28.09.2009 (k) – Ping’an – Qunke: 90km, 1400Hm
Die Betonhäuser und Wohnblocks der Stadt werden schleichend abgelöst von kleineren Lehm- und Ziegelhäusern, die teilweise auf der Fassade mit chinesischen Kacheln belegt sind. Da diese Häuser allesamt nicht an die Kanalisation und auch nicht an Frischwasser angeschlossen sind, sieht man sogleich wieder Menschen, die in großen Plastikschüsseln ihre Wäsche waschen, die Morgentoilette vollziehen oder Brauchwasser aus dem Haus auf die Straße schütten. Bis auf 3050m hinauf reiht sich eine Siedlung an die nächste. Heute scheinen mal wieder alle mit der Ernte beschäftigt zu sein. Viele Innenhöfe sind vollgeladen mit einem undefinierbaren Gestrüpp, auch scheint es üblich zu sein, dieses schwer zu bändigende „Kraut“ auf der Straße zu verteilen, so dass Autos es plattfahren. Dann wird es zum Trocknen mit zweizackigen Mistgabeln gewendet und hoch in die Luft geworfen. Wahrscheinlich handelt es sich um Futter für den Winter. Kühe und Ziegen gehören hier zu den gebräuchlichsten Nutztieren – hier und dort dringt das müde Husten eines Hundes an unsere Ohren. Wir bewegen uns gemächlich voran und können alles gut beobachten. Da viele Leute vor ihren Häusern sitzen oder am Straßenrand auf Busse warten, haben wir viele kurze Kontakte, die sich meist auf ein „ni hao“ oder „hello“ mit heftigem Winken beschränken, die aber eine gute Stimmung mit sich bringen. Alte und Kinder üben dabei die größte Faszination auf mich aus. Ständig könnte man absteigen und ein Foto machen, doch meist macht man es nicht, denn wirkt komisch, die Menschen bei ihren alltäglichsten Handlungen zu fotografieren – wie fühlen diese sich denn dabei? Ein wenig haben solche Begegnungen einen Zoo-Charakter: wir sind die Exoten für sie – und sie sind die Exoten für uns… und so ist es ja auch. Der Tonfall, mit dem ein oft stark verspätetes „hello“ (wenn wir ca. 10m weiter sind) herausgerufen wird ist übrigens sehr lustig hier in China. Mit stark ansteigender Stimme in sowieso schon hoher Stimmlage rufen sie in etwa „höllo-u?“.
Als der Tunnel der parallel führenden Autobahn beginnt, sind die Siedlungen zu Ende. Auf den letzten Kilometern davor fällt auch auf, dass viele Häuser abgerissen werden, die Orte verlassen sind. Sicherlich ein Tribut an die Autobahn – denn hier stoppt jetzt keiner mehr, um eine Nudelsuppe zu schlürfen, zu tanken oder eine Cola zu kaufen.
200hm weiter oben erreichen wir auf der nun äußerst ruhigen Straße die unter einer Masse von Gebetsfahnen und Papiergebeten begrabene Passhöhe. Molle ist bereits umringt von den Passagieren eines Polizeiminibusses, die die Räder bewundern und uns natürlich auch. Am Opferplatz haben einige Leute Körner und Äpfel in Brand gesetzt, auf der gegenüberliegenden Seite packen sechs Muslime (erkennbar am weißen Käppi) ihr Picknick aus. Nachdem auch wir zwei Packerl von Papiergebeten dem Wind übergeben haben und uns gegen selbigen für die Abfahrt etwas übergestreift haben, brausen wir hinunter. Nach über 30 km münden wir in das Tal des Huang He (Gelber Fluss), das an dieser Stelle gerade mal wieder eine Staumauer hat. Ein wenig hügelig aber tendenziell bergab folgen wir nun diesem Strom durch die herrliche Lößlandschaft, bis wir nach insgesamt rund 80 km vor unseren Augen die Brücke hinüber nach Jainzha (Magitang) sehen und gleich dahinter die Stadt. Gut, 16.30 Uhr – das klingt nach Ankommen.
Doch weit gefehlt: die Polizeisperre kurz vor der Brücke winkt uns hinaus. Ich erkenne ein Zelt, einen Arzt, eine Ärztin (beide klassisch im weißen Kittel mit Mundschutz) und ein paar Polizisten. Pässe zeigen, ins Zelt kommen. Mir schwant schone ein H1N1 Zwangsimpfung – doch so weit kommt es nicht. Uns wird nur die Temperatur gemessen und unsere 35,6 Grad werden als „hao“ bezeichnet. Wir müssen noch angeben, woher und wohin, und die Ärztin meint, wir könnten weiterfahren. Ich frage sie noch, ob es ein Problem gäbe (in der Stadt oder in der Gegend), doch sie verneint. Der Polizist, der mit dem Abschreiben unserer Pässe beschäftigt war, beginnt zu telefonieren. In meinen Augen kein gutes Zeichen. Nach einiger Zeit rufen sie uns erneut ins Untersuchungszelt und versuchen uns klarzumachen, dass wir umkehren müssen. Er habe telefoniert und sein Chef habe angewiesen, dass wir nicht in den Ort fahren und dort im Hotel bleiben dürften. Weiterfahren stünde ohnehin nicht zur Debatte, da in der Region unterhalb wohl irgendwo die Grippe ausgebrochen sei und wir uns nicht anstecken sollten. Der Ort sei wohl nicht betroffen, doch wir dürften trotzdem nicht hinein, auch nicht für eine Nacht. „Sorry“, aber wir könnten ja wohl einfach zurück, das wären doch nur zwei Stunden (klar, 1000 Hm und 50km!). Allen Krokodilstränen zum Trotz bleibt der Polizist hart, deutet vielmehr auf die Sonne, wir sollten jetzt los, sonst würde es dunkel. Immerhin kreist er auf der Karte noch einen Ort ein – Qunke – der ein Lüguan (Gasthaus) habe. Wir strampeln die 12km dorthin zurück, vorbei an den erstaunten Gesichtern von vorher, die uns nun noch erstaunter nachblicken. Als der Tacho meint, wir wären weit genug zurückgefahren, schwenken wir rechts ein und stehen genau vor der Herberge, darunter und daneben zwei Restaurants. Na also, wer sagt’s denn. Die nette Familie gibt uns ein 3-Bett-Zimmer, wir waschen uns notdürftig an der Plastikschüssel und verleiben uns im Nebenhaus zwei große Teller Nudeln und eine Nudelsuppe ein.