17.02.2010 (k) – Wujiexiang – Nanhua: 50km, 300Hm
Große, graue Wolken sind aufgezogen. Der Wind bläst noch immer kalt aus Westen, als wir aus unserem kleinen Betonzimmer durch das Wohnhaus der Gastgeber hinaus in den blankgekehrten Hof treten. Die Tierhälften, die an der Ziegelwand hängen, baumeln herum. Wir holen unsere Räder aus der Garage, in der sie zwischen Getreidesäcken, Werkzeug, Bierkisten und anderen brauchbaren Dingen gerade noch Platz gefunden hatten. Ein leckeres Nudelfrühstück gibt es gegenüber bei „unserem“ muslimischen Pärchen, den „Rindessern“, wie uns unser Gastvater gestern Abend durch zwei neben seiner Stirn hochgestreckte Zeigefinger zu verstehen gegeben hat. Auf der Straße stehen nur wenige Leute herum. Ein dickes Tierfell, das wir in dieser Gegend schon öfter gesehen haben, wärmt ihnen den Rücken.
Noch 26 Kilometer dürfen wir dem wunderbaren Teersträßchen folgen, bevor es ungefähr auf halber Strecke zwischen Kunming und Dali bei Shaqiao auf die Burmastraße trifft. Wir passieren dabei noch ein paar Dörfer, in denen die Menschen sehr lange brauchen, bis sich ihre Gesichtszüge nach unserem Anblick entspannen. Meist bekommen wir das gar nicht mehr mit. Das Bergland hier wird von einer – oder vielleicht auch mehreren – ethnischen Minderheit bewohnt. Vielleicht sind es Yi, denn sie haben eine dunkle Haut und wirken fast ein wenig wie mongolische Tibeter. Aber sicher sind wir uns nicht. Fragen fällt aus, denn ihre Sprache verstehen wir erstrecht nicht. Immer noch sind alle Hänge, an denen es möglich ist, mit Terrassen begradigt. In einem Dorf war ein Maler am Werk. Die Hauswände zeigen Szenen aus dem bäuerlichen Alltag: Rettich ziehen, Pilze ernten, Ziegen hüten, Getreide dreschen. So, dann ist ja alles klar. Tatsächlich stehen wenig später am Straßenrand Frauen, die kleine Rettiche aufschlitzen und auf Leinen zum Trocknen aufhängen. Eine lange Abfahrt bringt uns ins Tal und damit in wärmere Gefilde. Die alte Burmastraße schiebt sich unter unsere Reifen. Eine legendäre Handelsroute, wenn man es geschichtlich betrachtet. Die Verbindung von Kunming nach Burma und weiter nach Westen ist auch als Teil der Südlichen Seidenstraße bekannt. Sie diente dem Austausch von Waren zwischen dem Han-Reich und Rom. 1938 wurde dann die Burmastraße von beinahe einer halben Million Arbeitern ins Gebirge geschlagen. Im Laufe der Jahre spielte sie je nach politischer Lage ihre Rolle im Dienste verschiedener Großmächte. Mittlerweile besteht eine Autobahnverbindung bis zur Grenze nach Burma und man kann auf der alten, holprigen Piste einmal mehr – hoffentlich – wunderbar Rad fahren. Heute tun wir dies allerding nur noch 20 Kilometer bis zur kleinen, etwas schmuddeligen Stadt Nanhua. Wir kreuzen öfter die Autobahn, düsen vom Rückenwind angepeitscht leicht wellig dahin, mit dem Strom in den Hochspannungsleitungen um die Wette. Die Landschaft der letzten vier Tage war wirklich phänomenal. Es lohnt sich doch immer, in die Berge hineinzufahren, auch wenn man die Rücken hier quer anschneiden musste. Schade, dass es sich jetzt schon ausgequert hat. Die weiteren Etappen nach Kunming verlaufen dann teilweise auf der besagten alten Straße, aber auch auf anderen Nebenstraßen mit Abstechern in die Berge nördlich davon. Für morgen ist schlechtes Wetter vorhergesagt. Wir wissen gar nicht mehr, was das ist – sind wir doch seit zwei Monaten ununterbrochen in der Sonne unterwegs! Wir stellen uns gleich mal auf einen Pausetag ein, denn wir sind so verwöhnt, dass wir uns gar nicht mehr vorstellen können, im Regen zu fahren! Überraschenderweise hängt aus der Wand unseres etwas heruntergekommenen, rauchgeschwängerten Hotelzimmers ein Netzwerkkabel. Internet, Olympia im Fernsehen und ein warmes Bett! Der Pausetag kann kommen!