Stadt. Land. Fluss.

Von Los Santos sind es für uns am nächsten Sonnentag recht gemütliche 50 Kilometer bis in die Stadt, die man auf der kastillischen Hochebene schon von weitem sieht: Salamanca. In einem Dorf kommen wir an ein paar seltsam chinesisch anmutenden Bauwerken vorbei – es bleibt ein Rätsel für uns, was da los war, wer die warum gebaut hat.

Dann treffen wir auf den Fernradweg Eurovelo 1 und folgen ihm durch Felder, in denen die Vögel mal wieder um die Wette singen.

Salamanca, die Studentenstadt schlechthin, zwei Nächte bleiben wir diesmal. Tatsächlich im selben Hostal Consejo, das wir auch 2015 bezogen hatten. Nicht die tollsten Zimmer, aber mega-zentral und für uns hier zweckmäßig.

An den zwei Tagen entdecken wir auch hier neue Ecken.

Wir haben Zeit und Gelegenheit Fotoausstellungen zu sehen. Und den Himmel von Salamanca.

Wir steigen hinauf auf den Glockenturm der Kathedrale – sehr empfehlenswert! Der Weg ist weit, man quert sogar die Kathedrale auf einer Höhe innerhalb.

Wir besuchen Stätten der Universität, die mit ihrer Aura, ihren Gebäuden und ihren 35 000 Studierenden das Gesicht der Stadt prägt. Günstige Pataten gibt es für sie (und uns) auch an jeder Ecke.

Sie wurde 1218 von König Alfonso IX gegründet und ist somit die älteste Universität Spaniens und die drittälteste in Europa.

In der alten Kathedrale gibt der Festivalchor aus Leeds ein Konzert.

Und für den Abend findet Molle eine Bar, die sich originell andere und besonders feine Tapasvarianten ausgedacht hat. Selten findet man in Spanien solche positiven Abweichungen vom Normalen. Ausgewählt hat Molle die Bar übrigens aufgrund der rasterlockigen, sympathischen Servicekraft mit Individualitätscharakter. Wer so aussieht arbeitet nicht in einer normalen Klitsche, so seine Konklusion. Recht hatte er.

Man könnte beim Blick auf die Karte denken, zwischen den Städten Salamanca und Zamora fährt man nun einen Tag bretteleben über die Hochebene. Aber erstens ist diese Ebene zwar hoch aber meistens nicht eben, und heute, wo sie relativ eben ist, ist sie dennoch rollend. Im Meer würde man sagen, es herrscht eine Dünung. Die Farben der Felder, Äcker und Wiesen spielen harmonisch zusammen mit dem blauen Himmel und den lilafarbenen, roten und gelben Blumen.

Wir sehen tanzende Gräser und Steineichen, kleine Dörfer, in denen fein geschnittenes Schwein ausgeliefert wird und Tortilla in der Theke der Bar eine Bank für uns ist, wir sehen Störche, die sich hier überall heimisch fühlen, aber weniger Vögel als sonst, denn die Gegend wird intensiv landwirtschaftlich genutzt.

Zamora liegt auch an der von Kaiser Augustus erbauten Silberstraße (Via de la Plata) und ist vor allem bekannt für seine romanischen Kirchen.

18 oder mehr stehen auf dem Gemeindegebiet und eine Kathedrale.

Auf dem ersten Rundgang kommt es uns so vor, als wäre die Stadt etwas abgehängt. Vielleicht, weil die Zugstrecke von Osten vor einigen Jahren eingestellt wurde?

In der kleinen Straße von unserem Jugendstil-Hotel „Alda Mercado“ steht der geschlossene Jugendstil-Mercado de Abastos von 1902, der eventuell mal saniert wird und im ganzen Abschnitt der Calle de San Andrés hinüber zur Plaza Mayor scheint es fast so, als wäre die romanische Kirche San Andrés das einzige, was noch offen hat. Viele Geschäfte aufgegeben, Häuser und Wohnungen zu verkaufen.

Um den Hauptplatz, die touristischen „Fressgassen“ und hinüber zum Castillo ist es etwas besser, aber insgesamt haben wir fast noch nie so viele aufgegebene Geschäfte auf einem Haufen gesehen.

Auf der anderen Seite punktet die Stadt mit ihrem baugeschichtlichen Erbe, einem modernen Stadtmuseum sowie einem Museum der Stiftung Baltasar Lobo – natürlich mit Bildhauereien von ihm. Er kommt ja schließlich aus dieser Stadt.

Außerdem haben sie drei Mühlen am Fluss restauriert, die auch sehr sehenswert sind.

Auch das Castillo neben der Kathedrale wurde aufwendig restauriert, wenn auch hier eher Grundmauern übrig sind, und eine Römerbrücke gibt es auch, die gerade wegen Instandsetzung geschlossen ist.

Es ist Wochenende und die Gassen sind besonders am Abend wieder überbordend mit Trink-und-Fleisch-Hungrigen. Wir finden ein kleines Straßenlokal mit hohem „Buzzlefaktor“ – Fleischspieße bzw. Fleischvarianten zu braten ist in dieser Stadt die angesagte Spezialität. Wir konsumieren fleißig mit und sehen mal guten Mutes darüber hinweg, dass rohes Fleisch und Hühnchen, Salat und Brot, Pilze und Tomaten mit derselben Hand angefasst werden. Bei dem Durchsatz haben nicht mal die Salmonellen Zeit, sich zu vermehren.

Am Samstag Abend wundern wir uns, warum die Hälfte der Kneipen an der Plaza Mayor zur besten Aperier-Zeit nicht aufgestuhlt hat. Das Rätsel löst sich kurz darauf mit Blasmusik auf: Es wird ein Drache mit einer Heiligenfigur über den Platz gezogen – im Schlepptau eine Gruppe tanzender Puppen. Die Gruppe zieht weiter die Gasse hinunter, der Drache wird abgespalten. Ordentlich parkt er unter den Arkaden

Um, wie wir am nächsten Vormittag sehen werden, am Sonntag noch prachtvoller und mit großen Puppen als Begleitung weiter durch den Ort zu prozessieren. Seltsam, diese Bräuche der Menschen.

Die Kulturszene spielt wohl auch eine bedeutende Rolle in Zamora. Uns fallen beim Herumlaufen zwei aktive Theater auf, vielleicht gibt es noch mehr. Das Programm liest sich hochkarätig, heute gastiert beispielsweise ein französisches Kammerorchester hier. Also alles in allem nach zwei Tagen in der Stadt, würde ich nicht sagen, dass sie abgehängt ist.

Klar ist sie etwas weg vom Schuss und durch die 2015 geschlossene Zugstrecke nicht mehr aus allen Richtungen so gut zu erreichen. Dadurch wirkt sie etwas geruhsamer und provinzieller als ihre großen Nachbarn Salamanca und León. Aber, vielleicht gab es hier auch einfach zu viele Geschäfte.

Mit Churros aus der weltbesten Churreria starten wir in den nächsten Tag. Wenn man Churros frühstücken will, muss man nach einer Churreria Ausschau halten. Dort werden die Fettstangen direkt auf Bestellung durch den Churrenwolf gedreht, frischer geht es nicht. Heute geht es zum Fluss. Es ist kein geringerer Fluss als der Duero. In Portugal, wo wir gerade mal wieder hinfahren, Douro.

Den kann man übrigens wohl komplett paddeln, bis zur Mündung in Porto. Man muss dabei aber schon einige Staudämme umtragen, wie wir auf unserer Etappe heute sehen. Der Ginster am Straßenrand und darüber hinaus weiß gar nicht, wohin er noch blühen soll, alles strahlt in knalligem Gelb.

Die meiste Strecke ist für uns autofrei, da wir einer gesperrten Straße folgen, die aber passierbar ist. Sie wird wohl im großen Stil neu gemacht, aber heute ist Sonntag, also keine Baufahrzeuge zu erwarten und es fehlt auch keine Brücke. Auf Sizilien wäre das kritischer gewesen.

Die ganze Gegend ist sehr ländlich. Wenn es überhaupt Dörfer gibt, dann sind sie sehr klein und es scheint kaum etwas los. Dennoch gibt es hier und da eine Bar, in der gerade ein Riesenteller frisch frittierte Schweineohren auf die Theke gewuchtet wird oder ein von außen unscheinbares Restaurant, das sich innen als kulinarisches Kleinod entpuppt. Fast nirgends in Spanien war es so ländlich, dass man gar nichts gefunden hätte. Das ist wirklich ein spanisches Phänomen.

In Miranda de Duoro haben wir uns ein Zimmer in einem kleinen Hostal für heute gebucht. Wir müssen nur noch vom Staudamm die Serpentinen über den Fluss hinauf. Dort oben sitzen wir später auf unserer riesigen Terrasse mit einem sensationellen Blick auf die Flussschleife, den 1954 erbauten Staudamm und die Kirche am Ende der Stadt.

Am Abend sitzen wir nur wenige Meter entfernt auf dem kleinen Balkon einer Pizzeria und bekommen mit viel liebe gefertigte echte Napoli-Pizza auf den Teller. 17 Jahre habe er schon diese kleine Pizzeria, so der Besitzer (ein Portugiese) auf unsere Frage und unser Lob. Er habe sich immer weiterentwickelt und trainiert, eine echte Neapolitana zu machen. Der Holzofen hier sei neu, direkt aus Neapel, und seine Pizza habe seit letztem Jahr nun auch das Zertifikat einer echten Neapolitana, da er die Prüfungen dafür bestanden habe. Schön zu sehen, welchen Enthusiasmus Menschen entwickeln können und welche Begeisterung sie in ihren Beruf – oder in dem Fall wohl in die Berufung – stecken können.

Die Kleinstadt hat nur 6500 Einwohner. Einiges wird versucht, um das Leben hier attraktiv zu machen. Auch die EU ist bei solchen Projekten der Förderung des ländlichen Raums ein gern gewählter Förderpartner. Einige Projekte fallen uns auf unserem Weg auf, die mit EU-Geldern finanziert wurden, dann aber nicht erhalten werden können. Hier in Miranda wurde eine ganze Stadtparkanlage mit Fontäne im See, Fußgängerbrücken, gepflasterten Fußwegen und einem Gebäude, das wohl mal ein Informationszentrum hätte werden sollen. Was aber, wenn das Geld nur für einen Weg Pflastersteine gereicht hat? Dann ist der andere eben ein Schotterweg. Was, wenn die ersten LED-Lampen den Geist aufgeben? Dann bleibt es eben dunkel. Was, wenn das geplante Zentrum nicht fertiggestellt werden konnte? Dann ist das Schild eben umgeknickt und das Gebäude eine Art Bauhof-Abstellkammer der Gemeinde. Die knapp 1 Million Euro ist trotzdem investiert, der Nutzen aber nicht so hoch, wie gedacht.

Wie bei jeder Art der Entwicklungshilfe oder bei jedem Fördertopf ist das Ganze eine Frage der Nachhaltigkeit. Dieser Rastplatz ein paar Dörfer weiter, auf dem ich gerne Pause gemacht hätte, mit 461777,97 Euro EU-Geld gefördert, ist nachhaltig eingewachsen. Na, es besteht noch Hoffnung, vielleicht wird für die Hauptsaison im Juli und August gemäht. Und nein, das greift natürlich zu kurz. Das Geld wurde nicht nur für die paar Tische verwendet, in diesem Projekt geht es um „8000 Einwohner – 8000 Bäume, Aufforstung der Gemeinde in verbrannten Gebieten oder Brachflächen“. Danke, Europa! (Auch für dieses Kapitel anwendbar ;-).

Den Duft des Ginsters in der Nase und die Sonne auf dem Haupt wechseln wir wieder hinüber nach Spanien. Der Vogelgesang ist unser ständiger Begleiter, ansonsten einfach Land, Land, Land.

Für den Abend steigen wir dann auch standesgemäß in einem Casa Rural ab, ein tolles Zimmer im Landhotel, wie öfter sind wir die einzigen Touristen, ein paar Handwerker müssen manchmal auch übernachten. Wenn man mal keine Lust hat, auf das übliche spanische Abendessen aus Fleischvariation und Kartoffeln (frittiert natürlich), das kein Grün auf dem Teller kennt, eignet sich so ein Zimmer auch gut zur Salatzubereitung.

Wir packen um die Ecke im Seitengässchen hinter der Kirche unsere Stühle aus und kochen am Gaskocher Nudeln. Dazu passt ganz stilecht ein lokaler Rotwein mit Wildschweinlogo. Das stört an dieser Stelle keinen, denn hier wohnt niemand mehr. Auch San Vitero ist ein Dorf mit vielen geschlossenen Fenstern. Aber ebenso mit einem Verwaltungsgebäude, einem Gemischtwarenladen, einem Landhotel, einem Landmaschinenmechanikerbetrieb und der Möglichkeit, eine Eselswanderung zu machen.

Mit Überschreiten der Sierra Francia hatten wir ja schon vor einigen Tagen die Autonome Region Extremadura verlassen und Kastillien-León erreicht. Dies ist mit Abstand die größte Region Spaniens. Und auch hier gibt es Abspaltungswünsche. „León solo!“ wünschen sich manche per Schmierspruch an der Wand. Dieses Gebiet von Kastillien-León ist allerdings genauso ländlich und dünn besiedelt wie Teile der Extremadura. Wieder sind wir fast autofrei unterwegs, die Landschaft heute nicht sonderlich spektakulär, was auch daran liegt, dass große Flächen zwischen dem kleinen Gebirge und dem Rio Tera dem Feuer zum Opfer gefallen sind.

Bereits mittags treffen wir am Camping Los Molinos am Rio Tera unterhalb von Manzanal de Arriba ein. Ein gemütlicher Platz lädt zum Urlaubmachen ein. Sogar ein kleiner Sandstrand wurde geschaffen, perfekt, für ein Bad im kühlen, aber nicht mehr kalten Fluss. Und für einen chilligen Abend.

Mittlerweile hat die Sonne bereits am Vormittag schon gut Kraft und wir sind froh, dass wir heute nicht allzu lange im Sattel sein müssen. Eine weitere geruhsame Radetappe durchs sehr ländliche Westspanien beschert uns einige schöne Weitblicke, tolle Vogelstimmen und gibt uns Zeit, die Gedanken schweifen zu lassen. Absolut entschleunigt.

Als der heiße Wind so richtig über die Felder fegt, sitzen wir bereits mit unserer gewaschenen Wäsche im kühlen Schatten unserer Unterkunft und beobachten vom Balkon den Nachbarbauern mein Heu-Einholen. Mitten im Nichts (so hat man das Gefühl) steht dieses kleines, familienbetriebenes Landhotel kurz vor dem Weiler Fuente Encalada. Top gepflegt, die fröhliche Mama beseitigt gerade Taubenscheiße und kommt aus dem Lachen und Erzählen gar nicht mehr heraus. Wir verstehen zwar nur die Hälfte, aber fühlen uns sehr willkommen. Am Abend wird uns klar, warum vielleicht auch andere Gäste den Weg hierhin finden, auch wenn es auf den ersten Blick nicht verständlich scheint. Die Familie bewirtschaftet ein eigenes Weinfeld und macht selbst Weißwein, Rosé und Rotwein in zwei Reifunggraden. Jedes der Familienmitglieder ist auf dem Etikett eines Weines dargestellt. El Padre ist natürlich der reife Crianza, der teuerste Wein (ein bisschen Machismo muss schon sein, oder?), la Madre ist der junge Rotwein Roble, der Sohn ist der Rosé und die Tochter der Weißwein. Alle arbeiten zusammen an den Reben und brauchen nur zu Stoßzeiten Hilfsarbeiter. In der eigenen Bodéga neben dem Wohnhaus und Hotel lagert und reift der Wein. Wir probieren uns durch die Sorten durch und sind sehr angetan. Wirklich ein gutes Tröpfchen, das die da produzieren. Darüber hinaus kann die Mama auch noch kochen und das ist ja meist auch alles, was ein spanischer Kurzurlauber haben möchte. Klar, dass der Betrieb am Wochenende gut zu tun hat.

Die Familie ist äußerst sympathisch und als wir am nächsten Morgen noch eine Flasche Rosé für 4 Euro zum Mitnehmen kaufen, schenkt uns der Sohn noch eine dazu. Ja, so ein bisschen mehr Gepäck merken wir ja gar nicht.
Indoor-Camping ist übrigens unsere favorisierte Übernachtungsform mittlerweile. Man kann am offenen Fenster schlafen, ohne von Mücken oder Fliegen die Nacht geklaut zu bekommen und man spart Ressourcen, weil die Leute das Bettzeug für eine Nacht nicht waschen müssen. Außerdem können Regen, Gewitter oder Stürme niemandem etwas anhaben.

Wir starten den Tag mit Reifen-Flicken. Als wir gerade losfahren wollen, stellen wir einen Platten an Katrins Hinterrad fest. In Wirklichkeit sind es dann drei Löcher, verursacht von kurzen, fiesen Dornen. Sehr wichtig dabei, diese auch im Mantel zu finden und zu entfernen. Gelingt! Es ist dann schon ziemlich heiß, aber insgesamt ist die Strecke nach Astorga nicht allzu lang, wir haben eine leichte, kühlende Prise von vorne und die vielen Geraden fahren sich manchmal beinahe spielerisch.

So kommen wir entspannt in Astorga an und beziehen ein außerordentlich schönes Zimmer im Hotel Eurostars Via de la Plata. Hier in der Stadt pilgert es ziemlich.

Das liegt daran, dass Astorga ein Kreuzungspunkt zweier Hauptpilgerwege nach Santiago ist. Von Süden kommt die Via de la Plata, von Osten kommt der Camino Francés. Die Stadt war im industriellen Zeitalter ein Hochburg der Schokoladenproduktion. Im Schokoladenmuseum informieren wir uns über alle Details und bekommen am Ausgang eine Kostprobe geschenkt. Heute wird in Manufakturen noch Schokolade in traditioneller Form hergestellt, die sich gut an Touristen verkauft.

Auch für Schmalzgebäck ist der Ort berühmt – für was man alles berühmt sein kann! Aber es funktioniert. Die Leute kaufen das Zeug zu guten Preisen in großen Geschenkverpackungen. Ein frühes Werk Gaudís steht neben der Kathedrale – der Palacio Gaudí. Als Bischofspalast geplant und Baubeginn 1887 hat letztlich nie ein Bischof darin gewohnt. Und Gaudí selbst hat den Bau auch nicht vollendet. Eine eigentlich recht traurige Geschichte, die man über das Bauwerk nachlesen kann. Heute wird der Bau als Museum der Jakobswege genutzt.

Auf dem Glockenturm der Kathedrale beobachten wir die heranrauschenden Gewitterfronten. Zeit für uns, einzukaufen und mal einen Tapas-Abend in den „eigenen“ vier Wänden zu machen mit Fußball-EM on top.

Große, verlassene Fabrikanlagen fallen uns am nächsten Morgen auf dem Weg nach León ins Auge. Das alte Industriegebiet steht mitten in Vequelina de Órbigo und unserer Recherche nach handelt es sich um eine ehemalige Azucarera, also eine Fabrik, die Zuckerrüben verarbeitet hat. Auch dies seit der Hochzeit der Industrialisierung, im Jahr 1900, bis 1992. In diesem Jahr setzte der Konzern Ebro Agricola (heute British Sugar) die Schließung des Werks durch, obwohl kurz zuvor millionenschwere Investitionen in neueste Technologien getätigt worden waren. Für die 219 Arbeiter, die täglich fast 4000 Tonnen Rüben zu Zucker vermahlten, ein herber Schlag – ebenso für die gesamte Region, denn diese Fabrik war nicht die einzige betroffene. Wenn man an solchen Gebäuden vorbeifährt, kommt es einem fast vor, als wären sie lebendige Zeugen der Zeitgeschichte. Alles ist unangetastet und doch verfallen.

Viele Pilger sehen wir heute auf der Strecke – kein Wunder, befinden wir uns mittlerweile doch unweit von León. Tatsächlich übernachten wir sogar in einer Pilgerherberge. Im „La Huella“ (= der Fußabdruck) in San Martin del Camino gibt es aber auch Doppelzimmer und sie ähnelt eher einem Hostal.

Dort treffen wir auf Felix aus Marktoberdorf, Anfang 20, der in nur 10 Tagen Urlaub den Jakobsweg von León aus läuft. Die über 50 km am Tag, die er geht, machen wir gerade nicht mal jeden Tag mit dem Fahrrad. Respekt. Wir unterhalten uns sehr gut über das Leben und seine Tücken, bis wir um 22 Uhr auf deutsch ins Bett geschickt werden. Hm, ist eben doch eine Pilgerherberge und kein spanisches Hotel, da gäbe es um 22 Uhr erst Abendessen. Für Felix ist es allemal besser, sein Wecker steht auf 3:30 Uhr!
Bis León sind es am nächsten Tag nur noch gut 20 Kilometer. Wir folgen dem Jakobsweg, der hier recht eintönig durch die Felder verläuft und rollen auf kleinen Straßen gemächlich ins Stadtzentrum und mitten hinein in eine Prozession mit Blaskapellen und vielen wichtigen Kirchenleuten mit Stäben und edler Tracht. Es ist Sonntag und an diesem besonderen feiert man das Fest „Corpus Chico“. Muss etwas größeres sein, denn sogar ein Kamerateam filmt die Aktion.

Wir beziehen das Hotel Alda Via León mitten im Zentrum. Obwohl die Stadt mit 120 000 Einwohnern recht groß ist, brauchen wir die Räder nur, um eine neues Gas im Décathlon u kaufen. Alles ist auf engem Raum fußläufig zu erkunden. Plaza Mayor, Casa de Botines (ein weiteres Frühwerk Gaudís), Basilika … immer wieder wird man an denselben Plätzen herausgespült.

Wir haben Zeit, das MUSAC zu besuchen, ein modernes Museum für zeitgenössische Kunst, das 2007 einen Architekturpreis gewonnen hat. Wir haben Glück, der Eintritt ist heute frei, zur Feier der neuen Ausstellungen, die seit dieser Woche laufen.

Uns gefällt die Atmosphäre in León. Trotz Tourismus und Pilgern wirkt die Stadt nicht überlaufen.

Tapas gibt es hier auch, man kauft sie zum Getränk dazu. Besonders beliebt sind hier Kutteln, ein schwarzer Blutwurstpudding, Salsiccha mit Pataten oder Schweinenase. In einer Bar bestellen wir die mit der Goldmedaille ausgezeichnete beste Tapa Leóns 2024: ein Miniburger mit Schweineohrstücken. Jo. Muss man nicht täglich haben.

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