Nach drei Tagen ist unser Urlaub von der Sizilien-Reise zu Ende und wir schippern wieder zurück nach Trapani. In Favignana ticken die Uhren langsamer, man sieht an jeder Ecke Fahrräder, kaum Autos. Wir haben die Ruhe auf der Insel vor der Insel sehr genossen!
Da wir die Morgenfähre bestiegen haben, liegt der Tag noch vor uns, als wir in den Hafen von Trapani einlaufen. So haben wir ausreichend Zeit, die überschaubare (und flache) Strecke bis Marsala zurückzulegen. Gesäumt ist diese Route von einer besonderen Sehenswürdigkeit: den Saline di Trapani e Paceco.
Über riesige Flächen erstrecken sich die Salzgewinnungsbecken, dazwischen kleine Windmühlen, die an frühere Zeiten von 3000 Jahren der Salzgewinnung erinnern. Der Abbau hat sich in Laufe der Jahrhunderte nicht großartig verändert. Die Windmühlen aber werden so nicht mehr gebraucht.
Das Salz wird durch natürliche Verdunstung hergestellt. Wer es noch genauer wissen will, kann hier nachlesen.
Seit 1995 sind die Salinen rund um Trapani Naturschutzgebiet und eines der letzten wenigen Feuchtgebiete der europäischen Zugvögel, bevor sie ihren Weiterflug nach Afrika antreten.
Wir können hier fast ausnahmslos verkehrsarmen Straßen folgen bzw. gibt es einen Fahrradweg – je nach dem fast zugewachsen oder noch ziemlich gut in Schuss.
So lässt sich sich fast schon tiefenenstpannt der Hafen Alis – so die Übersetzung von Marsala – erreichen. Berühmt für den süßen Wein (Marsala, you know?) und seine Altstadt. Diese ist tatsächlich sehr besonders. Warum, das wird schnell klar, wenn man liest, dass Marsala (Lilybaion) als erste Stadt Siziliens unter islamische Herrschaft geraten war – sie ist heute das Zentrum des Islam auf der Insel.
140 km ist Tunesien nur entfernt von hier, dem westlichsten Punkt Siziliens. Und so hat sich hier eine kleine Gemeinde niedergelassen und die Gassen der Altstadt muten durchaus arabisch an.
Hinter Marsala wird es leider wieder verkehrsreicher, da die – laut Karte – „kleine weiße Straße“ direkt am Meer doch sehr gut ausgebaut ist und offenbar gerne von der lokalen Bevölkerung genutzt wird. Der Lilybeo-Camping entpuppt sich aber als kleine Oase für uns, in der wir Kraft für die nächsten Etappen sammeln können.
Überhaupt ist das Radeln auf Sizilien bisher eher von der mühsameren Sorte. Einerseits liegt es sicher an unserer ziemlichen Null-Toleranz gegenüber schnellem Verkehr und LKWs. Das führt dazu, dass wir die Hauptverkehrsrouten immer meiden wollen. Die Nebenstraßen haben hier allerdings fast durchwegs den Nachteil, dass sie a) in schlechtem Zustand b) von Müll gesäumt (FFP2 Maksen hat man ja mittlerweile eh im „Handschuhfach ;-), c) aus diversen Gründen (ohne Vorankündigung) plötzlich gesperrt sind (z.B. wegen maroder Brücken) oder d) sich der ein oder andere Hund für uns interessiert. Gerne auch mal a, b, c und d zusammen.
So stellt sich meist kein purer Radelgenuss ein, da ein gewisses Maß an Grundanspannung bleibt. Die Radroute hat die besten Tage gesehen, leider.
Auf der Habenseite stehen die stets offenen und herzlichen Sizilianer, die sich auch im kleinsten Dorf für uns interessieren und ein kleines Schwätzchen starten. Dazu kommt die schöne Küstenlinie mit den kulturellen Highlights wie Selinunte, Agrigento oder Syrakus. Außerdem macht das Zelten hier Spaß, da viele Plätze keine starre Parzellierung vorgeben und noch viel Raum für Zelte haben. Modern ist hier zwar wenig, dafür strahlen die Plätze samt deren Betreiber immer eine einladende Atmospähre aus, die eben über die ein oder andere wackelige Kloschüssel, rostige Leitung oder nicht schließende Tür hinwegsehen lassen.
Alles in allem sicher kein reines Genußradeln, mit der richtigen Einstellung aber in jedem Fall eine interessante Destination fürs Radreisen.
Für uns geht es weiter der Küste entlang, Ziel Selinunte. Immer wieder gelingt es uns, die großen Straßen zu vermeiden und mit viel Kartenarbeit schlängeln wir uns durch. Es bleibt aber Arbeit, da der Blick immer zwischen Rückspiegel und Straße hin und her wechselt und zudem viele Hügel, Schlaglöcher, Müll-Fallen am Straßenrand und die doch schon sehr hoch stehende Sonne an den Kräften zehren.
Andererseits, wie wäre es mal mit einem „Bett“ im Kornfeld? Wenn es da schon da drin steht?
Wir sind jedenfalls froh, als wir am Camping Athena in Selinunte einrollen und ein kleines Plätzchen für unsere Festung bekommen.
So spät sind wir nicht dran, so dass noch Zeit bleibt, die Tempelanlage von Selinunte zu entdecken. Am späten Nachmittag sind die größeren Gruppen weg – eine Schulklasse turnt noch herum, doch geht auch sie bald – und es stellt sich eine beruhigende Ruhe auf dem Gelände ein.
Die Tempel und auch die Akropolis sind frei zugänglich und das umherstreifen zwischen den riesigen Säulen und Steinbrocken lässt einen staunen, wie die Menschen zur damaligen Zeit solche Bauwerke erstellen konnten.
Das Gelände ist von wilder Schönheit, jetzt im Frühjahr blüht alles und gibt den Bauwerken etwas Mysthisches.
Selinuntes archäologischer Park beheimatet die Überreste der antiken griechischen Kolonie Selinus aus dem 7. Jhd. vor Christus, die eine der führenden griechischen Städte auf der Insel war. Ein Tempel ist restaurariert und man kann sich vorstellen, wie er einmal ausgesehen haben mag.
Zum Sonnenuntergang stehen wir bei Oliven und einem Bierchen oberhalb des Meeres und schauen aufs weite Blau. Nicht einmal 200 Kilometer von hier beginnt Afrika. Irgendwie cool.
Der nächste Abschnitt führt uns über Sciacca weiter nach Secca Grande. Sciacca ist eine recht große Stadt – hätten wir gar nicht erwartet. Ach ja, was übrigens auch groß ist, ist das „Brioche mit Eis“. Man füllt perverserweise ein Brioche noch mit Eis und dann packt man Sahne drauf. Naja, wenn man Handwerker ist, so die Begründung, dann brauche man das ja. Aber ob man als Handwerker wirklich so eine große Wampe braucht? Ihr könnt von den Fingern auf den Rest des Körpers schließen ;-))
Der Radeltag verläuft relativ nett, wir können sogar auf einem Bahn-Radweg fahren und treffen auf den Rennradfahrer Rosario, ein Schweizer, der hier wohnt und der uns zum Café bei seinem Automechanikerfreund Salvatore einlädt. Am Ende gipfelt die Etappe noch in einem Mini-Abenteuer.
Um den letzten Abschnitt des Tages, den wir auf der SS 115 hätten fahren müssen, da sieht man nie glücklich ist, wenn man darauf fahren muss, auch wenn hier gerade kein Auto oder LKW zu sehen ist, die haben wir alle durchgelassen:
Um sie zu vermeiden, wollen wir einer kleinen Route am Strand entlang folgen, die unsere Mapy.cz-App als fahrbar für Mountainbikes ausweist. Mit leichter Anspannung rollen wir Richtung Meer und nachdem wir zwei kleine Hunde mit Gebrüll in ihre Schranken verwiesen haben, geht es steil bergauf bis wir in die Schranken gewiesen werden – mit einem Tor. Einem geschlossenem Tor.
Da der Weg zurück, vorbei an den Hunden, hinauf zur Hauptstraße nun auch nicht mehr sehr reizvoll erscheint, schieben wir an dem Tor vorbei und weiter steil bergauf. Von Weitem sehen wir schon den Strand und kurz darüber einen Weg. Ob er fahrbar ist? Das stellen wir erst fest, nachdem wir uns durch die Kuhweide geschlängelt haben. Gibt es da einen Stier dazu? Deswegen das Tor? Wir halten uns nicht lange mit Nachdenken auf und holpern hinab.
Glücklicherweise ist der Pfad hier unten gut fahrbar und ist auch auf den folgenden fünf Kilometern bis Secca Grande nicht von fehlenden Brücken oder überspülten Abschnitten betroffen. Puhh. Glück gehabt! Eigentlich ganz toll dieser „Coconut-Beach“ (so steht es auf einer noch geschlossenen Bar-Acke). Secca Grande ist ein reiner Sommer-Ort und wie immer strahlen solche Plätze außerhalb dieser Jahreszeit eine gewisse Tristesse aus. Gücklicherweise hat der Campingplatz aber auf und auch noch eine nette Bar samt lustigem Brüderpaar zu bieten, so dass wir uns hier sehr wohlfühlen.
Noch eine Etappe, dann ist Agrigent mit dem „Valle dei Templi“ erreicht. Die Strecke führt heute wieder größtenteils auf ruhigeren und sogar recht ordentlichen Straßen am Meer entlang.
Touristisch wird es an der Scala dei Turchi, einer treppenartigen Steilküste aus weißem Mergel, die die Natur traumhaft in den Fels gearbeitet hat. Noch geht es recht ruhig zu, die touristische Infrastruktur lässt aber unschwer erahnen, was hier im Sommer „gerockt“ wird. Wieder mal sind wir froh, im April hier zu sein und nicht während der italienischen Sommerferien.
Agrigent selbst bietet uns einen tollen Campingplatz, dessen Lage für uns perfekt ist. Nah am Ortskern von San Leone mit seiner Flaniermeile am Meer, Cafés, Supermärkten und Bars und andererseits auch nur wenige Kilometer von der historischen Stätte der Tempelanlagen entfernt. Es gefällt uns so gut, dass wir uns gleich für vier Nächte hier einrichten und uns ausgiebig Zeit für Kultur, Meer und Erholung nehmen.
Die archäologischen Stätten von Agrigent gehören zu den eindrucksvollsten archäologischen Fundplätzen auf Sizilien – so steht es zumindest „im Netz“ und wahrscheinlich auch in den Reiseführern.
Am Rande der griechischen Stadt Akragas wurden damals (5. Jahrhundert vor Christus) zur kulturellen Hochblüte einige prunkvolle Tempel auf dem Felsriegel errichetet. Es nennt sich zwar heute Tal der Tempel, weil es von der heutigen Stadt Agrigent aus gesehen im Tal liegt, aber eigentlich ist es ein Hügel. Vom Camping aus geht es also für uns auch hinauf und wir fahren gemeinsam mit den Rädern hin, um abwechselnd die Anlage zu durchwandern. Molle ist zuerst dran und da es danach schon fast Mittag ist, beschließen wir, dass ich erst am Abend gehe, da dann wieder weniger los ist und die Abendsonne ein besseres Licht auf die Überreste wirft.
Die Tempel sind teilweise erstaunlich gut erhalten, man kommt jedoch nicht so nah heran wie in Selinunte. Verständlich natürlich, weil hier wahrscheinlich fast jede Sizilienreise Station macht. Selbst Goethe ist hier schon abgestiegen. Wir erwischen es aber mit dem Samstag gut.
Als wir am nächsten Tag auf dem Weg in die Stadt am Eingang vorbeikommen, haben sich schon sehr lange Schlangen gebildet und wir möchten nicht tauschen. Lieber beobachten wir das Treiben um den Coppa Italia der MTB Jugend.
Die Altstadt von Agrigent ist ganz nett, für einen Pausetag als kleiner Vormittagsausflug durchaus geeignet, aber nicht unbedingt ein „must see“.
Achja, neben dem MTB-Event war auch noch eine Auto- und Truckershow … das kam unserem Eindruck von Süditalien schon näher:
Den nächsten Tag nutzen wir zum Blogschreiben, Routeplanen und Ratschen mit Claudia und Manfred (aus Koblenz und mit dem Fahrrad in entgegengesetzter Richtung unterwegs). Wir genießen Ruhe und Sonne sowie Meer – Katrin wagt sich mal wieder hinein, auch wenn das hier noch kein Italiener oder Tourist tut. Dabei ist es eigentlich gar nicht mehr so kalt, findet sie.