Wir haben Zeit. Na gut, während eines Sabbatjahres nicht die sensationelle Nachricht! Gemeint ist natürlich, dass wir uns in der Früh nicht allzusehr beeilen müssen, da die geplante Etappe recht kurz ist und wir zudem die chinesischen Visa erst um 10 Uhr abholen können. Wir freuen uns schon auf einen Besuch bei der Boulangerie, die wir gestern in der Einkaufsarkade unweit des Internetcafés Cybac entdeckt haben. Da sollten doch ein frisches Baguette und ein paar knusprige Croissants drin sein. Leider sind die japanischen Bäcker aber nicht ganz so früh auf den Beinen, was wohl daran liegt, dass mit Kundschaft nicht vor 10 Uhr – der Zeit, zu der in den Arkaden die Geschäfte öffnen – zu rechnen ist. So riecht es zwar schon unwiderstehlich aus dem Laden, nur die Auslagen sind noch gähnend leer. Ein paar frische Hefe-Rosinen-Zöpfe können wir immerhin schon abstauben. Meine Frage nach den frischen, knusprigen Brotstangen wird mit einem Zettel, auf dem „10:30 am“ steht, beantwortet. Na, immerhin scheinen manche Japaner Englisch schreiben zu können! Wir schlagen den Weg zur Botschaft diesmal ohne GPS ein und finden dank des Lehrstücks von gestern problemlos dorthin. Ich mache nochmals die Probe aufs Exempel, indem ich in der entsprechenden Straße einfach den Kopf oben lasse: Man kann dieses Konsulat eigentlich nicht wirklich übersehen. Punkt 10 Uhr werde ich eingelassen, die Pässe liegen schon bereit. Ich berappe die 56 Euro pro Person und bin zwei Minuten später wieder bei Katrin. Unsere französische Ware reichern wir noch mit einem Dosenkaffee aus dem Automaten an und fahren dann zum Hypocenter, dem Ort, über dem die Bombe am 9.August um 11:02 Uhr explodierte. Es handelt sich um eine Parkanlage, in deren Mitte eine schwarze Säule in den Himmel ragt. Etwa 500 Meter über ihr fand die gigantische Explosion statt. Wir besichtigen den Ort und lassen uns dann auf einer der Bänke nieder, um zu frühstücken. Ein komisches Gefühl ist das, an einem Ort, der durch die grausamen Ereignisse weltweite Berühmtheit erlangte, so etwas Banales zu tun, wie zu frühstücken. Das zeigt einem unweigerlich auf, wie rasch Gegenwart zu Geschichte wird und dass man einfach das Glück haben muss, in der richtigen Zeit am richtigen Ort zu leben. Einfach ist leicht gesagt. Für viele selbst in der heutigen Zeit ein bloßer Traum.
Etwas betrübt verlassen wir diesen Ort und dann auch die Stadt Nagasaki. Im Museum haben wir an einem Modell gesehen, wir herrlich die Stadt an der Küste liegt und von drei Seiten von Hügeln begrenzt wird. Das spüren wir auch recht bald, als wir uns auf steilsten Nebenstraßen einen Weg zurück ins ländliche Japan bahnen. Immer wieder müssen wir ein Stückchen auf der Hauptstraße fahren und die ungeliebten Randsteine auf den Radwegen abreiten. Der Verkehr nimmt aber immer mehr ab und wir können wieder als ganz normale Verkehrsteilnehmer die Straße mitbenutzen. Ziemlich tief segeln Flugzeuge heran, die den auf der anderen Seite der Bucht gelegenen Flughafen Nagasakis ansteuern. Bis dahin wollen wir heute auch radeln, von dort aber noch ein Stückchen landeinwärts zu einem kleinen See. Das Umfahren der Bucht gestaltet sich dann als etwas nervenaufreibend, da die Straßen teilweise extrem eng, und die LKW teilweise extrem breit sind. Dazu gesellen sich giftige Anstiege und eine drückende Hitze. Wir schaffen meist nur ein paar Kilometer, bevor uns ein Getränkeautomat oder ein Kombini mit einem gekühlten Fläschchen wieder aufhält. So neigt sich die Sonne dann schon bedenklich, als wir uns die letzen Kilometer auf extrem steiler Straße vom Meer ins Hinterland kämpfen. Aber es sollte sich lohnen, und die Tatsache, dass es eine Fähre über die Bucht gegeben hätte, ist auch schon wieder vergessen. Wir erreichen den herrlich gelegenen See und dessen Campingplatz am Ufer, der komplett verwaist ist. Wir suchen uns ein schönes Plätzchen aus, ehe Katrin den Sprung ins kühle Nass wagt. Das Abendlicht taucht die Bäume in ein sattes Grün, Reiher schweben stolz über ihrem Revier, kleine Wasservögel jagen sich halb rennend, halb fliegend über den See. Dies ist mit Abstand der malerischste Campingplatz, den wir bisher in Japan gefunden haben. Nachdem wir uns in aller Ruhe unsere Teigtäschchen angebruzelt, die Udon aufgebrüht und das Gemüsecurry mit den Nudeln gekocht haben, schlafen wir tief und fest inmitten der friedlichen Natur um uns herum.