03.10.2009 (k) – Xiahe – Luqu: 100km, 1000Hm
Die Ungewissheit bezüglich der geplanten „Abkürzung“ Richtung Luqu treibt uns früh hinaus. Doch am Kloster herrscht bereits jetzt, um 7.30 Uhr, ein geschäftiges Drehen der Mühlen. 11km geht es noch auf geteerter Piste bis Sanke – dem Ort, nach dem das hier beginnende Grasland benannt ist. Nun biegen wir nach links auf eine Schotterpiste ein – das Schild verweist auf den auf der anderen Seite des Graslands liegenden Ort Amuqu an der Hauptstraße nach Luqu. Fünf Stunden brauchen für diese Passage. Wir genießen die Ruhe, die Ausblicke auf die Nomaden und ihre zum Teil ausgedehnten Ziegen- und Yakherden. Wie sie durch einige Laute und Pfiffe die Herden im Griff haben und in die richtige Richtung lenken, ist beeindruckend. Mit ihren dunklen langen Haaren sehen die jungen Tibeter auf ihren Pferden aus wie Indianer. Stolz und hübsch.
Das Wetter ist nicht berauschend, der Himmel heute grau statt blau. Mit der Zeit braut sich in unserem Rücken eine Gewitterfront zusammen und wir müssen uns etwas beeilen, was bei der Holperpiste nicht gerade leicht ist, will man seine Speichen noch länger gebrauchen und außerdem erst nach der Passhöhe von 3500m auch konditionell überhaupt möglich ist, da es eher bergab geht. Eine tolle Strecke – und doch sind wir froh, als das Holpern nach 53km ein Ende hat und wir wieder Flüsterasphalt unter den Reifen spüren. Weniger froh sind wir darüber, dass wir darauf noch 40km radeln müssen und uns die ersten Regentropfen bereits einholen. Nach 15km ist das Gewitter genau über uns, der Regen zeigt sich mal wieder als Schnee und Molle – ca. 200m vor mir – biegt nach links und sucht Schutz an der Wand eines kleinen Hauses am Straßenrand. Eine tibetische ältere Frau tritt heraus und bittet uns herein: durch den verglasten Vorraum betreten wir die dunkle Stube des Ziegelhäuschens. Eine wohlige Wärme strömt uns entgegen – der Ofen steht in der Mitte des Raumes – darauf ein großer, dampfender Wasserkessel. Die Augen brauchen eine kurze Zeit, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. In einer Ecke sitzt auf einem Sessel die Großmutter und schwingt eine Gebetsmühle. Die Jahre haben ihr Furchen ins Gesicht gezogen und die gegerbte Haut macht sie vielleicht älter, als sie wirklich ist. Mit der großen Brille auf der Nase und der braunen, selbstgestrickten Wollmütze gibt sie ein drolliges Bild ab – ihr zahnloser Mund lächelt uns an, als wir sie begrüßen. Ihr gegenüber auf dem Sofa sitzt ein Mann, der vom Alter her zu unserer Gastgeberin passen könnte. Eilig räumt er ein Sofa für uns frei, dann widmet er sich wieder seinen Gebeten – die Mühle fest in der Hand.
Wir bekommen jeder eine Packung Fertignudelsuppe in die Hand gedrückt, die wir mit dem abgekochten Wasser aus der Thermoskanne der Familie überbrühen. Das Wasser ist aber nicht mehr heiß genug, um die Nudeln zu erweichen. Kurzentschlossen hole ich unseren Gaskocher hervor und setze unsere Töpfchen und das des Enkels, der auch mit uns eine Suppe bekommen hat kurz auf die Flamme. Unter beeindruckten Blicken wird alles einmal aufgekocht und die Schlürferei kann losgehen. Nach einer halben Stunde ist das Gewitter verzogen. Der Himmel erstrahlt blau, die Bergspitzen sind weiß getüncht. Als Dankeschön schenken wir der Familie eines unserer Schweizer Geschenk-Taschenmesser. Als wir die Straße Richtung Pass hinaufkriechen, winken uns der gesamte Clan und ein Teil der Dorfjugend nach. Die Sonne hat ihre Kraft bereits wieder voll entfaltet und die Straße getrocknet. Auf der Passhöhe freuen wir uns über eine Schild: „18km downhill“! Wenn das nicht mal eine positive Nachricht ist. Die Abendsonne spendet eine angenehme Wärme und wir können das Panorama aus dem Sattel heraus so richtig genießen. Als eine steile Schlucht die Sonnenstrahlen abhält und wir schon wieder ans Frieren denken, weist uns gottseidank ein Schild nach links über eine kleine Brücke in die Stadt Luqu. Wir rollen wie immer durch die Hauptstraßen, die Augen wachsam auf Hauseingänge mit rotem Teppich und/oder goldenen Türrahmen gerichtet. Schnell haben wir ein Hotel gefunden, der Preis ist wieder mal etwas höher, das Zimmer dafür aber tadellos und vor allem mit heißer Dusche. Die zwei chinesischen Tourenradler, die wir bereits gestern in XIahe getroffen haben, sind – dank Bus – auch schon hier und haben ein Zimmer nebenan in einem kleinen Guesthouse, dessen Besitzer sich aber weigert uns Ausländer aufzunehmen. Und so bleiben wir beim teuren Touristenhotel.
Überrascht stellen wir fest, dass das Hotel auch ein Restaurant integriert hat. Die Gelegenheit lassen wir uns nicht entgehen und so speisen wir reichlich und gut, sehr zum Erstaunen einer englischsprachigen Chinesin, die uns beim Bestellen geholfen hat. Erst als wir sie über unsere Rad-Aktivitäten aufklären, traut sie uns einigermaßen zu, das Bestellte auch tatsächlich verdrücken zu können. Na bitte, zwei Reis, zehn Jaozi und drei Gerichte. Was soll daran zu viel sein?