Urgent, bitteschoen!

05.03.2010 (k) Hongkong

In einer extra dafür gekauften Mappe mit Klarsichtfolien befinden sich seit Kunming alle erforderlichen Papiere, die man braucht, um ein Russisches Visum zu beantragen: Passkopie, Einladung, Versicherungsbestätigung, Antragsformular. Die rundliche, strenge Russin mit Brille blickt hinter ihrer Glasscheibe hervor und uns an. Wir blicken an ihr vorbei: wow – was für ein Ausblick! Das Russische Konsulat befindet sich im 21. Stock fast an der Wasserfront auf Hongkong Island  – Panoramafenster geben den Blick auf den Victoria Harbour frei. „Urgent or regular?“ schallt es an unsere Ohren. „Regular“ dauert eine ganze Woche, während „urgent“ „ready today“ ist. Wir haben zwar einiges in Hongkong vor, doch eine ganze Woche erscheint uns recht lang, weshalb wohl nur „urgent“ in Frage kommt – kostet zwar das Doppelte – doch angesichts der Zimmerpreise hier sind die 35 Euro extra dann auch gut investiert.  Um 16 Uhr können wir die Dokumente abholen. Bis dahin müssen wir es noch schaffen, ein Moutainbikepermit bei der Aufsichtsbehörde für die Marine- und Countryparks zu bekommen. Jeder, der in Hongkong mountainbiken will (auf übrigens vorbildlich markierten und im Internet beschriebenen „trails“), braucht eine Genehmigung. Gerade zur Mittagspause erreichen wir die Behörde im Governmentgebäude in Kowloon. So bleibt uns nichts anderes übrig, als auch eine Kleinigkeit zu essen und es dann nochmal zu versuchen. Die Dame am Schalter wirkt ziemlich verwundert – „today?“ wollen wir schon nach Lantau? Sie ist aber freundlich und schafft es, den zuständigen Aussteller am Telefon davon zu überzeugen, dass die zwei Touristen ja nicht ewig Zeit haben. Normalerweise wartet man auf dieses Permit wohl zwei Wochen. Wir werden einen Stock höher gebeten, durch das Labyrinth eines Hongkonger Großraumbüros geführt und halten die Erlaubnis keine zehn Minuten später in den Händen. Wir dürfen nun bis 04. März 2012 im Bereich Hongkong mountainbiken. Na dann, los!

Wir packen im Hostel nur für das Campingwochenende und dürfen den Rest dort lassen, bis wir am Montag nochmals für eine Nacht, die als einzige noch frei war, anreisen. Obwohl Simon und Wilson fast gar keinen Platz haben, stopfen sie unsere vier Packtaschen noch ins Hinterzimmer. Sie sind wirklich unglaublich nett und noch richtig enthusiastisch. Wir hoffen, sie können sich ihre Art erhalten, in diesem nicht ganz leichten Business.

Die „Star Ferry“ nach Central will uns wegen der Räder nicht mitnehmen und so müssen wir nach “Wan Chai“ hinübertuckern. Das bringt uns zwar sehr nahe ans Russische Konsulat und ich springe schnell hinein, um die Pässe samt neuer, 30-tägiger Visa, abzuholen, doch nun müssen wir nochmals ein Stück radeln, was wirklich nicht so einfach ist hier. Viele Straßen darf man gar nicht mit dem Rad befahren, doch die Fußgängerwege sind oft mit Überführungen verbunden, was andauerndes Treppensteigen bedeuten würde. Hongkong Island entdeckt man besser ohne Fahrrad. An der „Hongkong“ Metrostation angekommen, verpacken wir unsere Räder in die Transporttaschen und können sie so problemlos mit in die Bahn nach Tung Chung nehmen. Eine halbe Stunde später stehen wir auf der Insel Lantau, in einer Trabantenstadt, mit Blick auf den – übrigens auch von Foster & Partners erbauten – Flughafen. Wir schaffen den letzten Bus hinauf nach Nong Ping, wo „the world tallest outdoor bronze seated Buddha“ auf einem Berg thront. Es ist bereits dunkel, als wir unsere Taschen mit den Rädern aus dem Staubauch des Busses ziehen und sich dieser leise entfernt. Nebel bedeckt die Bergrücken, die Schwaden wabern um uns herum. Fast kein Mensch ist zu sehen, denn das kleine Dorf existiert im Grunde nur für Touristen, und die sind heute alle schon wieder weg. Nur einige schwarze, große Hunde sind noch auf der Straße und bellen uns an. Hier ganz in der Nähe soll die S. G. Davis Jugendherberge sein, dort wollen wir campen. Aber wo? Wir sehen kein Hinweisschild. Es bieten sich nicht viele Wege an: einer führt steil hinauf zum Buddha, der gespenstisch von oben herabblickt, einer führt in das aufgrund von Bauarbeiten bizarr wirkende Gelände des Po Lin Klosters, ist jedoch mit einem orangefarbenen Plastikband versperrt. Der Tempelwächter versteht nichts, als wir nach dem Hostel fragen. Stattdessen sieht er uns sehr komisch an. Zwei weitere Passanten, die wir nach der Übernachtungsmöglichkeit fragen, scheinen sie auch nicht zu kennen, schütteln mit dem Kopf und deuten auf ein Gebäude in der Nähe, das sich aber als Café entpuppt, an dem wir niemanden antreffen. Ziemlich verloren stehen wir da im Dunkeln, mit unseren Rädern, ohne Ahnung, wohin. Ein Telefonat mit dem Hostel (oder ist es die YHA Zentrale?) bringt uns auch nicht weiter – wir sollen halt fragen, dann würde man uns den Weg weisen – ja, genau! So entscheiden wir uns dann doch, die abgesperrte Straße zum Tempel zu fahren. Hier wir gerade renoviert, was eine befremdende Mischung aus Baustelle und brennenden Räucherstäbchen ergibt. Darüber der Nebel und das Geheule des Windes, keine Menschenseele weit und breit – alles etwas unheimlich. Wir finden auch hier nicht, was wir suchen und fahren wieder zurück zur Bushaltestelle. Dann kommt die Rettung: die Gogglemappe! Das Hostel ist bei google maps verzeichnet und demnach angeblich über eine kleine Teerstraße auf der Rückseite des Buddhahügels zu erreichen. Wir strampeln bis zur Abzweigung und biegen dann in den dunklen Wald auf ein Sträßchen mit dem Namen „Wisdom Path“ ein. Wir wünschen uns also ganz fest, dass der Weg stimmt. Die Bäume zu unseren Seiten verneigen sich krächzend vor den späten Besuchern. Nach einem knappen Kilometer kommt eine Art Altar, vor dem es sich vielleicht ganz nett campen ließe, doch wir geben der Mappe noch ein bisschen die Chance, uns zum Ziel zu führen, und tatsächlich: es taucht ein Schild auf, das uns den Weg zur nicht mehr weit entfernten Jugendherberge leitet. Das Gelände sieht verlassen aus, doch in einem Häuschen brennt Licht. Wir klingeln an der weißen Eisenpforte und bald darauf kommt ein Mann aus dem Haus gelaufen und steht mit großen, fragenden Augen vor uns. „Are you members?“ blökt er uns entgegen. Campen ginge nicht mehr, nur „dormitory“. Wir verstehen nicht ganz, warum – es habe wohl Probleme mit der Küchenbenutzung gegeben. Wir treten erstmals aufs Gelände – immerhin sind wir jetzt endlich hier – und reden mit dem Mann. Als wir beteuern, dass wir selbst mit Kocher und Zubehör ausgestattet sind, lässt er uns doch das Zelt aufbauen. Er scheint zunehmend freundlicher zu werden und freut sich außerdem, dass wir mit den Rädern unterwegs sind – entpuppt er sich doch auch als halber Fahrradfreak. Er war schon auf Gepäckradtour auf Taiwan. Die Bilder findet er allerding nicht mehr in seinem Dienstcomputer, stattdessen zeigt er uns seine neuesten Schnappschüsse von einer Lantauüberquerung, die er vor wenigen Wochen mit Cousin und Freund gemacht hat. Kein anderer Gast ist in der Herberge – dabei dachten wir, dass es hier am Wochenende richtig zugeht. Morgen sei allerdings ausgebucht. Wir sind gespannt. Als Ngai – so heißt der „Herbergsvater“ – alle Bilder durchgeklickt hat, ziehen wir uns in unser neues, faltbares Zuhause zurück und verspeisen Sushi, Baguette und Parmesan.

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