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28.07.2010 (m) – Gudvangen – Voss: 44km, 600Hm
Es hat einen Großteil der Nacht geregnet, als es aber Zeit zum Zusammenpacken ist, stoppt das Trommelfeuer auf die Zeltplanen. Wenig später schnurren die Reisverschlüsse und das morgendliche Pack-Ritual, das schließlich in einen riesigen Müsliberg, Rosinen-Boller, Nutellabroten, Kaffee und Tee mündet, setzt ein. Bis die letzte Ortlieb-Rolle verschnürt, die letzte Wasserflasche gefüllt, die letzten Bäckchen mit Sonnencreme bepinselt sind, ist es wie immer etwa 10 Uhr. Eine gute Zeit!
Die Nebelschwaden sind unterdessen den wärmenden Sonnenstrahlen gewichen und auch die Straße ist schon fast wieder abgetrocknet, nicht zuletzt Dank der riesigen LKW, die hier auf der E16 in unregelmäßigen Abständen vorbeischießen. Langsam hebt sich die Asphaltschlange von Meereshöhe bis etwa 150 Meter über Null. Ein großes, schwarzes Loch gähnt uns an – ein mehrere Kilometer lang ansteigender Tunnel, der sich durch eine langgezogene Kurve zieht. Überraschenderweise wäre er nicht einmal für Radfahrer gesperrt. Wir ziehen jedoch die Alternativroute über den Berg vor. Die hat es allerdings in sich. Nenne wir die Strecke mal den „Thailandsimulator für Uli und Matze“. 14 Kehren ziehen sich in unglaublicher Steilheit den Hang hinauf. Nur Katrin, mehr Oberschenkel als Mensch, fährt die komplette Strecke durch. Wir anderen schieben längst im Schweiße unseres Angesichts. Wie einst auf den steilen Rampen Nordthailands. Die Sonne drückt immer mehr durch die Wolken, so dass die Feuchtigkeit der hier noch nassen Straße in Wasserdampf übergeht. 18% steile Anstiege, 90% Luftfeuchtigkeit, drückende Hitze – Uli und Matze sind für Asien gerüstet, Test bestanden!
Oben angelangt schnaufen wir schwer, der Anblick des Tals raubt zusätzlichen Atem. In unserem Rücken liegt das Hotel Stalheim, bei dem sich die Tourbusse stapeln. Ein „must see“ auf der „Norway in a nutshell“-Route (für die ganz Eiligen). Wir haben glücklicherweise genügend Zeit, auch um den Ausblick auf die tobenden Wasserfälle Stalheimsvossen (126m) und Sivlefossen (142m) zu genießen, ein paar Fotos zu machen und die Infotafeln über die Straße zu lesen. Es handelt sich um die Stalheimskleiva, einen Abschnitt des Königswegs. Sie wurde 1842 bis 1846 gebaut und zählt zu den steilsten Straßen Nordeuropas. Wie beschwerlich muss das alles gewesen sein, die Güter über derartige Pässe zu schleifen. Und das, um Geld zu verdienen, und nicht, wie wir hier, Urlaub zu machen. Kurz vor der Abfahrt strampelt ein dürrer Belgier heran, dem ebenfalls der Schock über die Steilheit der Schleifen noch ins Gesicht geschrieben steht. Wir werden ihn später nochmals einholen und er begleitet uns bis zum Abzweig, an dem sich unsere und Uli und Matzes Wege für diesmal trennen werden. Die beiden biegen Richtung Norden ab, wir folgen der Straße nach Voss. Noch einmal schwirren wir in den Supermarkt aus, doch die rechte Freude will nicht aufkommen, werden doch erstmals seit vielen Wochen die Planungen fürs Abendessen wieder getrennt vorgenommen. So kommt es, dass Uli und Matze irgendwas von Zwiebel-Wurst-Nudeln faseln (sowas käme mir nicht in den Topf ;-)) und wir gar nichts kaufen, da wir dies auf Voss verschieben. Der Belgier strampelt unterdessen weiter, da wir ein bisschen zu viel mit uns und dem bevorstehenden Abschied beschäftigt sind und sein „Anbandeln“ („yü ar olso göing tö Voss“) ins Leere laufen lassen. Letztlich machen wir es kurz und schmerzlos, eine schnelle Umarmung, die besten Wünsche, eine Ehrenrunde im Kreisel und weg sind sie. Nur nicht sentimental werden – was definitiv leichter gesagt als getan ist. Der Fahrtwind, den uns die schnelle Abfahrt Richtung Voss entgegendrückt, trocknet schnell die Abschiedstränchen weg.
Nach etwa zwölf Kilometern erreichen wir den Tvinde-Camping, der wunderbar unter einem eindrucksvollen Wasserfall (Tvindevossen, 152m), der eine ganze Felswand einnimmt, liegt. Auch dieser Ort ist offensichtlich ein beliebter Stopp für Touristenbusse. Dem Besitzer des kleinen Kiosks wird der Ramsch förmlich aus den Händen gerissen. Nur etwas vernünftiges zu essen verkauft er nicht. Und da wir nichts eingekauft haben, stellt sich die Frage nach dem „Bleiben“ erst gar nicht. Wir verlassen die Hauptstraße und wechseln auf eine malerische Nebenstraße, die uns mit traumhaften Ausblicken und lieblichen Landschaften, aber auch schweißtreibenden Steigungen, versorgt. So zieht sich der Rest des Weges bis Voss doch deutlich länger als geplant und wir verwerfen schließlich den Plan, noch heute mit dem Zug nach Bergen zu fahren. Das kleine Voss empfängt uns im Abendlicht und wir steuern den hoffnungslos überfüllten Campingplatz an. Ein Fleckchen Erde zwischen Außenzaun und einer „Hytter“ ist jedoch noch frei und wir sind sogar relativ separiert. Ein bisschen kommt man sich vor wie am Gardasee. Unzählige „Biker“ liegen erschöpft vor ihren Zelten, der „Rallervegen“ (die alte Versorgungsroute zum Bau der Zugverbindung Oslo-Bergen) scheint sich in den letzten Jahren zum Mekka für Mountainbiker entwickelt zu haben – selbst der Campingwirt ist überrascht („It seems to be a trend.“). Katrin zaubert in der mit zwei Platten und zehn Köchen ausgestatteten Küche noch einen Berg Nudelmatsch (sie hat wirklich noch das Beste daraus gemacht!), ehe uns ein Regenschauer ins Zelt treibt. Immerhin reicht das WLAN bis in unser Zelt und so können wir gemütlich ein bisschen mailen und im Internet surfen.