23.04.2010 (k) Kawayu – Shingu/Toba: 38 km Fahrrad, ca. 120 km Zug
Gegen 8.00 Uhr ertönt die Zündung der Kawasaki. Der Wecker für uns und ein untrügliches Zeichen dafür, dass es wohl nicht mehr regnet. Gestern Nachmittag haben wir noch diesen Campingplatz direkt auf der anderen Seite des Kawase-Onsen entdeckt und unter dem Dach beim Hauptgebäude (alles geschlossen) auf einem trockenen Platz das Zelt stationiert. Dafür musste die Kawasaki umgeparkt werden. Der junge Japaner, der mit ihr auf Tour ist und sein Zelt schon vor uns unter dem Dach platziert hat, war so freundlich, das zu tun. So haben wir gestern Abend uns im Hotel, das wir vom Mittag schon kannten, ein Bierchen genehmigen und anschließend noch fast alleine (natürlich wieder streng nach Geschlechtern getrennt) die vier Außenbecken des berühmten Onsens durchgleiten können. Den Tag über konnten wir dem Yomura-Fluss beim Wachsen zusehen. Als wir dann zum Camping zurückgingen, raste ein wildgewordener, brauner Strom um die Kurven, der Baumstämme transportierte. Heute Morgen hat er schon wieder eine grünliche Farbe angenommen, denn es hat wirklich aufgehört zu regnen. Frohgemut machen wir uns auf den Weg. Zunächst auf die Straße, die am Flussonsen vorbeiführt. Er ist leer, aber immerhin haben ihn die Wassermassen bereits wieder freigegeben. Anders als die kleine Fußgängerbrücke, über die wir vorgestern Abend noch zum Eiskaufen liefen. Die Naturgewalten sind so unermesslich, dass man stets nur staunen kann. Ein Drittel der Strecke folgt auf der stärker befahrenen Straße dem Kitayama flussabwärts, bevor es eine Alternativstrecke auf der von uns aus gesehen linken Flussseite gibt. Die Straße zwängt sich eng zwischen Felsen und darüber strömenden Wasserfällen und dem Fluss in gewohnt schmaler und unbefahrener Manier hindurch. Einige Kilometer vor Shingu treffen wir auf einen noch verlassen daliegenden, wunderschön gelegenen Campingplatz, direkt an einem Wasserfall, dessen Ausstattung mit dem kühlen Nass nach diesen zwei Tagen als luxuriös zu bezeichnen ist. Wäre es schön und Abend, glatt ein Platz zum Bleiben. Aber daran denken wir jetzt nicht. Vielmehr rollen wir direkt in den Bahnhof Shingus ein und sehen, dass in 12 Minuten oder aber erst wieder in zwei Stunden ein Zug in unsere gewünschte Richtung fährt. Los geht’s. Abladen, verpacken, Tickets kaufen, Gepäck auf Gleis zwei schleppen, einsteigen, Abfahrt. Sogar noch eine Minute zu früh! Kompaktheit hat eindeutig ihre Vorteile! Das japanische Zugsystem ist ein Buch für sich. Neben dem berühmten und 300 km/h schnellen Shinkansen (der uns aber mit unseren Rädern nicht mitnimmt und uns sowieso viel zu schnell ist), gibt es die langsameren JR (Japan Railway) Linien und darüber hinaus kleine Privatlinien, die in allen Landesteilen die Ortschaften verknüpfen. Wir haben einen „Local“, die langsamste Variante, erwischt, der auf unserer Route fährt, aber leider nicht so weit, wie wir möchten. Nur bis Kii-Nagashima, der auf dem Schild im Führerhaus lesbaren Endstation. Wir schleppen uns auf den Bahnsteig und orientieren uns, wann es in unsere Richtung weitergeht. Molle geht neue Tickets kaufen und der Zug, aus dem wir gestiegen sind, fährt 100 Meter weiter und wird abgestellt. In eineinhalb Stunden fährt laut Plan ein „Local“ bis Taki, wo wir wiederum umsteigen müssen. Auf dem Bahnsteig bläst ein eisiger Wind, der dafür aber die dunklen Wolken davonjagt. Ich nütze die Zeit, um ein Loch in der Radtransporttasche zu nähen, während Molle noch immer am Ticketschalter ist und sich das System in Japan-Englisch (also eher Japanisch) erklären lässt. 15 Minuten vor Abfahrt wird der Triebwagen, aus dem wir ausgestiegen sind, wieder angeworfen. Langsam rollt er die hundert Meter zurück und wir steigen wieder ein. Wir verstauen die Räder und setzen und auf dieselben Plätze wie vorhin. Als wäre nichts gewesen. Alles, was sich geädert hat, ist das Schild für die Endstation vorn im Führerhaus: Taki. Dort haben wir Glück. 20 Minuten später fährt ein Zug bis zum von uns gewünschten Ziel Toba. Und zwar kein „Local“, sondern ein „Rapid“, den wir mit unseren Karten benützen dürfen. Er überspringt viele kleine Stationen und wirft uns mit dem Sonnenuntergang in Toba raus, von wo wir morgen Früh die Fähre zur gegenüberliegenden Halbinsel Atsumi nehmen möchten. Ein Camping ist unweit des Fähranlegers bei einem Onsen verzeichnet. Wir freuen uns schon und kaufen noch fürs Abendessen (die Küche bleibt bei der Kälte allerdings heute passenderweise auch kalt) in einem Supermarkt an der Strecke ein. In Japan kann man sich perfekt mit Menüs für Kochmuffel eindecken. Molle bringt eine große Sushiplatte ohne Fisch und paniertes Hähnchenschnitzel auf Reis mit eingelegtem Ingwer und brauner Soße. Scheint auch ein Nationalgericht zu sein, da man es überall bekommt. Gut, dass wir nicht geplant haben, zu kochen. Der Campingplatz soll auf einer vorgelagerten Halbinsel sein, die jedoch fast nur aus einem Berg besteht. Nachdem wir diesen im Dunkeln halb hinaufgestrampelt sind, befinden wir uns zwar am richtigen Ort, doch wieder einmal: geschlossen. Bei einfachen Camps ja eigentlich ein Vorteil, aber dieser hier ist mit einem elektronischen Tor und einem hohen Zaun gesichert. Keine Chance, sich hier einfach hinzustellen. Gegenüber der Einfahrt finden wir ein Stück unbebautes Land, das nur mit einer Kette abgesperrt ist. Wir schieben vorbei uns stellen uns zwischen einen rostigen Kühlschrank, ein paar Felgen und ein weiter im Gebüsch liegendes Motorrad, die hier entsorgt wurden, auf hochstehendes Stoppelgras, das aus einem steinigen Boden wächst. Der Wind peitscht noch ein paar Stunden gegen unser Zelt, ehe er langsam verstummt. Wie wir am nächsten Morgen sehen werden, hatte er sein Werk vollbracht: der Himmel ist blitzsauber.