26.08.2011 (k) Mattinata – (San Severo) – Campomarino: km, Hm
Heute hab ich’s getan: Ich habe die Sonne beleidigt. Ich habe ihr den Stinkefinger gezeigt! Jawohl. Wie kann sie auch nur um 18.00 Uhr abends die Frechheit besitzen uns noch immer mit 40 Grad ins Gesicht zu brüllen?? Konnte ich wissen, dass sie auch noch solche Macht über den Wind hat, dass sie uns die letzten 15 Kilometer bis San Severo mit einem Sturm aus dem Umluftbackofen bestraft, der den Balkan kalt aussehen lässt und den Dreck von den Felder verbläst, als würden wir uns in einem von Saharas berüchtigten Sandstürmen befinden? Wäre es die Seidenstraße, denke ich, o.k., oder eine so mythisch anklingende Route wie Transamericana oder eine Straße auf dem Altiplano – da ist man ja leidensfähiger, da gibt es eine höhere Mission! Aber es ist halt n u r Italien. Italien! Madonna! Que volio – was haben wir heute verbrochen?
Im Grunde war die Etappe gar nicht so hässlich – und doch irgendwie grauenhaft. Wir starten nachdem ich eine Runde im Meer geschwommen bin (der Pool am Campingplatz hat die supertollen Öffnungszeiten von 10.30 Uhr – 13.00 Uhr und 16.30 – 20.00 Uhr) und fahren die Passstraße von Mattinata nach Monte S. Angelo hinauf. Es ist bereits jetzt um halb 10 sehr heiß, die Pedalumdrehungen gehen bei mir nur sehr langsam, da mich zudem noch Unterleibsschmerzen plagen und eine grandiose Appetitlosigkeit, die an Übelkeit grenzt mich vom Essen abhält. Fitnesszustand ungenügend, würde ich sagen. Pure Quälerei. Monte S. Angelo – Name ist natürlich Programm – wartet auch mit seiner Erscheinung bis wir auf 850 Höhenmetern angekämpft kommen. Kein Schattenmeter davon, ist ja sowieso klar. Molle kauft ein paar Stärkungen, Babygläschen und Milchmixprodukte, um mich wieder fit zu kriegen. Doch so richtig will es nicht wirken. Wir könnten auf der Stelle einpennen, die Hitze lähmt alle Lebensgeister. Doch wir müssen weiter. Matthias will heute Abend da sein – da haben wir einen Ort am Meer abgemacht! Die Straße um den Ort schraubt sich noch weiter hinauf – die Häuser sind eng am Hang erbaut, die meisten in Reihen und alle sind weiß gekalkt. Sie aus, wie in Spanien – glaub e ich zumindest. Wir rollen sogar noch eine Runde durch die Altstadt, es gibt einen Palast der Grimaldis, ein paar Kirchen aus dem Mittelalter, ein hübsches Ambiente. Wäre perfekt zum Mittagessen, doch ich kann so gar nicht an irgendeine Nahrungsaufnahme denken. Hinter der Stadt wirft uns die Straße ohne großen Streckenzugewinn in kürzester Zeit wieder einige hundert Höhenmeter hinunter und spuckt uns auf ein schwarzes Teerband, das in der Sonne schon zu schmelzen droht und leicht ansteigt. Porca miseria! Was für eine Scheiß-Idee diesen Abstecher zu machen – da sind wir uns einig. quälend langsam kämpfen wir uns weiter – ohne Schatten, muss das erwähnt werden? Mitten in diesem unwirtlichen Glutofen (steht glaub ich als Nationalpark in der Karte) kommt die sms: „1 tasche fehlt, dauert noch wg tasche rad kaputt kann erst morgen kommen“. Porca Miseria! Armer Matthias. Wir haben kein Netz in dieser Wüste, um ihn anzurufen, doch im nächsten Ort – S. Giovanni Rotondo – gelingt es uns. Er klingt noch relativ gelassen. Sucht nun sein Rad schiebend einen Radladen in Bari, um den Umwerfer reparieren zu lassen und nimmt eine Unterkunft, um seine Tasche morgen vom Flughafen zu holen. Heute ist aber auch ein Tag! Wir stärken uns mit einem Zitroneneis und verlassen die Stadt gegen 17.00 Uhr ohne die Chance auch nur irgendwo etwas zu trinken kaufen zu können. Unglaublich. Alles hat noch geschlossen, kein Mercato weit und breit. Ich fasse es nicht, dass wir den Ort ohne Getränke verlassen müssen – da steigt die Verzweiflung auf den nächsten 10 wieder meist ansteigenden Kilometern mit den wenigen Schluck 45 Grad warmen Restwassers doch allmählich bei mir. „Jetzt geht es dann nur noch bergab“ – diesen Satz höre ich irgendwie schon öfter heute, doch jetzt ist es das erste Mal, das er auch stimmt. Endlich erbarmt sich jemand mit uns und in einem kleinen Tabacci-Laden im nächsten Ort ersteht Molle zwei Cola und zwei kleine Wasser. Das hilft über die größte Krise hinweg. Tatsächlich verlieren wir nun zunehmend unsere restliche, heute morgen schwer erarbeitete Höhe, doch von einem kühlenden Fahrtwind kann keine Rede sein. Es ist jetzt 18.00 Uhr und wir haben noch eine Stunde bis unser Zug in San Severo fährt! Da reicht es mir. Ich zeige den Finger!
Wie’s weitergeht ist bereits erzählt. Letztlich erreichen wir unser Ziel noch rechtzeitig, können sogar noch Getränke fassen und sitzen eine Stunde im Zug nach Campomarino, kurz vor Tremoli. Die Nacht hat die Sonne endlich zum Schweigen gebracht – und die Dunkelheit ist vielleicht auch besser für das, was jetzt kommt. Wir folgen den Schildern nach „Lido di Campomarion“ und hätten eigentlich schon misstrauisch ob des Wortes „Lido di…“ (.z.B. Jesolo, …Lignano, …) werden müssen. plötzlich sind wir mitten in der Touristenmasse gefangen. Eine Touristen-Trabantenstadt wie es scheint. Wir fragen uns durch zu den Campingplätzen und finden letztlich zwei, die jeglicher Vorstellung von Camping und Urlaub entbehren. Auf engstem Raum haben Italiener ihre Dauercamperwägen aufgebaut, Vorzelt an Wohnwagen, mittendrin natürlich Liegen, Tische, Fernseher, … es soll an nichts mangeln im Urlaub, oder? Eine dreckige Ecke in der Nähe des Klos wäre für ein Zelt noch frei – wer zeltet denn auch? Hier will ich nicht bleiben. Wir machen uns nochmal auf und durchqueren den Ort erneut, auf der Suche nach einem Platz den wir im Internet gelesen haben. Ein Einheimischer weist wieder in die komplett andere Richtung. Also zurück. Wir haben ja sonst heute nichts mehr vor, da kann man schon viermal den tollen Ort durchqueren! tatsächlich entdecken wir am Ortsausgang ein Schild: Camping Pineta 1500 m! Alles wird gut, denken wir. Und nach gefühlten 4500 Metern über eine völlig dunkle Teerstraße durch unbewohntes Gebiet sind wir endlich am Ziel. Hier ist es ruhiger, mehr Platz, ein freundlicher Gastgeber. Wir postieren uns unter Bäumen, als alles steht düst in wenigen Metern Entfernung ein Zug vorbei. Egal. Wir sind sowieso zu erschöpft um deswegen aufzuwachen. Molle bildet sich noch eine Pizza ein, doch er findet die Pizzeria nicht. Also heißt es Nudeln kochen und dann ab ins Zelt. Porca Miseria, morgen ist wirklich mal ein Pausetag!