16.08.2011 (k) Imotski – Mostar: km Hm
So schön schattig ist es auf der Terrasse und im Apfelhain des Ruzin Dvor, dass wir sogar ausschlafen können. Der türkische Mokka der Gastgeberin schmeckt vorzüglich zu den frisch frittierten ausgezogenen Teigknoten. Gerade als wir den Frühstückstisch verlassen wollen, kommt noch für jeden ein Teller Rührei mit Tomate. So gut geht’s uns hier, dass wir es noch gut aushalten könnten – doch wie es so die Reisephilosophie der Radler ist: wir wollen weiter. Zwei Kilo Zwetschgen und mindestens die gleiche Menge Äpfel schnallt uns Ivan noch auf die Räder und dann werden wir nach einem Gruppenfoto vor dem Ruzin dvor Schild (das hoffentlich mal auf der Homepage landet) herzlich verabschiedet. Die kleine Kirche des heiligen Roko, die ein paar hunert Meter oberhalb liegt, wollen wir auf dem Weg noch ansehen. Sie sei wunderbar neu hergerichtet, hat uns Lidija nicht ohne Stolz gestern gesagt. Als wir auf die Kirche zurollen findet der Duft von bereits gebrutzeltem Lammfleisch den Weg in unsere Nase. Heute ist ein großer Feiertag. Der Tag des Kirchenpatrons Roko. Zu seiner Ehre – oder einfach für das leibliche Wohl der Frommen drehen sich auf einem überdimensionalen Grill ungefähr 15 Lämmer am Spieß. Trotz Morgenstund schon recht knusprig-braun. In der Kirche umkreisen ein paar betende Frauen den Heiligen und berühren dabei leise murmelnd seine Stirn oder andere Teile. Eine Frau rutscht auf Knien um ihn herum – vielleicht, um ihm besondere Dienste abzuverlangen? Zwei Pfarrer in brauner und schwarzer Mönchskutte sind bereits eingetroffen, die Vorarbeiten für die in zwei Stunden startende Prozession sind in vollem Gange. Die ersten Kilo dampfenden Lammfleisches gehen über den Tresen als wir den idyllischen Platz verlassen uns uns noch etwas empor zur Hauptstraße hinaufarbeiten. Die Straße Nr 15 in Richtung Bosnien ist nicht so stark befahren wie befürchtet, eine lange Abfahrt bringt uns der Grenze näher und einen Blick auf unsere Pässe später sind wir schon wieder in einem neuen Land. Bosnien-Herzegowina, hier regiert die komplatible Mark. Da heißt es wieder Rückwärtsrechnen! 2 Mark sind 1 Euro, wisst ihr noch? In Posusje heben wir gleich solche ab, um die Bedürfnisse auf der Weiterfahrt befriedigen zu können. Die weiteren Kilometer auf der Hauptstraße sind mäßig spektakulär. über den Vranic Pass geht es hinauf auf eine Hochebene, die Gegend ist gut besiedelt, die Städte sind voller Einkaufsmöglichkeiten und Cafés, die Menschen scheinen freundlich und aufgeschlossen, winken uns zu oder nutzen die Zeit zu einem kurzen Gespräch, als wir im Schatten eines großen Baumes Pause machen. Ein junger Mann stoppt sogar extra mit seinem Auto, um uns „zu begrüßen“. Er spricht perfekt Deutsch und erzählt, dass er vor kurzem selbst mit dem Fahrrad von Bosnien bis Portugal gefahren ist – in 27 Tagen, so 140 Kilometer am Tag. Na, da geben wir uns doch gern mit der Hälfte zufrieden. Über die Mittagszeit zeigen die Thermometer satte 36 Grad im Schatten – doch dieser findet sich so gut wie nirgends, das heißt wir schmoren bei gut 40 Grad. Vor Mostar zwingt ein fieser Anstieg noch einmal alle Poren zur Öffnung – gut, dass sich oben sofort eine Tankstelle zur Kühlung befindet. Heißer Wind bläst uns auf der Abfahrt hinein in den Heizkessel Mostar entgegen. Mostar gehört zusammen mit Podgorica zu den beiden heißesten Städten des Balkans. Ein Superlativ, den man gespürt haben muss! Die karg emporschießenden Berge, die die Stadt umrahmen wirken wie die wüstenartigen Mauern eines Pizzaofens. Die Einfahrt erfolgt durch wenig ansehnliche Wohnblocks, die die Außenbezirke der 94000 er Metropole bilden. schäbig, teilweise noch mit Schusswunden stehen sie da. Wir rollen direkt in ein Café am Rande der Altstadt und es verwirrt mich, wie schnell man zwischen den Welten wechseln kann. Wir sitzen in einem Travellercafé mit Travellermusik und Travellerkissen bei einem Travellercapuccino – ein surreales Ambiente – zumindest nach dem eben Gesehenen. Als wir auf der Suche nach einer Unterkunft weiter in die Altstadt hineinschieben, werden wir vielmehr geschoben. Von all den Touristen, die sich selbst durch die engen Gassen schieben. In jedem Erdgeschoss der Altstadthäuser, die seit ihrer totalen Zerstörung größtenteils wieder aufgebaut wurden, findet sich irgendein Souveniershop mit der üblichen Travellerausstattung: bunte Indien-(oder die große Freiheit?)-simulierende Hosen, Räucherstäbchen, originell bedruckte T-Shirts, diverser Schmuck, regional: kleine Mostarbrücken aus Ton. Das Ganze wird hier aufgemixt mit fragwürdigen Kriegsandenken. Als würden die Einschusslöcher in den noch stehenden Ruinen und die Schilder „attention – dangerous ruin“ nicht ausreichen, um nicht zu vergessen. Wir bekommen jedenfalls innerhalb von Sekunden die Krise und flüchten uns in eine Seitengasse, in der wir bei der nächstbesten Pension nachfragen, ob noch Zimmer frei sind. Der junge Mann verneint, empfiehlt und aber eine Freundin, die nagelneue Appartements habe, ein klein wenig weiter draußen. Kurze Zeit später folgen wir dem Auto der Besitzerin, die uns über die Neretva hinüber in den muslimischen Stadtteil leitet. Große Stadthäuser stehen hier noch völlig ausgehöhlt, Pflanzen umranken jede Etage, Bäume schauen zum Dach heraus. Die völlig zerstörten Häuser scheinen einmal sehr schöne Stadthäuser gewesen zu sein. Nur aus dem Augenwinkel sehen wir im Vorbeiflitzen drei schön angelegte Friedhöfe mit weißen Steinstehlen. Später werden wir genauer hinsehen: Männer jeden Alters, viele noch wesentlich jünger als wir heute, die Namen zur Straße hin eingraviert, alle muslimisch, alle mit dem Todesjahr 1993. Ich glaube, wir machen uns kein Bild von dem Grauen, das auch diesen Ort überrannt hat.
Die Appartmanibesitzerin präsentiert nicht ohne einen gewissen Stolz ihr nagelneues Haus, das auf dem Grund des alten Hauses ihrer Mutter erbaut wurde und bis auf ein paar Details, gerade seit ein paar Wochen fertig ist. Wir beziehen ein Appartement im oberen Stock und richten uns ein. Draußen zieht derweil ein Gewitter heran und über uns hinweg – es gibt uns die Absolution fürs Ausruhen und nicht gleich wieder Hinausmüssen. Außerdem machte es auch die Außentemperatur ein klein wenig erträglicher, und als wir losziehen, nachdem der Muezzin gerufen hat, können wir uns ohne allzu große Schweißausbrüche die Stadt ansehen. Das Symbol Mostars, die Stari Most wird von der Abendsonne wunderbar beleuchtet, ein Brückenspringer sammelt Geld von den Touristen, doch den Sprung wagt er nicht – zumindest nicht so lange wir noch in der Nähe sind. Die Altstadt mit ihren kleinen Moscheen und den engen Gassen ist schnell gesehen und wird uns aufgrund der vielen Touristen (wir sind ja natürlich keine, oder?) schnell zu viel und wir drehen noch eine erweiterte Runde durch das Viertel, das wir vorhin schnell mit dem Rad durchfahren haben. In einem kleinen Raum sitzt ein Mann vor einem Tresen mit Pokalen, rings um ihn blicken Vögel von Plakaten auf ihn herab. Er winkt mich herein, doch ich habe keine Zeit, muss den Anschluss an meine kleine Gruppe ja halten. Soweit ich dann verstehe, weilt hier der bosnische Vogelzuchtverein. Rührend. Die Friedhöfe, die zerschossenen Häuser, die Einschusslöcher in Häusern, die ganz normal bewohnt sind lassen bedrückende Gefühle zurück. Erschöpft lassen wir uns zu einem Bier und einer Pizza in einer kleinen Pizzeria auf die Terrasse plumpsen. Mostars traurige Berühmtheit zieht sicherlich auch einen großen Strom der Touristen an. Auch wenn der junge Mann von der Pension am Anfang meinte, mittlerweile würden hier alle gut zusammenleben und auskommen – wenn man in manche Gesichter sieht und sich vorstellt, was die Menschen dahinter erlebt haben mögen, welche persönlichen Verluste sie zu tragen haben, dann mag man sich das gar nicht so recht vorstellen. Allerhöchstens wünschen!
In einer Kneipe unweit unserer Herberge lassen wir bei einem Bier den Tag ausklingen und beobachten die Passanten. Alles wirkt so friedlich, als sei es schon immer so gewesen. Vielleicht kann es wenigstens immer so bleiben?