Unsere Tour startet an der Haustüre. Das mögen wir! Vom Bekannten zum Unbekannten also. Nach dem vielen Regen der vergangenen Tage ist der Hochsommer zurück und schon am frühen Vormittag rinnt der Schweiß in Strömen, als wir uns über den „Schießplatz“ in Richtung Dreiangelhütte kämpfen. E-Bikes sausen an uns vorbei – immerhin ein paar Almosen-Komplimente lassen sie uns auf der Straße liegen.
Wir jedenfalls sind froh, wieder unterwegs zu sein. Die Sonne strahlt – wir dazu. Eine Leberkässemmel-Stärkung in Wertach gibt uns genügend Kraft für den heißen Anstieg nach Jungholz von wo aus wir sehr steil durch den Wald hinunter an die Vils stechen, dieser folgen bis in den gleichnamigen Ort. Wir passieren den Trubel am Lechfall und winken aus der Ferne der Altstadt von Füssen und dem Schloss Neuschwanstein.
Noch einige Voralpenhügel, Wald und Furten fordern uns, bevor wir mit der sich neigenden Sonne nach 95 km im kleinen Ort Sonnen bei Bad Kohlgrub den Campingplatz erreichen. Die Gleitschirmschülergruppe faltet nach einem erfüllten Tag am Übungshang gerade ihre Schirme zusammen, wir falten unser Zelt auf und kochen in der Abendsonne – Name ist Programm in „Sonnen“ auf der Campingoase Raindl hinterm dazugehörigen Wellnesshotel.
Zünftig und beschaulich wirkt Bad Kohlgrub am Morgen, wo wir umgeben von Seppelhutträgern unser Brezn-Frühstück in der örtlichen Bäckerei am Stehtisch genießen. Feldwege und kleine Teerbänder leiten uns den Weg quer hinüber nach Eschenlohe, wo wir freudig hinein ins Eschenlainetal biegen, das eine besonders schöne aber durchaus anstrengende Route hinauf zum Südufer des Walchensees darstellt.
Die Mautstraße am Ufer des Sees wird vor allem von Touristen befahren, von denen noch einige unterwegs sind. Die Luft ist recht kalt, doch einen Sprung ins klare Nass muss schon drin sein. Nördlich von Lenggries am Alpencampingplatz in Arzbach machen wir Stopp für heute und sind mal wieder mittendrin im deutschen Camping-Flair aus Dauercampern, SUVs, Hecken und allem was so (nicht) dazugehört.
Hier muss es vor Kurzem massive Hagelstürme gegeben haben. Viele Dächer sind zerstört, Folien bedecken die Flächen provisorisch, manch einem hat es die gesamte Photovoltaikanlage verhagelt. Bad Tölz lädt zum Frrühstück ein, bevor wir durch grüne Hügel auf und ab rollen – optisch alles bekannt von zuhause. Was sollte sich auf so wenigen Kilometern denn landschaftlich auch gewaltig ändern? Alpenvorland bleibt Alpenvorland. Die KZ Häftlinge aus Dachau, die hier ihren langen Leidensweg zwangsläufig beendeten hatten sicher nicht die Chance, die liebliche Landschaft zu genießen.
Am Irschenberg kauen schottische Hochlandrinder Gras wieder und würdigen die vorbeibrausenden LKWs keines Blickes. Die sind aber auch ohne Augen nicht nicht wahrzunehmen. Autos sind einfach eine schlimme Plage für diese Welt, wenn man sich das hier so anschaut. Es könnt so schön sein… Aber der Lärm verschwindet tatsächlich erstaunlich schnell, wie wir den Hügel weiter erklimmen. Den „Berg“, den man die ganze Kindheit auf Bayern 1 nur aus dem Radio kannte.
Auf dem Campingplatz am Erlensee empfängt uns eine holprige und schon gut besetzte Campingwiese. Wir versuchen der Rezeptionistin klar zu machen, dass wir lieber einen Stellplatz hätten. Wie? Ohne Auto oder Wohnmobil gehe das nicht. Aha! Nun ja, ein Fahrrad ist also kein Fahrzeug für einen Stellplatz. Sie weist uns stattdessen eine Hoppelwiese hinter einem stillgelegten Mobilhome zu. Okay. Wir haben unsere Ruhe und nachdem sich die Mücken verzogen haben (ist doch nicht mehr ganz soo kuschlig warm abends), wird es friedlich am Erlensee.
Der nächste Tag bringt uns erstmal weiter nach Osten. Wir lassen den berühmten Chiemsee südlich liegen und hoppeln durch recht pittoreskes Hügelland durch Seeon und Tittmoning bis Taching am See, der angenehm erfrischend zum Bade-Tanz bittet. Das bevorstehende Wochende sorgt dafür, dass der Campingplatz voll belegt ist und wir (je nach Seite) mit Steckerl-Fisch-Grilltipps vom Dauercamper, Zigarettenrauch vom Van, Hip-Hop-Beats vom Kleinwagen (hier wird auch weit nach Mitternacht noch textsicher mitgerappt) oder Bierdosen-Zählern aus BGL unterhalten werden. Letztere hängen ihre geleerten Bierdosen an einem Seil auf. Bald schon hängen sie aber mehr in selbigem als ihre Kollegen aus Alu. Zu unserem Glück fällt die ganz große Party also aus!
Mit großen Pedaltritten nähern wir uns dem Inn. Hinter Tittmoning wechseln wir auf die österreichsche Seite und kurbeln relativ entspannt über einen großen Hügel nach Burghausen. Ziemlich beeidruckend erstreckt sich die Burg in diesem Hausen über mehr als einen Kilometer entlang des Inns. Es ist die größte Burganlage Europas! Das wussten wir nicht. Nicht ganz so schön ist das zweite (nicht touristische) Standbein der Stadt: die chemische Industrie. Im Hintergrund der Burg schlotet es gewaltig. Entlang des Inns fressen wir auf dem Radweg massig Kilometer. Wieder mal merken wir, dass uns Steigungen und damit eine gewisse Abwechslung doch lieber sind. In Braunau stärken wir uns mit dem wohl besten Kaiserschmarrn, der den Sabbatradlern je untergekommen ist.
Er gibt Kraft, um die restlichen Kilometer bis Obernberg herunterzuspulen. Bad Füssing – gegenüber in Deutschland – hat viele Campingplätze, ist aber an sich ein teures Pflaster. Wir wählen die österreichische Basic-Variante „obern“ auf dem Berg. Geführt wird der Platz von der gar nicht österreichischen Katrin aus Dresden („Dresden rocks!“). Mit viel Einsatz und – nun ja – Klimbim hat sie dem betagten Platz eine eigene Note verliehen. Anyway: eine Nacht ist ok. Spätestens als unsere Nachbarn zur Morgenzigarette ausrücken und ihren Schleim…lassen wir das. On the road again!
Wir folgen weiter dem Innradweg und erreichen nach Schärding auch schon Passau! Das Venedig Bayerns versprüht tatsächlich ein wenig südländisches Flair – zumal bei 30 Grad im Schatten.
Einen hervorragenden Eiscafé und eine kleine Stadtrunde später folgen wir der Donau flußaufwärts. In Passau beginnen die Nord- und Südroute des „Trans-Bayerwald“ (TBW). Den ersten Hügel schenken wir uns aber gleich mal – es ist einfach unsagbar heiß und schwül. An der Gaißa-Mündung in die Donau folgen wir dem kleinen Flüsschen und landen wenig später auf der Original-Route des TBW. Zunächst sind wir noch vor dem „Woid“ und zwar in Kirchberg. Ein genialer kleiner Campingplatz empfängt uns nach den Strapazen des Tages und zu unsere vollsten Zufriedenheit gibt es direkt am Platz ein schönes Lokal, das uns frische Burger mit Pommes hinstellt. So darf ein Tag enden!
Am nächsten Tag tauchen wir dann in den Woid ein. Ziel ist Deggendorf, wo wir bei unseren Freunden ein paar Tage ausschnaufen, plaudern und chillen wollen. Ach ja, und ich darf mal wieder einen Tennisschläger in die Hand nehmen. Danke, Kilian!
Zunächst geht es noch gemächlich auf dem Donau-Ilz-Radweg dahin, er verläuft teils auf der ehemaligen Bahnstrecke Deggendorf-Kalteneck. Bahntrassenradwege sind immer toll. Doch unsere Freude wird plötzlich getrübt. In Nammering sehen wir eine Gedenk-Installation, die daran erinnert, wie hier Mitte April 1945 ein Gefangenentransport aus dem KZ Buchenwald, der nach Dachau sollte, mit 5.000 Menschen an Bord nicht mehr weiter kam, weil auf der Strecke ein Wehrmacht-Transport entgleist war. Er war schon 10 Tage unterwegs gewesen und stand dann 5 Tage in Nammering. 800 Menschen wurden so getötet. Entweder von der SS erschossen oder durch Hunger, Kälte und Erschöpfung. So viel hat man schon gelesen und gesehen zu den Greueltaten und doch kann man es einfach immer und immer wieder nicht fassen, wozu der Mensch fähig ist.
Die weitere Strecke nach Verlassen des Bahntrassenradwegs verlangt uns noch einiges ab. Es geht auf und ab über Stock und Stein. Es wird immer schwüler, teils braten wir auf Wiesenwegen in der Sonne. Außerdem befahren wir die Etappe der Südroute des Trans-Bayerwald in der nicht empfohlenen Richtung, was uns die ein oder andere Schiebestrecke beschert, die wohl eher als trailige Abfahrt gedacht ist.
So oder so – wir ziehen es durch und erreichen am späten Nachmittag Deggendorf. Nach Eis und Einkauf werden wir mit einer Grillage empfangen. Ein herrlich lauer Sommerabend unter Freunden – wir genießen es!