eingangsbereich trohnt die aus 60 000 roten Kristallen bestehende Skulptur „Descending Light“ des Chinesen Ai Weiwei.

Über 4 Etagen geht man im Museum die Sichtbetontreppen hinab, um die unterschiedlichen Säle mit Werken weltberühmter Künstler zu erkunden. Der Eintritt in das Museum ist übrigens frei, weil es die Mission von Helga de Alvear ist, allen Menschen zeitgenössiche Kunst zugänglich zu machen. Eine tolle Sache!

Am Abend wirken die mittelalterlichen Stadtviertel wie Filmkulissen. Da es sich nicht um Wohnhäuser handelt, ist außer ein paar Touristen kaum jemand unterwegs, alles ist in warmes Licht getaucht, der Vollmond am Himmel macht die Szenerie komplett.

Am nächsten Tag geht es hinaus aus der Stadt und hinein in die Weite. Schildkröten springen scharenweise aus Angst vor uns ins Wasser, als wir auf einer Brücke für ein Foto halten. Wir beobachten sie, wie sie im Fluss versuchen, davon zu schwimmen.

Selten haben wir bisher Tiere gesehen. Mal hier oder dort ein Wild. Ansonsten ein paar Eidechsen und hier in der Region nun Schildkröten. Was uns aber seit dem Aufbruch täglich begleitet, ist der Gesang der Vögel. Unentwegt singen sie vor sich hin und wir entdecken über unsere App immer wieder Arten, die wir bisher nicht kannten. Nicht immer können wir sie auch sehen, aber hin und wieder lässt sich ein neues Federtier blicken. So beispielsweise Schwarzkehlchen bei Marvão, Iberian MagPies hier in den großen Ebenen oder die mutigen Haubenlerchen, die gerne auf der warmen Straße herumhüpfen. Ständig bleiben wir stehen, um den Sound eines neuen Vogels aufzunehmen und dann ist das Ergebnis häufig doch wieder: Nachtigall. Kein Wunder, dass sie so berühmt ist für ihren Sound, der ist wirklich vielseitig.

Die Strecke scheint nicht spektakulär, doch mal so ein wenig Weite („wie Amerika!?“) hat auch etwas. Die Sonne brennt ziemlich vom Himmel, der Rückenwind lässt das Gesicht nicht trocknen, Schatten für eine Pause finden wir keinen (die Photovoltaikplantagen freut es), denn neben der Straße laufen permanent Zäune. Alles Gebiet gehört irgendjemandem für irgendwelche Rinder, oder Eichen oder beides.

In Torrejon el Rubio dürfen wir wieder eine ländliche Übernachtungspause genießen. Bis jetzt haben wir noch nicht oft gezeltet, aus Mangel an Campingplätzen. Aber festgestellt, dass unsere Pfanne mal wieder zu klein dimensioniert ist, das haben wir schon. Also kaufen wir im „Corte Ingles“ des Dorfes (siehe Zeitungsartikel) eine emaillierte Pfanne mit hohem Rand. Der Laden hat wirklich alles, was man sich vorstellen kann.

Der Nationalpark Montfragüe liegt uns „im Weg“. Wir haben genug Zeit und so steigen wir sogar abwechselnd hoch zum Torre des ehemaligen Castillo de Monfragüe, was einen wunderbaren Rundblick über den augestauten Tajo (portug. Tejo) und den Naturpark ermöglicht.

Am Felsdurchbruch Salto de Gitano, dessen Wände fast 300 m senkrecht in die Höhe steigen, können wir mal wieder Geier beobachten, die es in Spanien wirklich reichlich zu geben scheint. Die Mönchsgeier sind hier wohl mit 250 Paaren die größte Kolonie Spaniens. Aber auch Gänsegeier treffen wir an. Ebenso eine Gruppe von spanischen Bird-Watching-Touristen mit Ferngläsern und langen Objektiven.

Unter der Brücke über den Tajo kochen wir eine Instant-Nudelsuppe und beobachten hunderte Schwalben beim Jagen über dem Wasser und beim Versorgen der Jungen, die in ihren Nestern an der Unterseite der Farbahn piepsen.

Hat man sich einmal vom Fluss wieder hochgeschraubt ist der Nationalpark auch schon durchquert und nur noch ein guter Zehner trennt einen von Plasencia. Die mächtige Kathedrale erkennt man schon von in der Abfahrt vom Bergrücken. Heute haben wir mal wieder die Möglichkeit, zu zelten. So spulen wir auch gleich die dort mögiche Routine ab: sich waschen, Wäsche waschen, Räder waschen, bevor wir die Stadt „entern“.

Auf der Plaza Mayor bzw. in den Kneipen rundherum ist bereits Jubel, Trubel, Freitag-Abend in Spanien. Dichtgedrängt wird lautstarkt aperiert! Salud. Auf deine Gesundheit, Europa!

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